Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Sache
ahd. sahha, mhd. sache, gemeingermanisch (altnord. sok, altengl. sacu, engl. sake, ferner got. sakjo, ahd. secchia); zunächst1"S181"gerichtlicher Streit‹, zu einem untergegangenen Verb (got. sakan) ›(vor Gericht) streiten‹, verwandt mit ↑ "suchen": eine Sache miteinander haben(Luther), wo eine Sache vor sie kommt, sollen sie stehen und richten (Luther), Zur Sache stets, ihr Herren, doch! Zur Sache! (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Zerbrochener Krug 7); kanzleisprachlich in Sachen [wahrscheinlich alter schwacher Dativ Singular, so schon Luther] (des) A gegen B; übertragen ›Angelegenheit‹: in Sachen der Moral (Schiller); gewöhnlich mit Rücksicht auf eine der streitenden Parteien ihre Sache, Sache des Klägers, des Angeklagten, daher die Sache jmds. führen, verteidigen, zu der seinigen machen,
mit jmdm. gemein(sam)e Sache machen (L003 Johann Christoph Adelung 1777), dazu "Sachwalter" (s. unten); übertragen: Die Sache Gottes, der Religion vertheidigen (ebenda); dazu ⇑ "Ursache", "Widersacher"; von hier aus dann, z. T. auch als Lehnbildung nach lat. causa (vgl. Glotta 10,158) bereits althochdeutsch ⇓ "S025" verallgemeinert
2Obliegenheiter macht seine Sache gut, schlecht; es ist nicht meine Sache, mich auf so etwas einzulassen; es ist seine Sache, wie er damit fertig wird, gedeihliche Antwort zu finden, ist nicht seine Sache (L003 Johann Christoph Adelung 1777), Die Dichtung, sagt' ich, meiner Sache gewiß, ist der Anfang und das Ende dieser Wissenschaft (A131 Friedrich Hölderlin, Hyperion 81); im Sinne von ›Angelegenheit‹: weislich thun in allen Sachen vnd Gottes gebot (A180 Martin Luther, Sirach 19,18), sich in Sachen / die ihm nicht / angehen mischen (L308 Kaspar Stieler), Ein Buch früh bey dem Thee ist eine gute Sache (Gellert; L003 Johann Christoph Adelung 1777), Natur der Sache (L003 Johann Christoph Adelung 1777) von Feststehendem; es ist Sache des Taktes, das Genauere zu bestimmen, unverrichteter Sache, die Sache geht gut, wird langweilig; damit ist es so eine Sache; das tut nichts zur Sache, das dient zur Sache; zur Sache reden, kommen, bei der Sache bleiben (L169 Matthias Kramer), mit sein zur Bezeichnung von Konzentration: Trotzdem sie… durch eine falsche Wortergänzung… verrät, wie wenig sie bei der Sache ist (B.A254 Botho Strauß, Paare 20); in gesprochner Sprache, als Aufforderung nun zur Sache! (L169 Matthias Kramer), ironisch Man erzahlt von Ihnen schone Sachen (L033 Joachim Heinrich Campe), mahnend Machen Sie mir nicht wieder solche Sachen (L033 Joachim Heinrich Campe), »in heutiger umgangssprache« die sache ist die (L059 DWb); daneben
3greifbares Ding, Gegenstand‹, häufig im Plural: er packt seine Sachen zusammen, redensartlich seine sieben Sachen (L169 Matthias Kramer), speziell ›Kleidung‹: alte Sachen (ebenda), ›Zutaten‹: die Sachen darzu einkauffen(ebenda), Gegensatz zu Personen, Personen- und Sachenrecht, auch auf geistige Produkte bezogen ›etwas Hervorgebrachteswie die Poeten mir schon ihre Sachen vorlesen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise 29.12.1786), Gegensatz "Wort": Wörter und Sachen, dazu Sachwörterbuch (L033 Joachim Heinrich Campe), Sachregister (L004 Johann Christoph Adelung), Gegensatz Wortregister; umgangssprachlich heute auch
4Stundenkilometer‹: er fährt mit 100 Sachen.
Sachkenntnis A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 5.6.18: Sachkenntnis und Überblick.
Sachverstand »zum Unterschiede von dem Wortverstande« (L003 Johann Christoph Adelung 1777), dazu
Sachverständiger »derjenige, welcher.. das.. Geschäft.. verstehet« (ebenda), ›Experte‹: nach dem urtheil der sachverständigen (Schiller; L059 DWb);
Sachwalter (mhd. ), wie ›Anwalt, Verteidiger‹ häufig übertragen: dasz ich… , anstatt die empörten zu züchtigen… , ihren sachwalter abgegeben (Wieland; L059 DWb);
Sachzwang"S149" (L097 GWb) ›Beschränkung aufgrund äußerer unumgänglicher Umstände‹, in der Politik häufig gebrauchtes rechtfertigendes ⇓ "S192" Schlagwort, zumeist im Plural;
sachlich (um 1820) ›konkret, auf das Wesentliche bezogen‹: sachliche darstellung (L059 DWb), Gegensatz z. B. "emotional";
sächlich ursprünglich nur Wortbildungselement (vgl. L308 Kaspar Stieler), dazu hauptsächlich, ↑ "ursächlich" etc.; seit L003 Johann Christoph Adelung 1781 speziell grammatikalisch für "neutral"; dann auch allgemeiner zu Sache(2) und (3) »eine Sache angehend« (L033 Joachim Heinrich Campe), Das sachliche Recht (ebenda);
Sachlichkeit (1828 E.M.Arndt; L320 Trübner), ›den Gegebenheiten angemessene Haltung und HandlungsweiseSein Stil in der nackten, oft nüchternen Sachlichkeit (L264 Daniel Sanders), dazu Neue Sachlichkeit (1919; L320 Trübner), ⇓ "S061" Bezeichnung zunächst der Kunstkritik (bildende Kunst, F.G.Hartlaub) und dann auch der ⇓ "S127" Literatur, v. a. 1924–29, Abwendung vom (Spät-)Expressionismus und Betonung des Stofflichen, der neuen Wirklichkeit mit entsprechenden literarischen Formen wie Gebrauchslyrik, Tatsachenroman, Zeitstück. K.Petersen, Neue Sachlichkeit, in: L058 DVjS 1982,463ff.
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