Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Ruhe
ahd. ruowa, mhd. ruowe, altgermanisch (altnord. ro, altengl. row), wurzelverwandt ↑ "Rast"; zunächst1 ›Aufhören oder Unterbrechung der Arbeit‹, sich zur Ruhe setzen ›sich aus dem Arbeitsleben zurückziehen‹ (1. Hälfte des 18. Jahrhunderts; L320 Trübner), frühneuhochdt. sich zur Ruhe tun (vgl. L059 DWb), besonders häufig die Ruhe im Schlaf, der Schlaf bringet den Leib zur Ruhe(L308 Kaspar Stieler), sich zur Ruhe begeben (Fischart; L059 DWb), auch allgemeiner ›Ungestörtsein‹ Ruhe finden (Jeremia 45,3), haben (vor jmdm. , etwas) (L004 Johann Christoph Adelung), suchen, zur Ruhe kommen (L305 Christoph Ernst Steinbach), jmdn. in Ruhe lassen (L308 Kaspar Stieler), älter mit (ebenda), auch in der Aufforderung gieb Ruhe (L004 Johann Christoph Adelung); nach der Mühsal des Lebens (im Tod) ewige Ruhe (mhd. ), letzte Ruhe, zur letzten Ruh begleitet (J.Ch.Günther; L059 DWb); weiterhin schon althochdeutsch
2 ›innere Beständigkeit, Gleichmaß der Seele‹ (L320 Trübner), ursprünglich nur in der religiösen Vorstellungswelt, jetzt profanisiert: Meine Ruh ist hin, / Mein Herz ist schwer; / Ich finde sie nimmer / Und nimmermehr (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,3374ff.); schon mittelhochdeutsch auch von Gegenständen
3 ›Bewegungslosigkeit‹: aller bewegunge ende ist diu ruowe(Meister Eckhart; L320 Trübner), ruhe ist die beharrliche gegenwart an einem orte (I.Kant; L059 DWb); weiterhin
4.1 ›Stille, Geräuschlosigkeit‹: Die Mitternacht zog näher schon / in stummer Ruh lag Babylon (A118 Heinrich Heine, Belsatzar), dazu als Zuruf Ruhe!: P.: Ich meine, man müßte das Ticken hören. W.: Ruhe!(A007 Samuel Beckett, Godot 51);
4.2 ›Ordnung, regelmäßiger Zustand in einem Gemeinwesen‹ Fried und Ruge im Land (1.Makkabäer 9,57), hierzu das ⇓ "S192" Schlagwort der 1848er Revolutionäre von der tödlichen Kirchhofsruhe, nach A222 Friedrich Schiller, Karlos 3,10: König: Hier blüht des Bürgers Glück in nie bewölktem Frieden und diese Ruhe gönn ich den Flamändern. Posa: Die Ruhe eines Kirchhofs – –, gleichbedeutend ↑ "Friedhofsruhe", Ruhe ist die erste Bürgerpflicht(Graf von der Schulenburg-Kehnert 1806 nach der Schlacht bei Jena), danach auch Romantitel von W.Alexis (1852), ↑ "Unruhe". Im Gebrauch der Literatur- und Alltagssprache sind die Bedeutungen von Ruheoft nicht voneinander zu scheiden: Rasch saust sie um die Welt, die aufhorcht und wieder in Ruhe versinkt (R.A289 Ror Wolf, Männer 95), Beschwichtigung war, was ich brauchte. Ruhe, die nicht Grabesruhe war. Lebendige Ruhe. Liebesruhe (Ch.A284 Christa Wolf, Kassandra 139). ↑ "geruhsam".
ruhen ahd. ruowen, mhd. ruowen, entspricht zunächst der ursprünglichen Bedeutung von Ruhe, dann auch für leblose Gegenstände, teilweise mit einer Personifizierung: die Waffen ruhen, nun ruhen alle Wälder, teilweise nur als Gegensatz zur Bewegung. Ein Schwinden der sinnlichen Grundanschauung zeigen die Verbindungen mit aufoder in: sein Auge / Blick ruht auf uns, Fluch ruht auf ihm, Jedes Bild ruht besser im Gedächtnis als das Leben selbst (A140 Elfriede Jelinek, Lust 119), ↑ "beruhen". Transitiver Gebrauch erst spät in der Schriftsprache (H. v.Kleist; L059 DWb), zuerst im Niederdeutschen (L275 Karl Schiller/ L275 August Lübben), ⇓ "S064" häufig Ruhe sanft/ in Frieden! oder Hier ruht… als Inschrift auf Grabsteinen nach lat. requiescit in pace (K.E.Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, 111962,2337); dazu
ausruhen (18. Jahrhundert; L059 DWb) transitiv und reflexiv;
ruhig in dieser Form zuerst bei L292 Joannes Serranus (1539), mhd. ruowic, frühnhd. rügig: vnd nam ab / vnd starb / in einem rügigen alter / da er alt vnd lebens sat war (A180 Martin Luther,1.Mose 25,8);
1 Adjektiv und Adverb ›ohne Bewegung, still, mit gleichmäßiger Bewegung, geräuschlos‹: da war kein klosz, der ruhig blieb(G.A.Bürger; L059 DWb); 's ist eine schöne Mondennacht. Der See / Liegt ruhig da als wie ein ebner Spiegel (A222 Friedrich Schiller, Tell 2,2); In diesen ruhigen Stunden (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 30,154 LH); Und ruhig fließt der Rhein (A118 Heinrich Heine; Loreley); ein ruhig heitrer see (Geibel; L059 DWb);
2 Adjektiv und Adverb ›ohne innere Erregung, gelassen‹: Sey ruhig, bleibe ruhig, mein Kind(A075 Johann Wolfgang von Goethe, Erlkönig); Er saß mit Würde da in der Sonne und sah ruhig, gelassen, zu mir hinüber – und er spann dabei (A210 Wilhelm Raabe, Stopfkuchen 18,50); ↑ "beruhigen". Was man mit (innerer) Ruhe, d. h. unbesorgt tun kann, mag später als etwas betrachtet worden sein, für das es keine Hinderungsgründe gibt und das also erlaubt ist, daher
3 ⇓ "S002" Abtönungspartikel (wohl 19. Jahrhundert), in eine Erlaubnis ausdrückenden Imperativ- und einräumenden Aussagesätzen sowie indirekten Berichten über solche Handlungen, ›Sprecher zeigt an, daß es (nach seiner Einschätzung) für die genannte Handlung keine Hinderungsgründe gibt, ohne Bedenken‹: Sie treffen die junge Dame allein; gehen Sie nur gefälligst ruhig hinauf(1876 A210 Wilhelm Raabe, Wunnigel 13,48); Reden Sie ruhig frei von der Leber weg(Fallada; L337 WdG); Menschen,… die man ruhig schwachsinnig nennen kann (Th.A012 Thomas Bernhard, Frost 9).
2 ›innere Beständigkeit, Gleichmaß der Seele‹ (L320 Trübner), ursprünglich nur in der religiösen Vorstellungswelt, jetzt profanisiert: Meine Ruh ist hin, / Mein Herz ist schwer; / Ich finde sie nimmer / Und nimmermehr (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,3374ff.); schon mittelhochdeutsch auch von Gegenständen
3 ›Bewegungslosigkeit‹: aller bewegunge ende ist diu ruowe(Meister Eckhart; L320 Trübner), ruhe ist die beharrliche gegenwart an einem orte (I.Kant; L059 DWb); weiterhin
4.1 ›Stille, Geräuschlosigkeit‹: Die Mitternacht zog näher schon / in stummer Ruh lag Babylon (A118 Heinrich Heine, Belsatzar), dazu als Zuruf Ruhe!: P.: Ich meine, man müßte das Ticken hören. W.: Ruhe!(A007 Samuel Beckett, Godot 51);
4.2 ›Ordnung, regelmäßiger Zustand in einem Gemeinwesen‹ Fried und Ruge im Land (1.Makkabäer 9,57), hierzu das ⇓ "S192" Schlagwort der 1848er Revolutionäre von der tödlichen Kirchhofsruhe, nach A222 Friedrich Schiller, Karlos 3,10: König: Hier blüht des Bürgers Glück in nie bewölktem Frieden und diese Ruhe gönn ich den Flamändern. Posa: Die Ruhe eines Kirchhofs – –, gleichbedeutend ↑ "Friedhofsruhe", Ruhe ist die erste Bürgerpflicht(Graf von der Schulenburg-Kehnert 1806 nach der Schlacht bei Jena), danach auch Romantitel von W.Alexis (1852), ↑ "Unruhe". Im Gebrauch der Literatur- und Alltagssprache sind die Bedeutungen von Ruheoft nicht voneinander zu scheiden: Rasch saust sie um die Welt, die aufhorcht und wieder in Ruhe versinkt (R.A289 Ror Wolf, Männer 95), Beschwichtigung war, was ich brauchte. Ruhe, die nicht Grabesruhe war. Lebendige Ruhe. Liebesruhe (Ch.A284 Christa Wolf, Kassandra 139). ↑ "geruhsam".
ruhen ahd. ruowen, mhd. ruowen, entspricht zunächst der ursprünglichen Bedeutung von Ruhe, dann auch für leblose Gegenstände, teilweise mit einer Personifizierung: die Waffen ruhen, nun ruhen alle Wälder, teilweise nur als Gegensatz zur Bewegung. Ein Schwinden der sinnlichen Grundanschauung zeigen die Verbindungen mit aufoder in: sein Auge / Blick ruht auf uns, Fluch ruht auf ihm, Jedes Bild ruht besser im Gedächtnis als das Leben selbst (A140 Elfriede Jelinek, Lust 119), ↑ "beruhen". Transitiver Gebrauch erst spät in der Schriftsprache (H. v.Kleist; L059 DWb), zuerst im Niederdeutschen (L275 Karl Schiller/ L275 August Lübben), ⇓ "S064" häufig Ruhe sanft/ in Frieden! oder Hier ruht… als Inschrift auf Grabsteinen nach lat. requiescit in pace (K.E.Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, 111962,2337); dazu
ausruhen (18. Jahrhundert; L059 DWb) transitiv und reflexiv;
ruhig in dieser Form zuerst bei L292 Joannes Serranus (1539), mhd. ruowic, frühnhd. rügig: vnd nam ab / vnd starb / in einem rügigen alter / da er alt vnd lebens sat war (A180 Martin Luther,1.Mose 25,8);
1 Adjektiv und Adverb ›ohne Bewegung, still, mit gleichmäßiger Bewegung, geräuschlos‹: da war kein klosz, der ruhig blieb(G.A.Bürger; L059 DWb); 's ist eine schöne Mondennacht. Der See / Liegt ruhig da als wie ein ebner Spiegel (A222 Friedrich Schiller, Tell 2,2); In diesen ruhigen Stunden (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 30,154 LH); Und ruhig fließt der Rhein (A118 Heinrich Heine; Loreley); ein ruhig heitrer see (Geibel; L059 DWb);
2 Adjektiv und Adverb ›ohne innere Erregung, gelassen‹: Sey ruhig, bleibe ruhig, mein Kind(A075 Johann Wolfgang von Goethe, Erlkönig); Er saß mit Würde da in der Sonne und sah ruhig, gelassen, zu mir hinüber – und er spann dabei (A210 Wilhelm Raabe, Stopfkuchen 18,50); ↑ "beruhigen". Was man mit (innerer) Ruhe, d. h. unbesorgt tun kann, mag später als etwas betrachtet worden sein, für das es keine Hinderungsgründe gibt und das also erlaubt ist, daher
3 ⇓ "S002" Abtönungspartikel (wohl 19. Jahrhundert), in eine Erlaubnis ausdrückenden Imperativ- und einräumenden Aussagesätzen sowie indirekten Berichten über solche Handlungen, ›Sprecher zeigt an, daß es (nach seiner Einschätzung) für die genannte Handlung keine Hinderungsgründe gibt, ohne Bedenken‹: Sie treffen die junge Dame allein; gehen Sie nur gefälligst ruhig hinauf(1876 A210 Wilhelm Raabe, Wunnigel 13,48); Reden Sie ruhig frei von der Leber weg(Fallada; L337 WdG); Menschen,… die man ruhig schwachsinnig nennen kann (Th.A012 Thomas Bernhard, Frost 9).