Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
rufen
ahd. (h)ruof(f)an, mhd. ruofen (Nebenform rüefen), westgermanisch ursprünglich reduplizierendes starkes Verb (altengl. hropan, daneben schwaches Verb got. hropjan, altnord. hropa). Präteritum und Partizip wurden früher auch schwach gebildet, rufte noch im 18. Jahrhundert, häufig bei Klopstock, vereinzelt auch bei A075 Johann Wolfgang von Goethe (Werther 19.26,27), Schiller, Voß u. a.;1die menschliche Stimme laut ertönen lassen‹; danach auch auf Tierstimmen bezogen, die man durch artikulierte Töne wiederzugeben gewohnt ist (der Kuckuck ruft). Als Objekt stehen zu rufen die direkt angeführten Worte, z. B. er rief »komm her«; seltener indirekte Rede; vereinzelt auch ein Akkusativ des Inhalts: jmdm. Beifall rufen. Bei Luther und in Anlehnung daran sagt man zu Gott, zu den Heiligen rufen; im Sinne von ›telefonieren‹ (1925; L320 Trübner), ↑ "anrufen";
2 sehr gewöhnlich liegt in rufenzugleich die Aufforderung herbeizukommen. In nach jmdm. rufen liegt dieser Sinn noch mehr in der Präposition als im Verb. Noch weniger ist um Hilfe rufen eigentlich hierher zu ziehen. Anders steht es, wenn die Person, der die Aufforderung gilt, durch einen einfachen Kasus ausgedrückt wird oder aus dem Zusammenhang zu ergänzen ist. Ursprünglich stand der Dativ, der nach und nach hinter den Akkusativ zurückgetreten ist, so daß der erstere, im 18. Jahrhundert noch häufig (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,482 Wer ruft mir?), jetzt ungewöhnlich geworden ist. Es kann außerdem noch der Ort, wohin, oder der Zweck, zu dem gerufen wird, angegeben werden: die Wache ruft ins Gewehr, man ruft zur Mahlzeit; in diesem Fall ist auch schon früher nur der Akkusativ, nicht der Dativ üblich: rufe ihn hierher. Sehr häufig wird das auffordernde rufenübertragen gebraucht, so von anderen Tönen: die Glocke ruft zum Gebet; mit sonstigen nicht persönlichen Subjekten: das Schicksal, die Pflicht, der Tod ruft; ferner etwas (eine Einrichtung) ins Leben rufen, jmdm. etwas ins Gedächtnis rufen, etwas "hervorrufen" ›etwas bewirken‹, zurückrufen.Eine Verbindung mit prädikativem Adjektiv ist wachrufen,
wie gerufen kommenwie gewünscht‹ (L308 Kaspar Stieler). Da der Gerufene oft beim Namen genannt wird, auch
3nennen‹: Jöche ist ein besonderer Name. Seine Mutter hatte ihn so gerufen, so hiess er in der Schule (A143 Uwe Johnson, Jakob 62).  Dazu ⇑ "Beruf", "Gerücht", "berüchtigt", "ruchbar", "anrufen", "aufrufen", "verrufen", "widerrufen".
Ruf ahd. (h)ruof, mhd. ruof, gemeingermanisch (got. hrops, altnord./ altengl. hrop), verwandt mit ↑ "Ruhm";
1das laute Ertönen menschlicher Stimmen‹: der rauhe Gesang einer wüsten Soldatenschar oder der Ruf der Nachtwächter (A210 Wilhelm Raabe, Galeere 450), auch (18. Jahrhundert; L059 DWb) auf Vogelstimmen bezogen, Ruf des Kuckucks, der Wachtel;
2 gewöhnlicher liegt darin zugleich eine Aufforderung: auf seinen Ruf eilten alle herbei, dazu Rufname (18. Jahrhundert); übertragen auch auf ein durch andere Töne gegebenes Zeichen: was bedeutet der Trompeten Ruf?(Schiller), ferner auch auf einen Antrieb, der sich gar nicht in Tönen äußert: so ist des Geistes Ruf an mich ergangen(Schiller), ich gehe mit Euch und folge dem Rufe des Schicksals(Goethe), hierbei steht das Rufende im Genitiv; seit 1947 Name der Nachkriegszeitschrift Der Ruf. Speziell ›Aufforderung zur Annahme einer Stelle, insbesondere einer Professur‹;
3Kunde, die sich von etwas verbreitet‹: Ruf, der von der Wahlstatt aufgehobene Körper sei nicht der wahre Körper des Sebastians (Lessing). Mit diesem veralteten Gebrauch in nahem Zusammenhang steht allgemein ›Inbegriff dessen, was über jmdn. gesprochen wird, mit Rücksicht auf die Wertschätzung, die sich darin kundgibt‹: Mein medizinischer Ruf ist dahin (A045 Friedrich Dürrenmatt, Physiker 326);
4 Kurzwort für Rufnummer (Telefon) seit etwa 1925, heute eher unüblich. Zu Ruf(3)
Rufmord"S149"schwere Verleumdung‹ (L056 Duden 121941).
Kassandraruf (⇓ "S037" bildungssprachlich) ›unheilvolle, aber ungehört verhallende Warnung‹, nach Kassandra, der Tochter des Königs Priamos von Troja, die, von Apoll mit der Gabe der Weissagung beschenkt, dessen Werben zurückwies und insofern bestraft wurde, als – bewirkt durch Apoll – ihren Warnungen kein Glauben geschenkt wurde, wohl erst im 20. Jahrhundert gebucht (L056 Duden 121941), nicht auf die Kassandrarufe der Opposition hören (L099 3GWb); vgl. Duden, Band 12: Zitate und Aussprüche, bearbeitet von W.Scholze-Stubenrecht, 1993,255.
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