Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Rücken
starkes, später schwaches Mask. , ahd. (h)rukki, mhd. rück(e), ruck(e), altgermanisch (altnord. hryggr, engl. ridge aus altengl. hrycg). Die alte Form hat sich in der Verkürzung Rück bis ins Frühneuhochdeutsche erhalten, noch bei Goethe vereinzelt es schmerzt mich Rück' und Arm; allgemein in ⇑ "zurück", "hinterrücks", in den Zusammensetzungen "Rückgrat", "Rückhalt"(1), "Rückseite" (s.unten); verschieden davon Rückzurück‹ s. unten. In oberdeutschen Mundarten ist das Wort umlautlos (↑ "Brücke"), danach bei Goethe Rucken im Reim auf spucken;⊚⊚ mit dem Rücken ansehen scherzhaft ›verlassen müssen‹; im Rücken haben, lassen, liegen; jmdm. , einer Sache den Rücken kehren, wenden; jmdm. den Rücken decken(frühnhd. halten) ›jmdm. Schutz und Unterstützung gewähren‹. Übertragen ›der hintere oder obere Teil von etwasRücken eines Berges, eines Messers, eines Buches, der Nase, des Fußes, der Hand; da nahm Zarathustra seinen Weg über den Rücken der Insel (A200 Friedrich Nietzsche, Zarathustra 193), literarisch Rücken eines Gewässers. Adverbialverbindungen: "hinterrücks" (s. oben) mit sekundärem s: nimm diesen Degen, jag' mir ihn hinterrücks in den Bauch (Schiller), gewöhnlich mit dem Sinn des Heimtückischen. In nominaler Zusammensetzung tritt dafür Rück- ein: Rückfahrt, Rückgang, "Rückkehr" (s. unten), Rückkunft, Rückreise, Rückgabe, Rückerstattung, Rückkauf, Rücknahme, Rückerinnerung, "Rückweg" (s. unten), Rückfracht usw.; auch "rückwärts" (s. unten) gehört hierher. Dieses rück- steht nicht selten auch beim substantivierten Infinitiv und beim Partizip Präsens, literarisch zuweilen auch sonst vor Verbalformen: rückzuführen ihn, den Cid (Herder), rückbannen die entflohnen Zeiten (Lenau).
Rückblick Ende des 18. Jahrhunderts, meist übertragen: rückblick ins leben (Klinger; L059 DWb);
Rückfall (1716; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), ⇓ "S124" Lehnübersetzung von franz. récidive; zumeist übertragen, Rückfall von Lehen und Mitgift, besonders ⇓ "S132" medizinisch Rückfall in eine Krankheit (L004 Johann Christoph Adelung), ein Laster u.ä. (18. Jahrhundert; L059 DWb);
rückfällig (1716; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), wohl Lehnübersetzung von lat. recidivus; der rückfällige verbrecher (Schiller; L059 DWb);
rückgängig (L169 Matthias Kramer 1678), jetzt nur in rückgängig machen; früher auch rückgängig werden, auch Rückgang (L284 Justus Georg Schottelius 1663);
Rückgrat ↑ "Grat", ⇓ "S077" ursprünglich Mask. , erst spät zum Neutrum geworden; bei Goethe als Mask. und Neutr. Übertragen
Rückgrat habensich nicht leicht beeinflussen lassen‹, Beleg ↑ "Kreatur"; dafür seit dem Mittelhochdeutschen bis 18. Jahrhundert auch Rückenbein (noch J.M.R.A174 Jakob Michael Reinhold Lenz, Hofmeister 1,4);
Rückhalt
1Unterstützung, Reserve‹ (1521 Luther; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), früher auch Rückenhalt;
2Zurückhaltung, Vermeidung der vollen Hingabe, vollen Aussprechens‹, fast nur noch in der Verbindung ohne Rückhalt, entsprechend
rückhaltlos L033 Joachim Heinrich Campe 1809 ›ohne Einschränkung, unbedingt, ohne Vorbehalt‹;
Rückkehr (1716; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt);
rückläufig (1716; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt);
rücklings mhd. rücklinges (ahd. ruchilingun);
1.1auf dem Rücken‹: rücklings liegen, schlafen, schwimmen;
1.2 gewöhnlicher ›auf den Rücken‹: rücklings legen, fallen;
1.3in der Richtung, wo sich der Rücken befindet‹, d. h. ›nach hinten‹: vorige Neujahrsnacht wankte sie rücklings aus der Haustür (Voß);
Rucksack (L059 DWb) aus ⇓ "S163" oberdeutscher Mundart um 1890 aufgenommen;
Rückschritt (L308 Kaspar Stieler); übertragen Gegensatz zu ↑ "Fortschritt": Jene Philosophie ist lediglich ein Rückschritt zu dem alten und verbreitetsten Irrthum (Fichte; L033 Joachim Heinrich Campe);
Rückseite (L003 Johann Christoph Adelung 1777);
Rücksicht 1759 Lessing (L320 Trübner), ⇓ "S124" Lehnübersetzung von lat. respectus; eigentlich
1das Zurücksehen, Rückblick‹, Goethe mit künstlicher Belebung der ursprünglichen Bedeutung: ein Geschäft, das Fleiß und Bestimmtheit im Augenblick erforderte, ohne Vorsicht und Rücksicht zu verlangen;
2Achtung bzw. Beachtung von Gegebenheiten und Umständen‹ (L003 Johann Christoph Adelung 1777: »oberdt.«),
rücksichtlich(Lehnübersetzung von lat. respective, L033 Joachim Heinrich Campe 1809), jetzt mit Genitiv, früher mit auf: rücksichtlich auf das deutsche Theater (Goethe, also wie "hinsichtlich"),
rücksichtslos A075 Johann Wolfgang von Goethe das rücksichtslose Schicksal(Maximen und Reflexionen 42, II,59,20; 42, II,203,12), im Nationalsozialismus Aufwertung, wenn auf eigene Sache bezogen (L021 Karl-Heinz Brackmann/ L021 Renate Birkenhauer); ⇑ "fanatisch", "brutal".
rücksichtsvoll (L264 Daniel Sanders), L033 Joachim Heinrich Campe dafür rücksichtig;
Rücksprache (mittelniederdt.; L275 Karl Schiller/ L275 August Lübben; 1498; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt); ursprünglich in der Kanzleisprache
1die Rückäußerung, welche bei einer Verhandlung auf einen Antrag, eine Forderung erfolgt‹, Gegensatz Einsprache;
2 allgemein (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch) »Unterredung.. mit solchen, welche in einer Sache etwas zu sagen haben« (L004 Johann Christoph Adelung);
Rückstand (L284 Justus Georg Schottelius 1663), ⇓ "S124" Lehnübersetzung von (franz. ) restant;
1Summe, die noch zu bezahlen ist‹: die schott'schen Völker empören sich und drohen abzuziehen, wenn sie nicht heut' den Rückstand noch erhalten (Schiller), häufiger im Plural; im Rückstand sein (L033 Joachim Heinrich Campe) (mit einer Zahlung, einer Arbeit); auch übertragen
2 geistiger rückstand (Gervinus; L059 DWb);
rückständig (L308 Kaspar Stieler 1691), veraltend
1 rückständig Sold u.dgl., auch rückständig mit einer Summe sein;
2 wohl erst neuer (nicht im L059 DWb) ›unterentwickelt, veralteten Ansichten anhängend‹;
Rücktritt (L284 Justus Georg Schottelius 1663) ›das Zurücktreten‹ (L033 Joachim Heinrich Campe); zumeist übertragen rücktritt eines ministers (L059 DWb);
rückwärts (1641; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) ›nach der Richtung zu, wo der Rücken sich befindet‹, daher ›nach hinten‹, Gegensatz ↑ "vorwärts", auch in uneigentlichem Gebrauch. Südostdeutsch ›hinten‹: wie wir da knieten, rückwärts ich, du vorn (Grillparzer), rückwärts ist die unzugängliche Seewand (A.Stifter); daher auch nach, von rückwärts, daran anschließend das Adjektiv
rückwärtig (Mitte des 18. Jahrhunderts; L059 DWb) an der rückwärtigen Seite des Fuhrwerks (1877 Anzengruber), hinter der rückwärtigen Mauer(Hofmannsthal), am rückwärtigen Fenster (derselbe);
Rückweg (1716; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt);
Rückzug du solltest nicht von hinnen / und so den rückzug tun (1634 Fleming; L059 DWb).
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