Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
richten
ahd. rihten, gemeingermanisches Faktitivum zu "recht" (got. [ga-]raihtjan, altnord. retta);1 zunächst nach der ursprünglichen Bedeutung von rechtetwas Krummes gerade machen‹, so noch in der Sprache mancher Handwerke: die Kammacher richten die krummen Hörner (L004 Johann Christoph Adelung); daher Bezeichnung von Geräten wie Richteisen, Richthammer, Richtstock. Zur Bestimmung der Geradheit dienen Richtscheit und Richtschnur. Biblisch richtet den Weg des Herrn;
2 insbesondere ›in senkrechte Lage bringen‹: sie wurden wieder lebendig und richteten sich auf ihre Füße (Luther); (sich) in die Höhe richten, besonders "aufrichten". ⇓ "S025" Ursprünglich nur gebraucht, wenn das Objekt sich vorher in krummer Stellung befand, wurde es später auch angewendet, wenn liegende Stellung ohne Krümmung voranging: eine Stange aufrichten;
3 man sagt ein Haus ist gerichtet, wenn das Zimmerwerk gefügt ist; dazu Richtfest, Richtschmaus, Richtbier;
4einen Gegenstand in solche Lage bringen, daß er sich (in gerader Linie) auf ein Ziel zu bewegt‹: ein Geschoß, seine Blicke, die Augen, das Herz, die Gedanken, einen Angriff auf etwas richten, auch eine Bitte, Frage an jmdn. richten;
5 nach etwas richten eigentlich ›die Stellung eines Gegenstandes durch einen anderen bestimmen‹: die Segel nach dem Winde richten; übertragen z. B. richte alle deine Sachen nach Gottes Wort (Luther), und mach' und nachricht's meinem Sinn(Goethe); allgemein sich nach etwas (jmdm. ) richten ↑ "Nachricht";
6zurecht machen, in Ordnung bringen‹: das Zimmer, das Bett, den Tisch richten (⇓ "S212" süddt.); daß ich jetzt noch nach Hause gehe, wo man sich schwerlich auf mich gerichtet hat (Schiller). Vgl. zurichten, "ausrichten", "einrichten", "vorrichten", "verrichten"; "Gericht". Unsicher ist, ob hierher oder besser unter (4) zu stellen: ins Werk richtensetzen, zugrunde richten;
7 vom Herrscher: ein Land, ein Volk richtenregieren‹, häufig in der Bibel, also richtete Samuel die Kinder Israel, noch bei A075 Johann Wolfgang von Goethe: so werden nach altem Herkommen und wenigen Statuten die Bürger und die Nachbarschaft gerichtet (Götz 1,4). Vielfach ist keine deutliche Scheidung von (8) möglich;
8"S181" rechtssprachlich (s. unten Richter), ausgehend von der Bedeutung ›in Ordnung bringen‹. Zunächst transitiv; als Objekt steht die Person, über die Gericht gehalten wird, oder auch das Gebiet, über das sich die Gerichtsbarkeit erstreckt: er wird den Erdboden richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit (Luther), oder die Angelegenheit, um die es sich handelt: die kleinen Sachen sie richteten (Luther). Gewöhnlich aber intransitiv gebraucht: richten über jmdn. , zwischen zwei Parteien. Häufig auch von außergerichtlichem Urteil: richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet (Luther). Auch vom Vollzug der Strafe: Antiochus ließ ihn… richten an dem Ort, da er Oniam erstochen hatte (Luther); mit dem Schwert, Strang usw. richten. Die schillernde Vielfalt der Bedeutungen von richten bei A200 Friedrich Nietzsche: Dass er sich selber richtete, war sein höchster Augenblick (Zarathustra 45). Dazu ↑ "hinrichten", Richtstätte, Richtplatz, Richtschwert usw., ↑ "Scharfrichter".
Richter ahd. rihtari, mhd. rihtære, rihter; richten(7) und (8) entsprechend, übertragen wo gewalt richter ist (L059 DWb), der innere RichterGewissen‹ (L059 DWb) und auf Gott bezogen du richter aller sachen (Gerhardt; L059 DWb), Kampfrichter, "Kunstrichter", "Schiedsrichter";
Richtung ahd. rihtunga, mhd. rihtunge; zunächst v. a. ›Gericht, Urteil‹ auch ›(Ordens-)Regel‹ (L287 Rudolf Schützeichel). Im Neuhochdeutschen seit ca. 1800 (L059 DWb) häufiger richten(3) und (4) entsprechend und übertragen: jmd. , etwas nimmt eine Richtung, die Richtung einer Zeit, Epoche, etwas in einer bestimmten Richtung äußern;
Nachrichter (mhd. ) (veraltet) zu richten(8) ⇓ "S064" verhüllend ›Henker‹.
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