Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Revolution
"S026" ursprünglich astrologisch < lat. revolutio(1483; L081 FWb) als Bezeichnung für bestimmte Sternenbewegungen. Von dort im 16./ 17. Jahrhundert ⇓ "S027" übertragen auf die durch sie bewirkten Veränderungen im Leben von Personen oder auf die durch diese Himmelsbewegungen gekennzeichneten Zeitabschnitte. Seit dem 17. Jahrhundert allmählich häufiger von Veränderungen, Wandlungen oder Neuerungen jeder Art. Vom frühen 17. Jahrhundert an (1615; L081 FWb) vereinzelt, seit dem 18. Jahrhundert häufiger für Umwälzungen im Bereich des Geistes- und Gefühlslebens, vgl. sexuelle Revolution (↑ "sexuell"). ⇓ "S175" Die Bedeutung ›Wandel im Staatswesen‹ ist seit dem frühen 18. Jahrhundert (1714; L081 FWb) im aufklärerischen Kontext geläufig. Zu der heute dominanten Bedeutung ›gewaltsame Staatsumwälzung, Umsturz, Aufstand‹ kam das Wort erst in der geistigen Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution (z. B. 1791 Herder; L081 FWb); daher seit dem 19. Jahrhundert politischer Kampfbegriff: Die Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte (Marx; L337 WdG); dies ist das Wesen der Revolution… , daß jene Ordnung, die sich das nur gebildete Gehirn nicht wegzudenken vermag, erschüttert und eingeschlagen wird (A266 Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke 2,349). Revolution bildet eine unüberschaubare Vielzahl von Zusammensetzungen und Verbindungen, z. B.: bürgerliche Revolution, proletarische Revolution, 48er Revolution, permanente Revolution, konservative Revolution (A130 Hugo von Hofmannsthal, Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation), Oktoberrevolution, Novemberrevolution, "Weltrevolution" (↑ "Welt"), Revolution von oben, industrielle Revolution"S124" Lehnübersetzung von engl. industrial revolutionwirtschaftliche Umwälzungen durch die Technisierungsprozesse des 18./ 19. Jahrhunderts‹ (1843; W.Schulze, Einführung in die neuere Geschichte 112), ⇓ "S231" seit Oktober/ November 1989 friedliche, sanfte, stille Revolutionfür die politischen Umwälzungen in der DDR (vgl. L131 H/ S/ T). Zum heutigen wissenschaftlichen Gebrauch: »Analytisch gesprochen deckt der moderne Revolutionsbegriff mindestens zwei Erfahrungsbereiche ab, die nicht notwendigerweise zusammengehören. Einmal meint der Begriff die mit Gewalt verbundenen Unruhen eines Aufstandes, der sich zum Bürgerkrieg steigern kann, jedenfalls einen Wechsel der Verfassung herbeiführt. Zum andern.. auch einen langfristigen Strukturwandel, der aus der Vergangenheit in die Zukunft reicht« (Koselleck; L086 GG5,653);revolutionär(1797–1800 F.Schlegel; L081 FWb) < franz. révolutionnaire, unter dem Eindruck der Französischen Revolution ›die Revolution betreffend, eine gewaltsame (Staats-)Umwälzung herbeiführend, aufrührerischrevolutionärer Geist, revolutionär denken, revolutionäre Gesinnung, Regierung, Lieder, Gegensatz ↑ "reaktionär"; gleichzeitig allgemeiner ›eine Wandlung, Veränderung bewirkend‹: künstlerisch revolutionär, Bei den Dadaisten strich ich die Bezeichnung ›revolutionäre‹ Lyrik offenbar darf man revolutionär nur nennen, was den richtigen revolutionären Weg geht (A303 Victor Klemperer 1.4.1954; Tagebücher II,432);
Revolutionär seine [Paines] Theorie der Staatsverfassungen, die er unserm Demokraten und Revolutionnaire entgegenstellt (1793 G.A061 Georg Forster 8,226); seit der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts auch allgemeiner ›Kämpfer für (geistige, kulturelle, wissenschaftliche) Neuerungen, Neuerer‹;
RevoluzzerPseudo-Revolutionär, revolutionärer Mitläufer‹ seit Anfang des 19. Jahrhunderts vereinzelt (1800; L081 FWb) unter Einfluß von ⇓ "S098" ital. rivoluzionario: War einmal ein Revoluzzer / im Zivilstand Lampenputzer / ging im Revoluzzerschritt / mit den Revoluzzern mit (1907 E.Mühsam, Der Revoluzzer; A319 Karl Otto Conrady, 477); häufiger erst 1950ff., abwertend-ironisch für APO-Anhänger gebraucht.
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