Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
reden
ahd. red(i)on, mhd. reden, Ableitung aus "Rede" (s. unten) oder einem verwandten Wort, ursprünglich mit der Bedeutung ›Zahl‹, so daß redenursprünglich ›zählen‹ bedeutet, das über ›erzählen‹ zu der heutigen Bedeutung kommt (L175 Friedrich Kluge/ L175 Elmar Seebold). Das Wort ist im Verhältnis zu ↑ "sagen" und ↑ "sprechen" zu betrachten, im Gegensatz zu diesen hängt von reden selten direkte oder indirekte Rede ab, doch vgl. Dupuy-Engelhardt, reden, sagen, sprechen, in: Recherches Linguistiques. Articles offerts à M.Philipp. Réunis par H.Dupuy u. a., 1982,102 und A180 Martin Luther, 1.Könige 1,13: Hastu nicht / mein Herr König / deiner Magd geschworen vnd geredt / Dein son Salomo sol nach mir König sein vnd er sol auff meinem Stuel sitzen? 1zusammenhängende, inhaltlich bestimmte sprachliche Äußerungen hervorbringen‹; zur Unterscheidung von "sprechen": »Von Papageyen.. kann man sagen, daß sie sprechen; es würde aber ungereimt seyn, zu sagen, daß ein Papagey lange geredet hat« (L063 Johann August Eberhard 1800). »Das Kind fängt im zweyten Jahre.. an zu sprechen; aber ein junger Mensch.. muß oft vor zahlreichen Versammlungen reden, um sich zu gewöhnen ohne Furcht und mit der Gegenwart des Geistes zu reden« (ebenda). Gegensatz ⇑ "schweigen", "stumm"sein (im Augenblick): Dann stand ich stumm, denn nun mußte er reden (M.v.d.A093 Max von der Grün, Irrlicht 22).
2 Mit Adverb oder anderen Bestimmungen,
2.1 auf die Art und Weise bezogen: laut, leise, viel, zusammenhanglos, unverständlich, wie ein Buch, wie ein Wasserfall reden; Einige Zeit lang sprachen wir mit den Augen, dann redete sie laut von alltäglichen Dingen (M.v.d.A093 Max von der Grün, Irrlicht 107), hierzu
gut reden habenleichtfertig Ratschläge geben, ohne die Lage eines anderen zu begreifen‹ (1850 Gotthelf; L320 Trübner).
2.2 Mit Gewicht auf dem Inhalt: offen, unverblümt, in Rätseln reden; Ich will mit Ihnen schlafen, ich will Kinder von Ihnen haben. Ich weiß, ich rede schamlos (A045 Friedrich Dürrenmatt, Physiker 320);
2.3 auf die Sprache bezogen deutsch, auf Deutsch, in einer fremden Sprache reden (vgl. [5.2]).
3 Der Bezug zum Hörer (vgl. [5.2]) wird hergestellt durch
3.1 die Präposition mit: Er solte von ernstlichen Sachen mit mir reden / er hörte wol / daß er kein Kind vor sich hätte (A091 Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Simplizissimus 33), mit jmdm. reden nimmt oft die Bedeutung ›verhandeln, beratschlagen‹ an, hierzu
mit sich reden lassennachgiebig, entgegenkommend sein‹; seltener bei einseitig gerichteter Mitteilung
3.2 mit zu: Klingsor redete freundlich zu ihm von seinem Vaterlande und seiner Reise (A202 Novalis, Ofterdingen 270).
4 Auf den Redegegenstand verweisen die Präpositionen
4.1 über: Man kann nicht nur über Poesie und Politik reden (A109 Peter Härtling, Hölderlin 178),
4.2 von: Es wäre nun leicht, von diesen vier Söhnen zu reden,… wir begnügen uns vielmehr damit, von diesem einen überzähligen Finger zu reden (R.A289 Ror Wolf, Männer 87), hierzu
von sich reden machenauf sich aufmerksam machen‹: Er hat von sich reden gemacht damals, ein junger Lehrer, der die Schulbücher zerreißt (M.A064 Max Frisch, Andorra 488). Die innere Einstellung zum Redegegenstand kann ausgedrückt werden mit
4.3 für: er redete für die Vorschläge (L059 DWb),
4.4 gegen einen oder etwas reden (L059 DWb), biblisch oft
4.5 wider: Sie möchten wider vns reden und schwätzen (1.Samuel 27,11).
5 Als Objekte sind möglich Akkusativ und Dativ,
5.1 Akkusativ-Objekt
5.1.1 zur Charakterisierung des Inhalts: Gutes, Schlechtes, ein offenes Wort, Blech, dummes Zeug reden; Und red keinen Unfug! (M.A064 Max Frisch, Andorra 495), hierzu
mit jmdm. ein Wörtchen zu reden haben (↑ "Wort");
5.1.2 zur Bestimmung der Sprache: wenn ich Deutsch rede, rede ich es mit einem berndeutschen Akzent (A044 Friedrich Dürrenmatt, Dramaturgisches 88);
5.1.3 seit dem 18. Jahrhundert kann in gehobener Sprache das zum Ausdruck gebrachte Objekt im Akkusativ stehen: bald entzücken wir euch, wenn wir nichts als tugend reden (Lessing; L059 DWb); in erweiterter Fügung mit effiziertem Objekt: lasz die narren reden, er wird dir kein loch in den bauch reden (Moscherosch; L059 DWb). Selten, in gehobener Rede,
5.2 mit dem Angeredeten als Dativ-Objekt: dem reden die orakel, der sie nimmt (Schiller; L059 DWb). In der Gerichtssprache war reden
6in einem Rechtshandel die Sache darlegen‹ (L200 Josua Maaler), hierzu gehört ursprünglich
einem das Wort reden (1507; L059 DWb) »defendere aliquem verbis« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch). Literarisch siehe ↑ "sprechen"; ⇑ "anreden", "aufreden", "ausreden", "bereden", "einreden", "überreden", "verreden".
Rede ahd. radia, red(i)a (Nebenform redina, dazu "Redner", s. unten), mhd. rede, got. raþjo. Dieses entspricht lautlich genau dem lat. ratio. Vielleicht liegt darüber hinaus noch ⇓ "S024" Lehnbedeutung nach der lateinischen Entsprechung vor (für eine Entlehnung aus dem Lateinischen vgl. Th.Frings, Antike und Christentum 1949,29 und M.Bréal, in: Mémoires de la Société de Linguistique de Paris 7,137), die Bedeutung im Gotischen stimmt zu der von lat. ratioRechnung, Rechenschaft‹. Diese ursprüngliche Bedeutung
1Rechenschaft‹ ist althochdeutsch noch belegt und liegt noch jetzt in mehreren Wendungen vor, die jedoch vom Sprachgefühl als aus der gewöhnlichen Bedeutung abgeleitet betrachtet werden: ich will Rede (Lessing), wir sind da, dir Rede zu geben(Schiller), allgemeiner Rede und Antwort geben (1698 Gryphius; L059 DWb), zur Rede stellen, Rede stehen (früher zur, zu Rede). Danach
2Bericht über etwas Geschehenes‹ (schon ahd. ): zu stellen die Rede von den Geschichten / so vnter vns ergangen sind (A180 Martin Luther, Lukas 1,1; vgl. Apostelgeschichte 1,1).
3lehrhafte Auseinandersetzung, Disput‹ (ebenfalls schon ahd. ), dann überhaupt
4was jmd. spricht‹: Ewer rede aber sey Ja / ja / Nein / nein (A180 Martin Luther, Matthäus 5,37), jmdm. in die Rede fallen (vgl. "Abrede", "Ausrede", Einrede, Widerrede), die Grammatik unterscheidet direkte Rede und indirekte Rede nach lat. oratio recta und obliqua. Jetzt oft beschränkt auf
5.1kunstmäßiger Vortrag‹ zu feierlichen oder politischen Anlässen, auch
5.2literarische Form‹, nach antikem Vorbild (Cicero) vgl. J.G.Fichte, Reden an die deutsche Nation (1808). Auch für
6Gespräch zwischen mehreren‹ wird Redegebraucht: die Rede kommt darauf, er bringt die Rede darauf, es ist die Rede vones handelt sich um‹, davon kann keine Rede seindas kommt nicht in Frage‹,
nicht der Rede wertbedeutungslos‹ (Schiller; L059 DWb). Im Sinne von
7Gerücht‹ (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741) namentlich in die Rede geht. In bezug auf die Gestaltung der Rede unterscheidet man gebundene Rede als Verdeutschung von Poesie, oratio ligata aus dem Kreis der »Fruchtbringenden Gesellschaft« (17. Jahrhundert; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), ungebundene Rede, große Reden schwingen (wie lat. orationem vibrare) oft ›prahlen‹, gehobene, einfache Rede usw. Bei den Zusammensetzungen ist oft nicht ganz klar, ob sie zu Rede oder reden gehören:
Rededuell (L320 Trübner 1954);
Redefreiheit (Arnim; L059 DWb).
Redekunst (L105 Georg Henisch 1616) ›Rhetorik‹;
Redensart 1605 als Eindeutschung von franz. manière de parler, als ›Phrase, Redewendung‹ 1643 bei Harsdörffer (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt);
Redeweise eine volksthümlich sein sollende redeweise (1842; L059 DWb);
Redewendung (L308 Kaspar Stieler 1691) worte, wortbildungen, wortfügungen, redewendungen und was alles zur grammatik und rhetorik gehört (Goethe; L059 DWb);
redseliggesprächig‹ (15. Jahrhundert reddeselig; L040 Lorenz Diefenbach 15b).
Rederei (Arnim; L059 DWb);
Redner ahd. redinari (um 1000; W.L244 Wolfgang Pfeifer), mhd. redenære, ⇓ "S154" Nomen agentis zum Verb, ›Vortragender, wer eine Rede hält‹, auch ›wer gerade redet‹ (L320 Trübner).
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