Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
recht
ahd. / mhd. reht, gemeingermanisch (got. raihts, altnord. rettr, altengl. riht, engl. right), urverwandt lat. rectus.1 Die ursprüngliche Bedeutung ›gerade‹ erhalten in den Zusammensetzungen "aufrecht", "scheitelrecht", "senkrecht", "waagerecht",lotrecht, steilrecht.Aus ihr erklärt sich auch z. T. die Bedeutung des abgeleiteten Verbs ↑ "richten". Die Bedeutung ›gerade gerichtet‹ liegt auch in den ⇓ "S130" mathematischen Ausdrücken rechter Winkel, Rechteck < mittellat. rectangulum (1757; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), gekürzt < rechtwinkliges Viereck (1747; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) zugrunde, wobei aber die Verwendung des lat. rectusals Vorbild gedient hat;
2 ›richtig‹ hat sich frühzeitig (Gegensatz unrecht und "falsch") entwickelt. Der Übergang hat sich in Verbindungen wie rechter Weg vollzogen. In diesem Sinn ist rechtjetzt nicht mehr so häufig wie in der älteren Sprache, indem "richtig" vorgezogen wird: Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie sollte der je zur rechten Zeit sterben? (1883 A200 Friedrich Nietzsche, Zarathustra 93), auf der rechten Spur sein, das Herz auf dem rechten Fleck haben, das Kind beim rechten Namen nennen, in das rechte Licht setzen, der rechte Glauben, sein rechter Vater (Gegensatz zu Stiefvater), Sohn, Bruder; der Rechte ist noch nicht gekommen, sie hat den Rechten noch nicht gefunden, ironisch du bist mir der Rechte, da bist du an den Rechten gekommen. Prädikativ so ist recht (J.M.R.A174 Jakob Michael Reinhold Lenz, Soldaten 1,1), nicht selten ironisch, auch recht so. Als Adverb neben Verben ist recht in diesem Sinn nicht mehr immer üblich: ich weiß nicht, geh' ich recht oder unrecht? (Schiller), du hast recht geantwortet(Luther), die Arbeit will mir nicht so recht von der Hand(M.v.d.A093 Max von der Grün, Irrlicht 36). Noch geläufig ist hab ich recht gehört (verstanden)? geh ich recht in der Annahme u.dgl. Neben dem Adjektiv: jede alte Schachtel im Dorf weiß Bescheid, wenn es recht geheim zugehen soll (A042 Annette von Droste-Hülshoff, Judenbuche 32). Dafür würden wir jetzt sagen richtig; allgemein aber gebrauchen wir so nicht recht mit abgeblaßtem Sinn; nicht recht zufrieden entspricht also nicht vollkommen dem weiter unten zu besprechenden recht zufrieden (s.[5]). Entsprechend wird nicht recht auch neben Verben gebraucht: ich kann es nicht recht sehen, glauben, ich traue ihm nicht recht; auch rechtmit anderer Art der Verneinung: ohne ihn recht anzusehen, ehe er ihn recht angehört hatte. Dazu stellt sich wieder attributive Verwendung: ich habe kein rechtes Vertrauen, er hat keinen rechten Erfolg, er ist ohne rechte Beschäftigung. Hierher gehört auch erst recht.
3 ⇓ "S181" Speziell ist recht, was den Gesetzen oder den Geboten der Sittlichkeit entspricht (Gegensatz unrecht, nicht falsch): das ist nicht recht von ihm; es ist nicht recht, daß du so handelst; alles, was recht ist; was dem einen recht ist, ist dem andern billig; deine Sache ist recht und schlecht (Luther); jetzt nicht mehr rechte, sondern gerechte Sache. Adverbial sagt man noch recht handeln, schlecht und recht leben (nach der Bibelsprache); kaum noch wie Luther bleibe fromm und halte dich recht. Wie Rechtgebraucht man im Mittelhochdeutschen daz rehte. Davon hat sich der Genitiv in der Form rechtens erhalten: das ist rechtens, was rechtens ist, den Weg rechtens betreten, in aller Form rechtens u.dgl.
4 Mit dem Dativ: das ist mir recht ›meinen Bedürfnissen, Wünschen entsprechend‹: ihm ist nichts recht, man kann es ihm nicht (ihm nichts) recht machen, das kommt mir gerade recht; unpersönlich mir ist nicht recht ›ich fühle mich nicht wohl‹.
5 Von der unter (2) besprochenen adverbialen Verwendung aus hat sich recht zu einer ⇓ "S080" Verstärkung entwickelt: recht gut (ursprünglich ›so, daß es richtig ist, es gut zu nennen‹), viel, wenig usw., sich recht ärgern usw., es tut mir recht leid, sie ist so recht in ihrem Element. Entsprechend kann das Adjektiv verwendet werden: er ist ein rechter Narr, Geck, Esel usw., sie gibt sich rechte Mühe, das macht mir rechte Freude, Sorge usw. Hieran zunächst schließt sich auch der substantivische Gebrauch in er (es) ist etwas (nichts) Rechtes; ironisch da bist du was Rechtes; adverbiale Verwendung der Substantivierung: der seine Frau was Rechts geplagt hat (Goethe).
6 Die rechte Seite eines Tuches, Kleidungsstückes u.dgl. ist diejenige, die dazu bestimmt ist, nach außen gekehrt zu werden. Auch hierbei liegt ›richtig‹ zugrunde.
7 Von ›richtig‹ geht auch die Verwendung für die eine Seite des menschlichen (tierischen) Körpers aus. Zunächst ist die Hand als die rechte bezeichnet, als diejenige, die nach allgemeiner Übung zur Ausführung bestimmter Tätigkeiten zu verwenden ist, während als unrichtig gilt, die linke dazu zu gebrauchen. Die besondere Beziehung auf die Hand zeigt sich noch in zur rechten Hand, rechterhand; ferner in die Rechte ›die rechte Hand‹ (zuweilen stark flektiert: aus seiner Rechte Lessing), wonach dann wieder zur Rechten ›rechts‹: Zur Rechten sieht man wie zur Linken / Einen halben Türken heruntersinken (A267 Ludwig Uhland, Schwäbische Kunde). Erst weiterhin sagt man dann auch rechter Fuß, rechtes Auge usw., rechter Schuh usw. Diese Verwendung von recht beginnt im späten Mittelhochdeutschen, und es wird dadurch das ältere zese(we) zurückgedrängt. Übertragen er ist ihre rechte Hand, ihr rechter Arm ›besondere Vertrauensperson‹. Andere Verwendung der Substantivierung:
Rechte Fem. (vgl. "Linke") ⇓ "S175" von einer politischen Partei nach dem Sitz im Parlament, ursprünglich auf die Verhältnisse in der französischen Nationalversammlung bezogen, deutsch erst 1832: er solle sich weder an das geschwätz der rechten noch der linken kehren (Heine; L059 DWb).
Recht ahd. / mhd. reht, alte Substantivierung des Adjektivs, ↑ "gut".
1 Der Verwendung von recht(2) entspricht es nur noch in bestimmten Verbindungen: (er glaubt, behauptet usw.) mit Recht, mit vollem Recht, mit Fug und Recht; recht haben, jmdm. recht geben: Sie hatten recht behalten. Wer Erfolg hat, behält recht (Ch.A284 Christa Wolf, Kassandra 148), recht an etwas tun, wobei man sich zum Teil, wie die Kleinschreibung andeutet, der substantivischen Natur des Wortes nicht mehr bewußt ist. Der gewöhnliche Sinn von Rechtschließt sich an recht(3) an.
2.1 ⇓ "S181" Recht kann einen Anspruch bezeichnen, also das, was einer Person zukommt, ursprünglich (noch mhd. ) sowohl das, was sie zu leisten, als das, was sie zu beanspruchen hat, dann beschränkt auf das letztere, so daß Recht und ↑ "Pflicht" einander gegenübergestellt werden, während ursprünglich die letztere mit einbegriffen war. Das Rechtin diesem Sinn wird daher als ein Besitz aufgefaßt: das ist mein gutes Recht, dein Recht soll dir werden, das Recht zu etwas haben, jmdm. das Recht zu etwas geben, zugestehen, nehmen, rauben, sein Recht verlieren; Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit(Grundgesetz, Artikel 2); um anzugeben, worauf sich der Rechtsanspruch bezieht, werden Verbindungen mit Präpositionen hergestellt; mit an: Euer gutes Recht an England (Schiller), daher die Zusammensetzung "Anrecht"; mit auf: Ich werde Inspektor und hab ein Recht auf eine gewisse Mitgift (A169 Franz Xaver Kroetz, Maria 114), namentlich regelmäßig, wenn eine Tätigkeitsbezeichnung anzuknüpfen ist: Recht auf Anstellung, Beförderung, freie Meinungsäußerung, dazu "Asylrecht", Wegerecht, Zeugnisverweigerungsrecht usw.; mit zu und Infinitiv: Recht, Münzen zu prägen, Steuern zu bewilligen usw.; seltener steht zu mit Substantiven: Recht zum Szepter (Wieland). Auch Zusammensetzungen können zu diesem Zweck verwendet werden: Wahlrecht (im heutigen Sinn L284 Justus Georg Schottelius 1663,503), Stimmrecht, Münzrecht, Verkaufsrecht, Begnadigungsrecht, Versammlungsrecht, Petitionsrecht, Bewilligungsrecht.Andere Zusammensetzungen dagegen drücken aus, durch welche Eigenschaft das Recht gewährt wird, vgl. Hoheitsrecht, Souveränitätsrecht, Herrscherrecht, Vaterrecht, Sohnesrecht, Gastrecht, Bürgerrecht (mhd. bürgerreht) (wobei an die Gesamtheit der Rechtsansprüche gedacht wird), "Menschenrecht" (üblicher im Plural, doch vgl. die Internationale erkämpft das Menschenrecht), Hausrecht (›Recht, das durch den Besitz des Hauses gewährt wird‹). Hierher auch Vorrecht.
2.2 Rechtbezeichnet die Rechtsordnung, wie sie entweder für die Menschheit überhaupt als bindend gedacht wird oder wie sie innerhalb einer kleineren oder größeren Gruppe von Menschen gilt: gegen das innere Rechtsgefühl das äußere Recht in Anspruch nehmen (A042 Annette von Droste-Hülshoff, Judenbuche 4). Vgl. die biblischen Verbindungen Recht und Gerechtigkeit, Wahrheit und Recht; die Sprichwörter Recht muß doch Recht bleiben; tue Recht, scheue niemand; ferner mit Recht (in Verbindungen wie er ist mit Recht verurteilt), mit welchem Recht, nach Recht, wider (alles) Recht, widerrechtlich, von Rechts wegen; zu Recht bestehen; Recht sprechen, Rechtsprechung; rechtmäßig, rechtskräftig, rechtskundig, Rechtspflege, "Rechtswissenschaft" (s. unten), Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte, Rechtsgelehrter, "Rechtsanwalt" (s. unten), Rechtsbeistand, Rechtskonsulent und viele andere Zusammensetzungen. Man spricht von Naturrecht im Gegensatz zum geltenden bzw. positiven Recht: Sind wir beim Recht? Im Völkerrecht… bleibt der Gedanke des Naturrechts und allmenschlicher Vernunft lebendig (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 538); Die Hauptsache ist, daß über den positiven Rechten der Nationalstaaten ein höher-gültiges, allgemeines sich erhebt (ebenda). Nach den verschiedenen Gebieten, in denen das Recht gilt, unterscheidet man z. B. gemeines Recht, öffentliches Recht, Partikularrecht, Landrecht, Lehnsrecht, Stadtrecht, Völkerrecht, Staatsrecht, Privatrecht, "Strafrecht", Erbrecht, Seerecht, Handelsrecht, Wechselrecht, Zivilrecht; vgl. auch "Kriegsrecht", "Standrecht", "Faustrecht" und römisches Recht, deutsches Recht. In die Rechte studieren bezeichnet der Plural eigentlich das geistliche und das weltliche Recht, was deutlicher hervortritt in Doktor beider Rechte: Dr. iur. utr. In Zusammensetzungen bedeutet -recht ›Aufzeichnung der Rechtsbestimmungen‹: eine Ausgabe des preußischen Landrechts, des Stadtrechts von Straßburg. ⇑ "berichtigen", "gerecht", "Gericht", "richtig";
rechtfertigen mhd. rehtvertigen, ›als berechtigt oder im Recht befindlich erweisen‹, in der Bibel vom Verhältnis zu Gott, nach frühnhd. rechtfertig, mhd. rehtvertic ›so beschaffen, daß vor Gericht bestanden werden kann‹. Frühneuhochdeutsch auch ›zur Rechenschaft ziehen‹ (A180 Martin Luther, Apostelgeschichte 12,19), dafür jetzt ↑ "verhören";
rechtgläubig 15. Jahrhundert, ⇓ "S124" Lehnübersetzung von griech.-lat. orthodoxus.
Rechtsanwalt (H. v.Kleist 1806; L059 DWb) für älteres Advokat (15. Jahrhundert) und landschaftlich (⇓ "S195" schweiz. ) Fürsprech;
rechtschaffen (Luther), ursprünglich ›recht beschaffen‹; das Partizip ohne ge- "wie" "wahnschaffen" ›mißgestaltet‹. Jetzt ›so beschaffen, wie es das Recht, die Sittlichkeit verlangt‹. Früher auch ›ordnungsgemäß, wie es sich gehört‹: meinem rechtschaffenen [›rechten, echten‹] Sohn (Luther), rechtschaffene Frucht der Buße (Luther); auch ›stark‹: rechtschaffene Plage (Lessing); diese Verwendung hat sich bei dem Adverb noch erhalten: jmdn. rechtschaffen quälen.
Rechtschreibung ⇓ "S208" S.L261 Simon Rot 1571 ⇓ "S124" Lehnübersetzung von ↑ "Orthographie": Orthographei, Recht schreibung / also das ein jedes wort mit seinen zugehorigen buchstaben geschriben werde (ebenda), von L284 Justus Georg Schottelius als Terminus durchgesetzt (L059 DWb); Duden. Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter, 91915 (zuvor: Orthographisches Wörterbuch).
Rechtsstaat unter der Zusammensetzung Rechts-Staats-Lehre 1798 verzeichnet (Placidus; L124 HRG), auch bei Adam Müller, Die Elemente der Staatskunst, 1809, Ausgabe 1922, 200; vgl. auch L181 Otto Ladendorf, wohl auf den bei J.G.Fichte (1800) mehrfach belegten rechtsgemäßen Staat zurückzuführen (L360 ZDW3, 327); dazu
rechtsstaatlich;
Rechtssprache ⇓ "S208" L308 Kaspar Stieler 1691 übersetzt termini juridici mit ›Fachsprache im Rechtswesen‹, der Terminus Rechtssprache im 19. Jahrhundert geläufig: die gegenwärtige rechtssprache erscheint ungesund und saftlos, mit römischer terminologie hart überladen (J.Grimm, Vorrede zum L059 DWb1854, XXXI, auch bei L264 Daniel Sanders und L097 GWb).
Rechtswissenschaft L003 Johann Christoph Adelung 1777 für älteres Rechtsgelehrsamkeit (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734), Rechtsgelehrtheit (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741) als Lehnübersetzung von lat. iuris prudentia, scientia (↑ "Jurisprudenz");
rechtzeitig L031 Joachim Heinrich Campe Erg. 1801 als ⇓ "S125" Lehnübertragung von tempestiv;
rechtlich ahd. rehtlih ›in Beziehung zum Recht stehend‹: die rechtlich um den Besitz stritten (Goethe); gewöhnlich ›den Forderungen des Rechts entsprechend‹; nicht allgemein üblich ist der weitere Sinn ›ordentlich, wie es sich gehört‹: um einen Menschen rechtlich zu kleiden (Dahlmann). Als Adverb fungiert die Genitivform
rechts (wie "links"), zuweilen wie eine Präposition mit Genitiv verbunden: rechts des großen Schreibtisches (Goethe, Briefe); prädikativ ohne Flexion kommt rechts in diesem Sinn nicht vor.
2 ›richtig‹ hat sich frühzeitig (Gegensatz unrecht und "falsch") entwickelt. Der Übergang hat sich in Verbindungen wie rechter Weg vollzogen. In diesem Sinn ist rechtjetzt nicht mehr so häufig wie in der älteren Sprache, indem "richtig" vorgezogen wird: Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie sollte der je zur rechten Zeit sterben? (1883 A200 Friedrich Nietzsche, Zarathustra 93), auf der rechten Spur sein, das Herz auf dem rechten Fleck haben, das Kind beim rechten Namen nennen, in das rechte Licht setzen, der rechte Glauben, sein rechter Vater (Gegensatz zu Stiefvater), Sohn, Bruder; der Rechte ist noch nicht gekommen, sie hat den Rechten noch nicht gefunden, ironisch du bist mir der Rechte, da bist du an den Rechten gekommen. Prädikativ so ist recht (J.M.R.A174 Jakob Michael Reinhold Lenz, Soldaten 1,1), nicht selten ironisch, auch recht so. Als Adverb neben Verben ist recht in diesem Sinn nicht mehr immer üblich: ich weiß nicht, geh' ich recht oder unrecht? (Schiller), du hast recht geantwortet(Luther), die Arbeit will mir nicht so recht von der Hand(M.v.d.A093 Max von der Grün, Irrlicht 36). Noch geläufig ist hab ich recht gehört (verstanden)? geh ich recht in der Annahme u.dgl. Neben dem Adjektiv: jede alte Schachtel im Dorf weiß Bescheid, wenn es recht geheim zugehen soll (A042 Annette von Droste-Hülshoff, Judenbuche 32). Dafür würden wir jetzt sagen richtig; allgemein aber gebrauchen wir so nicht recht mit abgeblaßtem Sinn; nicht recht zufrieden entspricht also nicht vollkommen dem weiter unten zu besprechenden recht zufrieden (s.[5]). Entsprechend wird nicht recht auch neben Verben gebraucht: ich kann es nicht recht sehen, glauben, ich traue ihm nicht recht; auch rechtmit anderer Art der Verneinung: ohne ihn recht anzusehen, ehe er ihn recht angehört hatte. Dazu stellt sich wieder attributive Verwendung: ich habe kein rechtes Vertrauen, er hat keinen rechten Erfolg, er ist ohne rechte Beschäftigung. Hierher gehört auch erst recht.
3 ⇓ "S181" Speziell ist recht, was den Gesetzen oder den Geboten der Sittlichkeit entspricht (Gegensatz unrecht, nicht falsch): das ist nicht recht von ihm; es ist nicht recht, daß du so handelst; alles, was recht ist; was dem einen recht ist, ist dem andern billig; deine Sache ist recht und schlecht (Luther); jetzt nicht mehr rechte, sondern gerechte Sache. Adverbial sagt man noch recht handeln, schlecht und recht leben (nach der Bibelsprache); kaum noch wie Luther bleibe fromm und halte dich recht. Wie Rechtgebraucht man im Mittelhochdeutschen daz rehte. Davon hat sich der Genitiv in der Form rechtens erhalten: das ist rechtens, was rechtens ist, den Weg rechtens betreten, in aller Form rechtens u.dgl.
4 Mit dem Dativ: das ist mir recht ›meinen Bedürfnissen, Wünschen entsprechend‹: ihm ist nichts recht, man kann es ihm nicht (ihm nichts) recht machen, das kommt mir gerade recht; unpersönlich mir ist nicht recht ›ich fühle mich nicht wohl‹.
5 Von der unter (2) besprochenen adverbialen Verwendung aus hat sich recht zu einer ⇓ "S080" Verstärkung entwickelt: recht gut (ursprünglich ›so, daß es richtig ist, es gut zu nennen‹), viel, wenig usw., sich recht ärgern usw., es tut mir recht leid, sie ist so recht in ihrem Element. Entsprechend kann das Adjektiv verwendet werden: er ist ein rechter Narr, Geck, Esel usw., sie gibt sich rechte Mühe, das macht mir rechte Freude, Sorge usw. Hieran zunächst schließt sich auch der substantivische Gebrauch in er (es) ist etwas (nichts) Rechtes; ironisch da bist du was Rechtes; adverbiale Verwendung der Substantivierung: der seine Frau was Rechts geplagt hat (Goethe).
6 Die rechte Seite eines Tuches, Kleidungsstückes u.dgl. ist diejenige, die dazu bestimmt ist, nach außen gekehrt zu werden. Auch hierbei liegt ›richtig‹ zugrunde.
7 Von ›richtig‹ geht auch die Verwendung für die eine Seite des menschlichen (tierischen) Körpers aus. Zunächst ist die Hand als die rechte bezeichnet, als diejenige, die nach allgemeiner Übung zur Ausführung bestimmter Tätigkeiten zu verwenden ist, während als unrichtig gilt, die linke dazu zu gebrauchen. Die besondere Beziehung auf die Hand zeigt sich noch in zur rechten Hand, rechterhand; ferner in die Rechte ›die rechte Hand‹ (zuweilen stark flektiert: aus seiner Rechte Lessing), wonach dann wieder zur Rechten ›rechts‹: Zur Rechten sieht man wie zur Linken / Einen halben Türken heruntersinken (A267 Ludwig Uhland, Schwäbische Kunde). Erst weiterhin sagt man dann auch rechter Fuß, rechtes Auge usw., rechter Schuh usw. Diese Verwendung von recht beginnt im späten Mittelhochdeutschen, und es wird dadurch das ältere zese(we) zurückgedrängt. Übertragen er ist ihre rechte Hand, ihr rechter Arm ›besondere Vertrauensperson‹. Andere Verwendung der Substantivierung:
Rechte Fem. (vgl. "Linke") ⇓ "S175" von einer politischen Partei nach dem Sitz im Parlament, ursprünglich auf die Verhältnisse in der französischen Nationalversammlung bezogen, deutsch erst 1832: er solle sich weder an das geschwätz der rechten noch der linken kehren (Heine; L059 DWb).
Recht ahd. / mhd. reht, alte Substantivierung des Adjektivs, ↑ "gut".
1 Der Verwendung von recht(2) entspricht es nur noch in bestimmten Verbindungen: (er glaubt, behauptet usw.) mit Recht, mit vollem Recht, mit Fug und Recht; recht haben, jmdm. recht geben: Sie hatten recht behalten. Wer Erfolg hat, behält recht (Ch.A284 Christa Wolf, Kassandra 148), recht an etwas tun, wobei man sich zum Teil, wie die Kleinschreibung andeutet, der substantivischen Natur des Wortes nicht mehr bewußt ist. Der gewöhnliche Sinn von Rechtschließt sich an recht(3) an.
2.1 ⇓ "S181" Recht kann einen Anspruch bezeichnen, also das, was einer Person zukommt, ursprünglich (noch mhd. ) sowohl das, was sie zu leisten, als das, was sie zu beanspruchen hat, dann beschränkt auf das letztere, so daß Recht und ↑ "Pflicht" einander gegenübergestellt werden, während ursprünglich die letztere mit einbegriffen war. Das Rechtin diesem Sinn wird daher als ein Besitz aufgefaßt: das ist mein gutes Recht, dein Recht soll dir werden, das Recht zu etwas haben, jmdm. das Recht zu etwas geben, zugestehen, nehmen, rauben, sein Recht verlieren; Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit(Grundgesetz, Artikel 2); um anzugeben, worauf sich der Rechtsanspruch bezieht, werden Verbindungen mit Präpositionen hergestellt; mit an: Euer gutes Recht an England (Schiller), daher die Zusammensetzung "Anrecht"; mit auf: Ich werde Inspektor und hab ein Recht auf eine gewisse Mitgift (A169 Franz Xaver Kroetz, Maria 114), namentlich regelmäßig, wenn eine Tätigkeitsbezeichnung anzuknüpfen ist: Recht auf Anstellung, Beförderung, freie Meinungsäußerung, dazu "Asylrecht", Wegerecht, Zeugnisverweigerungsrecht usw.; mit zu und Infinitiv: Recht, Münzen zu prägen, Steuern zu bewilligen usw.; seltener steht zu mit Substantiven: Recht zum Szepter (Wieland). Auch Zusammensetzungen können zu diesem Zweck verwendet werden: Wahlrecht (im heutigen Sinn L284 Justus Georg Schottelius 1663,503), Stimmrecht, Münzrecht, Verkaufsrecht, Begnadigungsrecht, Versammlungsrecht, Petitionsrecht, Bewilligungsrecht.Andere Zusammensetzungen dagegen drücken aus, durch welche Eigenschaft das Recht gewährt wird, vgl. Hoheitsrecht, Souveränitätsrecht, Herrscherrecht, Vaterrecht, Sohnesrecht, Gastrecht, Bürgerrecht (mhd. bürgerreht) (wobei an die Gesamtheit der Rechtsansprüche gedacht wird), "Menschenrecht" (üblicher im Plural, doch vgl. die Internationale erkämpft das Menschenrecht), Hausrecht (›Recht, das durch den Besitz des Hauses gewährt wird‹). Hierher auch Vorrecht.
2.2 Rechtbezeichnet die Rechtsordnung, wie sie entweder für die Menschheit überhaupt als bindend gedacht wird oder wie sie innerhalb einer kleineren oder größeren Gruppe von Menschen gilt: gegen das innere Rechtsgefühl das äußere Recht in Anspruch nehmen (A042 Annette von Droste-Hülshoff, Judenbuche 4). Vgl. die biblischen Verbindungen Recht und Gerechtigkeit, Wahrheit und Recht; die Sprichwörter Recht muß doch Recht bleiben; tue Recht, scheue niemand; ferner mit Recht (in Verbindungen wie er ist mit Recht verurteilt), mit welchem Recht, nach Recht, wider (alles) Recht, widerrechtlich, von Rechts wegen; zu Recht bestehen; Recht sprechen, Rechtsprechung; rechtmäßig, rechtskräftig, rechtskundig, Rechtspflege, "Rechtswissenschaft" (s. unten), Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte, Rechtsgelehrter, "Rechtsanwalt" (s. unten), Rechtsbeistand, Rechtskonsulent und viele andere Zusammensetzungen. Man spricht von Naturrecht im Gegensatz zum geltenden bzw. positiven Recht: Sind wir beim Recht? Im Völkerrecht… bleibt der Gedanke des Naturrechts und allmenschlicher Vernunft lebendig (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 538); Die Hauptsache ist, daß über den positiven Rechten der Nationalstaaten ein höher-gültiges, allgemeines sich erhebt (ebenda). Nach den verschiedenen Gebieten, in denen das Recht gilt, unterscheidet man z. B. gemeines Recht, öffentliches Recht, Partikularrecht, Landrecht, Lehnsrecht, Stadtrecht, Völkerrecht, Staatsrecht, Privatrecht, "Strafrecht", Erbrecht, Seerecht, Handelsrecht, Wechselrecht, Zivilrecht; vgl. auch "Kriegsrecht", "Standrecht", "Faustrecht" und römisches Recht, deutsches Recht. In die Rechte studieren bezeichnet der Plural eigentlich das geistliche und das weltliche Recht, was deutlicher hervortritt in Doktor beider Rechte: Dr. iur. utr. In Zusammensetzungen bedeutet -recht ›Aufzeichnung der Rechtsbestimmungen‹: eine Ausgabe des preußischen Landrechts, des Stadtrechts von Straßburg. ⇑ "berichtigen", "gerecht", "Gericht", "richtig";
rechtfertigen mhd. rehtvertigen, ›als berechtigt oder im Recht befindlich erweisen‹, in der Bibel vom Verhältnis zu Gott, nach frühnhd. rechtfertig, mhd. rehtvertic ›so beschaffen, daß vor Gericht bestanden werden kann‹. Frühneuhochdeutsch auch ›zur Rechenschaft ziehen‹ (A180 Martin Luther, Apostelgeschichte 12,19), dafür jetzt ↑ "verhören";
rechtgläubig 15. Jahrhundert, ⇓ "S124" Lehnübersetzung von griech.-lat. orthodoxus.
Rechtsanwalt (H. v.Kleist 1806; L059 DWb) für älteres Advokat (15. Jahrhundert) und landschaftlich (⇓ "S195" schweiz. ) Fürsprech;
rechtschaffen (Luther), ursprünglich ›recht beschaffen‹; das Partizip ohne ge- "wie" "wahnschaffen" ›mißgestaltet‹. Jetzt ›so beschaffen, wie es das Recht, die Sittlichkeit verlangt‹. Früher auch ›ordnungsgemäß, wie es sich gehört‹: meinem rechtschaffenen [›rechten, echten‹] Sohn (Luther), rechtschaffene Frucht der Buße (Luther); auch ›stark‹: rechtschaffene Plage (Lessing); diese Verwendung hat sich bei dem Adverb noch erhalten: jmdn. rechtschaffen quälen.
Rechtschreibung ⇓ "S208" S.L261 Simon Rot 1571 ⇓ "S124" Lehnübersetzung von ↑ "Orthographie": Orthographei, Recht schreibung / also das ein jedes wort mit seinen zugehorigen buchstaben geschriben werde (ebenda), von L284 Justus Georg Schottelius als Terminus durchgesetzt (L059 DWb); Duden. Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter, 91915 (zuvor: Orthographisches Wörterbuch).
Rechtsstaat unter der Zusammensetzung Rechts-Staats-Lehre 1798 verzeichnet (Placidus; L124 HRG), auch bei Adam Müller, Die Elemente der Staatskunst, 1809, Ausgabe 1922, 200; vgl. auch L181 Otto Ladendorf, wohl auf den bei J.G.Fichte (1800) mehrfach belegten rechtsgemäßen Staat zurückzuführen (L360 ZDW3, 327); dazu
rechtsstaatlich;
Rechtssprache ⇓ "S208" L308 Kaspar Stieler 1691 übersetzt termini juridici mit ›Fachsprache im Rechtswesen‹, der Terminus Rechtssprache im 19. Jahrhundert geläufig: die gegenwärtige rechtssprache erscheint ungesund und saftlos, mit römischer terminologie hart überladen (J.Grimm, Vorrede zum L059 DWb1854, XXXI, auch bei L264 Daniel Sanders und L097 GWb).
Rechtswissenschaft L003 Johann Christoph Adelung 1777 für älteres Rechtsgelehrsamkeit (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734), Rechtsgelehrtheit (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741) als Lehnübersetzung von lat. iuris prudentia, scientia (↑ "Jurisprudenz");
rechtzeitig L031 Joachim Heinrich Campe Erg. 1801 als ⇓ "S125" Lehnübertragung von tempestiv;
rechtlich ahd. rehtlih ›in Beziehung zum Recht stehend‹: die rechtlich um den Besitz stritten (Goethe); gewöhnlich ›den Forderungen des Rechts entsprechend‹; nicht allgemein üblich ist der weitere Sinn ›ordentlich, wie es sich gehört‹: um einen Menschen rechtlich zu kleiden (Dahlmann). Als Adverb fungiert die Genitivform
rechts (wie "links"), zuweilen wie eine Präposition mit Genitiv verbunden: rechts des großen Schreibtisches (Goethe, Briefe); prädikativ ohne Flexion kommt rechts in diesem Sinn nicht vor.