Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Philosophie
Fem. , mhd. philosophie(Teichner; L190 Lexer), filosofi (Minnesinger; L059 DWb), im 15. Jahrhundert aus dem noch bis ins 16. Jahrhundert üblicheren ⇓ "S082" griech.-lat. philosophia (L037 Petrus Dasypodius 1536), frühneuhochdeutsch (und noch bei A075 Johann Wolfgang von Goethe, Urfaust 1) auch philosophei, philosophey (L200 Josua Maaler 1561), dann unter französischem Einfluß in der heutigen Form;1 mittelhochdeutsch ›Erforschung der verborgenen Eigenschaften der Dinge‹ (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt);
2Weltweisheit‹, »die Sammlung solcher Wahrheiten, worin die Natur und Eigenschaften der Dinge vermittelst der Vernunft untersucht werden, und deren wissenschaftliche Erkenntniß« (L004 Johann Christoph Adelung), »Im Deutschen ist das Wort Weltweisheit gangbar, welches bey weitem nicht so bescheiden ist, als der Griechische Ausdruck, welcher Liebe zur Weisheit oder Gelehrsamkeit bedeutet, aber dafür auch desto unbestimmter, und dem heutigen Gebrauche dieses Wortes nicht angemessen ist« (L004 Johann Christoph Adelung), »Vernunftwissenschaft« (L032 Joachim Heinrich Campe Erg.): SEhet zu / das euch niemand beraube durch die Philosophia vnd lose verfürung / nach der Menschenlere / vnd nach der welt Satzungen / vnd nicht nach Christo (A180 Martin Luther, Kolosser 2,8); Philosophei. Lieb / fleiß unnd neygung zur weyßheit (S.L261 Simon Rot 1571); Einleitung zur Hoff-Philosophie (1712 Thomasius); Hinz. bist auch für die philosophei? Kunz. was ist sie denn? so sags dabei. Hinz. sie ist die lehr, dasz Hinz nicht Kunz und Kunz nicht Hinze sei (Claudius; L059 DWb); Die Philosophie ist also das System der philosophischen Erkenntnisse oder der Vernunfterkenntnisse aus Begriffen. Das ist der Schulbegriff von dieser Wissenschaft. Nach dem Weltbegriffe ist sie die Wissenschaft von den letzten Zwecken der menschlichen Vernunft (I.A153 Immanuel Kant, AA 9,23); Die Philosophie war also ein mehr oder weniger gesunder und geubter Menschenverstand, der es wagte, in's allgemeine zu gehen und uber innere und außere Erfahrungen abzusprechen (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 25,94f. LH); Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat (A282 Ludwig Wittgenstein, PU §119); Die Philosophie stellt eben alles bloß hin, und erklärt und folgert nichts… »Philosophie« könnte man auch das nennen, was vor allen neuen Entdeckungen und Erfindungen möglich ist (ebenda §126); schon im 18. Jahrhundert auch für das Universitätsfach: die Philosophie [ist] nach Errichtung der Universitäten ein Gegenstand einer eigenen Facultät geworden, welche den untersten Rang bekommen hat (L004 Johann Christoph Adelung); heute umgangssprachlich oft in der Bedeutung
3Denkweise, (private) Weltanschauung‹: wir mögen eine raserei gern mit ein wenig philosophie [vernünftelei] bemänteln (Lessing; L059 DWb); Jedes allgemeine Raisonnement, das tief oder flach, zart oder krud, zusammenhangend oder abgerissen, uber Naturgegenstande vorgebracht wurde, hieß Philosophie (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 54,77 LH); die 1954 von Dulles zur Welt gebrachte Philosophie der »massiven Vergeltung«(Augstein; L097 GWb);
Philosoph Mask. < griech. philósophos ( < phílos ›Freund‹ und sophós ›geschickt, weise‹), lat. philosophusFreund der Weisheit‹ (vgl. noch S.L261 Simon Rot 1571), mhd. philosophie (metonymische Verwendung des Namens der Wissenschaft als Bezeichnung der Person), Ende des 15. Jahrhunderts philosophe (L200 Josua Maaler 1561: Philosophen);
1Denker, Weltweiser‹, ›Erforscher der theoretischen Grundlagen des Wissens‹, »ein Mann, welcher die Philosophie in engerer Bedeutung verstehet und lehret« (L004 Johann Christoph Adelung): Der wahre Philosoph muß also als Selbstdenker einen freien und selbsteigenen, keinen sklavisch nachahmenden Gebrauch von seiner Vernunft machen (I.A153 Immanuel Kant, AA 9,26); philosophen verderben die sprache, poeten die logik (Schiller; L059 DWb); Die Arbeit des Philosophen ist ein Zusammentragen von Erinnerungen zu einem bestimmten Zweck (A282 Ludwig Wittgenstein, PU §127);
2 in metonymischer Übertragung ›die Schriften der Philosophen‹: von morgen an will ich dann die Philosophen lesen (Remarque; L097 GWb);
3im Fach Philosophie eingeschriebener Student‹: zunächst habe ich mich als philosoph einschreiben lassen und besuche die collegien, die mir zusagen (Holtei; L059 DWb); auch im Sinne von ›jmd. , der Philosophie studiert hat‹; umgangssprachlich auch
4"S031"Vertreter einer eigenwilligen, eher spekulativen Weltanschauung, Privatmeinung oder Denkweise‹, ›Spinner‹: Wegen des Mißbrauches, welcher von manchen unter dem Vorwande des Aufsuchens deutlicher Begriffe begangen wird, pflegt man oft eine Person, welche sich nicht allein über wirkliche Vorurtheile, sondern auch über Pflichten und Obliegenheiten hinaus setzt, einen Philosophen zu nennen (L004 Johann Christoph Adelung); »Du bist ein närrischer Philosoph«, sagte sie (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 837); dazu
Philosophin Fem. ⇓ "S140" (L004 Johann Christoph Adelung: Philosophinn): Ihr wollt Lucinden gern zur Philosophinn machen (Gellert; L004 Johann Christoph Adelung); eine reizend schöne philosophin von zwanzig jahren (Zimmermann; L059 DWb);
philosophieren < franz. philosopher, lat. philosophari (um 1520 Paracelsus; L339 Karl-Heinz Weimann);
1philosophisch denken, in methodisch-logischer Weise über grundlegende Probleme menschlichen Daseins nachdenken‹: Philosophiren läßt sich… nur durch Übung und selbsteigenen Gebrauch der Vernunft lernen (I.A153 Immanuel Kant, AA 9,25); Unter allen Völkern haben… die Griechen erst angefangen zu philosophiren (ebenda 27);
2eine (private) Meinung über weltanschauliche Probleme ersinnen, grübeln und darüber reden‹, ›praxisferne Argumente vorbringen‹: Philosophiren in der Gesellschaft heißt sich uber unauflosliche Probleme lebhaft unterhalten (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 31,172 LH); Woyzeck, Er philosophirt wieder (A030 Georg Büchner, Woyzeck 175); als Spiel mit (1) und (2): Dieser Mensch ist nicht verrückt: Wir philosophieren nur (A281 Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit §467); oft in Verbindung mit über: das Philosophiren uber die Natur, wie es theils von Descartes, theils durch andere vorzugliche Manner ublich geworden war (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 54,106 LH);
philosophisch im 16. Jahrhundert < franz. philosophique, lat. philosophicus (1531 Hedio; L059 DWb);
1zur Philosophie gehörend, in (der Weise) der Philosophie‹, »Fertigkeit besitzend, deutliche Begriffe aufzusuchen und zu finden« (L004 Johann Christoph Adelung): und theten alle christlich lehren / in philosophisch tand verkehren (1578 Fischart; L059 DWb); Jeder philosophische Denker baut, so zu sagen, auf den Trümmern eines Andern sein eigenes Werk (I.A153 Immanuel Kant, AA 9,25); ein philosophischer kopf ist ja noch lange nicht ein philosoph (Lessing; L059 DWb); Die philosophische Facultät enthält nun zwei Departemente, das eine der historischen Erkenntniß… , das andere der reinen Vernunfterkenntnisse… und beide Theile der Gelehrsamkeit in ihrer wechselseitigen Beziehung auf einander (I.A153 Immanuel Kant, AA 7,28); Ein philosophisches Problem hat die Form: »Ich kenne mich nicht aus.« (A282 Ludwig Wittgenstein, PU §123);
2nachdenklich, weise, versponnen‹: Insgesamt, habe ich zu Gambetti gesagt, ist das Goethesche Werk ein philiströser philosophischer Schrebergarten(Th.A011 Thomas Bernhard, Auslöschung 576); als Adverb: laszt uns unverdrüszlich leben / recht auf gut philosophisch (Weckherlin; L059 DWb); oft in Verbindung mit denken: ein höflicher satyr [Canitz], der philosophisch dachte / und höflich lebete (Bodmer; L059 DWb); selten im Komparativ: ich bin desto gelassener… desto philosophischer gesinnt (Lessing; L059 DWb).
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