Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Pflicht
ahd. pfliht, fliht, mhd. phlicht, pfliht(e)Obhut, Fürsorge, Sorgfalt‹ (altengl. pliht ›Gefahr, Wagnis, Schaden‹, engl. plight›Pfand‹), Verbalabstraktum zu ↑ "pflegen": ⇓ "S026" zunächst1 althochdeutsch/ mittelhochdeutsch ›Verbindung, Gemeinsamkeit, Gemeinschaft‹, so noch im 16. Jahrhundert: lügen und schweren haben pflicht / mit dieben und mördern, wie man sicht(Renner; L059 DWb); in diesem Sinne damals auch eeliche pflicht (Frank; L059 DWb); daraus schon althochdeutsch und noch bis ins frühe 18. Jahrhundert
2(Für-)Sorge, Obhut, Versorgung, Pflege‹: bemüh nur keinen doctor nicht, / denn du bist jetzt in meiner pflicht(Stephani; L059 DWb);
3Sitte, Gewohnheit‹ (schon Wolfram von Eschenbach; L059 DWb): so liesz ich in verliebter pflicht / geheime klagen flieszen (1701 Ch.Weise; L059 DWb); vereinzelt auch noch im 18. Jahrhundert: kurz, alles ist wieder in seiner pflicht (Wieland; L059 DWb), d. h. ›alles geht seinen gewohnten Gang‹; schon althochdeutsch (Notker; L059 DWb)
4Abhängigkeits- und Dienstverhältnis, Dienst‹: Pflicht und dienst so einer in einer stat zeuerwalten hat (L200 Josua Maaler 1561); Er steht in Pflichten bey dem Herrn(L308 Kaspar Stieler 1691); Wir aber stehn in des Kaisers Pflicht(A222 Friedrich Schiller, Wallensteins Lager 11.Auftritt); frühneuhochdeutsch auch
5Amt, Verwaltung‹: Künigliche Pflicht verwalten / Deß künigs ampt thun (L200 Josua Maaler 1561); Er tuht was seine Pflicht[»officium«] mit sich bringt (L308 Kaspar Stieler 1691); allgemeiner im Sinne von ›landwirtschaftlich genutztes Gebiet, Gegend‹: in dieser pflicht transagt es guten Wein (L284 Justus Georg Schottelius 1663); Das Ungewitter hat diese Pflicht/ Pflege leider hart betroffen (L169 Matthias Kramer 1702); dann aber auch
6Dienstverbundenheit, Dienstaufgaben, Dienstobliegenheit, Diensttreue‹: seine Pflicht thun/ abstatten (L169 Matthias Kramer 1702); seine Pflicht versaumen / verabsaumen / seiner Pflicht zuwider leben… handeln / wider seine Pflicht thun (ebenda); Ich werde heute gleich, bei'm Doctorschmaus, / Als Diener, meine Pflicht erfullen (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,87 LH); General Harras soeben in Erfüllung seiner Pflicht tödlich verunglückt (A296 Carl Zuckmayer, General 618); dazu Eidespflicht, Landespflicht, Lehenspflicht, Vasallenpflicht; wohl hierher zu, in Pflicht (und Eid) nehmen, stehen: Man wurde gleich beym Ritterschlag / In Eid und Pflicht genommen (A279 Christoph Martin Wieland, Klelia und Sinibald 4,33); seltener im Plural: ein anderes heer eilte nach… nach Prag, um diese hauptstadt in kaiserliche pflichten zu nehmen (Schiller; L059 DWb); hierher auch die Pflicht schwören: Und wie er Treu' und Pflicht ihm heilig schwören will (A279 Christoph Martin Wieland, Oberon 2,53); dann auch
7Treuegelöbnis, Huldigung, feierliches Versprechen‹ (vgl. L004 Johann Christoph Adelung): dem Landherrn seine Pflicht oder Erbhuldigungspflicht leisten (L169 Matthias Kramer 1702); die kommen dann und zollen / dir huldigung und pflicht (1778 G.A.Bürger; L059 DWb); seit dem 16. Jahrhundert
8rechtliche oder moralische Verbindlichkeit‹ (L037 Petrus Dasypodius 1536: schuldige Pflicht): DEm aber / der mit wercken vmbgehet / wird der Lohn nicht aus gnade zugerechnet / sondern aus pflicht (A180 Martin Luther, Römer 4,4); Einem freünd alle schuldige Pflicht leisten (L200 Josua Maaler 1561); Es ist deine Pflicht (L308 Kaspar Stieler 1691); Pflicht ist die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz (1785 ⇓ "S032" I.A153 Immanuel Kant, Grundlegung; AA 4,400); Max (in heftigem Kampf). O Gott! Wie kann ich anders? Muß ich nicht? / Mein Eid die Pflicht – Wallenstein. Pflicht gegen wen? (A222 Friedrich Schiller, Wallensteins Tod 3,19); Wo viel Freiheit ist, ist viel Irrtum, / Doch sicher ist der schmale Weg der Pflicht(ebenda 4,2); Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten (1949 Grundgesetz, Artikel 33,1); hierher (schon bei L308 Kaspar Stieler 1691) Zusammensetzungen wie Amtspflicht, Christenpflicht, Ehepflicht, Freundespflicht, Gewissenspflicht v. a.; dazu jmdn. in die Pflicht nehmen (Stieler 1691: in Pflicht nehmen), wohl ursprünglich im Sinne von ›durch einen Eid verpflichten‹: er nimmt die Soldaten in Pflicht (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734); seine Pflicht erfüllen, seiner Pflicht, seinen Pflichten nachkommen, sich etwas zur Pflicht machen (L033 Joachim Heinrich Campe); dazu
pflichtbewußt : eine pflichtbewuszte regierung (1846 Die Grenzboten; L059 DWb);
Pflichtbewußtsein die pflichtgewohnheit musz der boden sein, auf dem sich später die blüthe des pflichtbewusztseins entfaltet(Auerbach; L059 DWb);
Pflichtgefühl"S075" Neutr. (2. Hälfte des 18. Jahrhunderts; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt): Aus Pflichtgefühl, um der Billigkeit des Gleichgewichts willen hörte Hans Castorp Herrn Settembrini zu(Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 226);
pflichtgemäß »so wie es die Pflicht erfordert« (L033 Joachim Heinrich Campe): sie folgten pflichtgemäß dem gebot (V. v.Scheffel; L059 DWb); Eine pflichtgemaße Handlung (L033 Joachim Heinrich Campe);
pflichtgetreu (Anfang des 19. Jahrhunderts; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt): dein pflichtgetreues weib (Tieck; L059 DWb);
Pflichtjahr »einjährige Arbeitsverpflichtung in Haus- und Landwirtschaft für die weibliche Jugend« (L281 Cornelia Schmitz-Berning), seit 1938 vom ⇓ "S145" NS-Staat eingeführt, gebucht L056 Duden 121941;
pflichtmäßig (L169 Matthias Kramer 1702): pflichtmassig handeln (ebenda); Sie [die meisten Menschen] bewahren ihr Leben zwar pflichtmäßig, aber nicht aus Pflicht (I.A153 Immanuel Kant, Grundlegung; AA 4,398); dafür heute pflichtgemäß (s. oben);
pflichtschuldig (1617 Hulsius; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt): ich schreibe es ihnen als ein pflichtschuldiges opfer der dankbarkeit (Wieland; L059 DWb); besonders im Briefstil des 17. Jahrhunderts: meines Herrn pflichtschuldiger Diener(Butschky; L320 Trübner); sogar im ⇓ "S215" Superlativ: zur Ausbesserung der deutschen Sprache pflichtschuldigster Maßen beitragen (Rabener; L320 Trübner);
Pflichtteil Mask. / Neutr. ›gesetzlicher Mindesterbteil‹ (1678 Kramer; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), »In den Rechten, derjenige Theil der Güter, welchen ein Erblasser gewissen Personen aus Pflicht hinterlassen muß, worüber er nicht nach Gutdünken schalten kann, wenn sein Testament nicht für ungültig gehalten werden soll« (L004 Johann Christoph Adelung); mhd. pflihtteil noch in der Bedeutung ›Gemeinschaft, Anteil‹ (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt);
pflichttreu »seine Pflicht treu erfüllend« (L033 Joachim Heinrich Campe): Immer pflichttreu und gewissenhaft(Ch.H.Wolke; ebenda); dazu
Pflichttreue (ebenda);
pflichtvergessen (1727 Aler; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt): Und tratst du, Herr, nicht zwischen uns herein, / So stunde jetzt auch ich als pflichtvergessen, / Mitschuldig und beschamt vor deinem Blick (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 9,162 LH); substantivisch: O die Pflichtvergessenen! (A222 Friedrich Schiller, Wallensteins Tod 3,22);
Pflichtvergessenheit (L004 Johann Christoph Adelung): pflichtvergessenheit gegen seinen nächsten(I.Kant; L059 DWb);
Pflichtverletzung Fem. (L033 Joachim Heinrich Campe);
pflichtwidrig Eine pflichtwidrige That heißt Übertretung (reatus) (I.A153 Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten AA 6,224); hierher auch heute nicht mehr übliches
pflichten, mhd. pflihten (L169 Matthias Kramer 1702), ›sich an etwas beteiligen, (sich) verpflichten‹, so noch bei Uhland und Rückert (L320 Trübner), erhalten in (sich) ↑ "verpflichten" (L037 Petrus Dasypodius 1536) und "beipflichten" (L169 Matthias Kramer 1702), entpflichten (L037 Petrus Dasypodius 1536); dazu auch (veraltet)
pflichtig mhd. pflihtic (L327 Voc.Teut.-Lat. 1482: »pflichtiger oder gewonter«): wer keinem / mit seinem leibe pflichtig ist auf erden (Schiller; L059 DWb); heute nur noch in Zusammensetzungen: beitragspflichtig, schulpflichtig, steuerpflichtig (L033 Joachim Heinrich Campe), unterhaltspflichtig, wehrpflichtig.
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