Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
nun
ahd. nu, no, mhd. nu, nu, nuo, nuon, indogermanisch nu, griech. ny, nyn, lat. nunc, gemeingermanisch (vgl. engl. now, schwed./ dän. nu); mit abschließendem -nerst um 1250 »wohl im Anschluß an andere Zeitadverbien (dann, wann)« (L175 Friedrich Kluge/ L175 Elmar Seebold), vielleicht auch durch später aus einer Fehlinterpretation der syntaktischen Bezüge entstandene Verschmelzung mit der Negationspartikel en- (nun ist niht < nu enist niht), älteres nu noch bis ins 16. Jahrhundert vorherrschend (frühnhd. L327 Voc.Teut.-Lat. 1482), dann (wohl unter niederdeutschem Einfluß) auf Mundart und Umgangssprache sowie deren Darstellung in der Literatur beschränkt:1 Adverb ›zu dieser Zeit, jetzt‹, satzeinleitend mit Inversion von Subjekt und Prädikat (außer in abhängigen Sätzen) nach dem finiten Teil des Verbs und dem ersten Objekt, aber vor adverbialen Bestimmungen und dem infiniten Teil des Verbs, in Fragesätzen zumeist nach finitem Verb und Subjekt; am längsten rein erhalten in Verbindungen wie nun und in Ewigkeit, nun und immerdar, am allgemeinsten in nun und nimmermehr (dabei gibt die im zweiten Wort enthaltene Negation der ganzen Verbindung negativen Sinn), in dieser Bedeutung aber auch nunallein: von nun an gute nacht! (J.Ch.Günther; L059 DWb); dazu veraltet bis nun; in dieser rein adverbialen Funktion weitgehend durch "jetzt" verdrängt; die Zeit, auf die verwiesen wird, kann Gegenwart, unmittelbar bevorstehende Zukunft, aber auch die jüngste Vergangenheit sein: Nun verlaß' ich diese Hütte (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,46 LH); ich werde nun in kurzem dich / verlassen (E. v.Kleist; L059 DWb); Nun sag was ists (L200 Josua Maaler 1561); »Nun los!« sagte sie (H.A182 Heinrich Mann, Untertan 242); die hatte gelebt sieben Jahr mit ihrem Mann und war eine Witwe bei vierundachtzig Jahren (Luther); bei Bezug auf die Vergangenheit in der Bedeutung ›gerade‹, gelegentlich in Verbindung mit temporalem ↑ "eben": nun eben wollte ich noch die frage thun… , als (Lessing; L059 DWb); oft in Verbindung mit "endlich", "erst": nun ist er endlich fort (Cronegk; L059 DWb); nun erst beginnts zu duften (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 47,130 LH); elliptisch: Die Minister ziehen sich zu einer Aussprache zurück. Bravo! Und nun? (A167 Wolfgang Koeppen, Treibhaus 116); hierher nun… nun, das sowohl verstärkend im Sinne von ›jetzt‹ als auch wie bald… bald (↑ "bald") fast konjunktional zur Verknüpfung paralleler Sätze verwendet wird: Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,229 LH); Nun eilt, nun stockt der Fuß(A074 Johann Wolfgang von Goethe, 3,25 LH); da mit der unmittelbaren zeitlichen Folge häufig auch eine kausale Beziehung verknüpft ist, erscheint nun auch als Kausalpartikel; daher
2 Konjunktion, zur Einleitung von Nebensätzen ›jetzt, wo‹ (mittelhochdeutsch häufig, heute seltener), gehörte ursprünglich zum Hauptsatz, später Übertritt in den Nebensatz wie bei ↑ "daß": Nun ich sie dir empfehle, sterb' ich ruhig (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 8,297 LH); ähnlich
3 Adverb, in ebenfalls eher kausaler Bedeutung bei der logischen Folgerung ›wie sich aus den Umständen oder dem vorher Gesagten ergibt‹, ›wie die Dinge liegen‹ (schon Luther), ↑ "also": »Lucinde, sind Sie mein?«Sie versetzte: »nun ja doch,« (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 21,162 LH); »Und dann ist sie doch schließlich von Familie.« Duquede lachte. »Nein, Reiff, das ist sie nun schließlich nicht.« (A060 Theodor Fontane, L'Adultera 2,40); Die Tochter erklärt: Sie könnte nun eben nicht anders (B.A254 Botho Strauß, Paare 48f.); in logischen Schlußfolgerungen beim Anschluß der zweiten Prämisse: alle Menschen sind sterblich; nun ist Karl ein Mensch; folglich ist er sterblich; dazu nun (ein)mal (16. Jahrhundert Rebhun; L059 DWb) ›Sprecher kennzeichnet das von ihm Gesagte als eine den Kommunikationspartnern bekannte unabänderliche und damit hinzunehmende Tatsache‹, ⇑ "eben", "einfach", "halt", "mal", "schlicht": Der Mensch ist nun einmal so! rief Jarno (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 20,19 LH); Der Junge will und will sich nun mal nicht entgiften (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 493); dafür auch einfaches nun: Er will nun deine bunten Blumen / nicht auf meinem Boden! (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Nathan 3,1); Das ist nun die Notwendigkeit, steht nicht zu ändern (A222 Friedrich Schiller, Stuart 1,8);
4 Adverb, mit Inversion, zur Verdeutlichung der zeitlichen Abfolge beim Erzählen ›im folgenden, von jetzt an‹: nu kome ich wider uff die historia(Brotoff; L059 DWb); zumeist, insbesondere mit Zeitformen der Vergangenheit, eher in der Bedeutung ›man muß an dieser Stelle erwähnen, hinzufügen‹ (15. Jahrhundert): nun was ein held in Irland mit namen Morholt (Tristan; L059 DWb); Nun machte er sogleich als Gast den Wirth (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 21,14 LH); Nun habe ich es von jeher geliebt, unnütze Fragen zu tun (A.A226 Arno Schmidt, Trommler 351); daraus der Gebrauch als
5"S079" Gliederungspartikel;
5.1 als Einleitungssignal beim Erzählen ›um (wieder) auf das Thema (zurück) zu kommen‹: Hätten Sie… nun früher davon gehört!… Nun, diese Druckschriften. Hören Sie weiter! (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 345); Nun, wie gesagt, das alles war überstanden (A.A226 Arno Schmidt, Trommler 38);
5.2 satzeinleitend, in Aussage- und Fragesätzen, »zur bezeichnung eines ruhepunktes in der rede einer folgerung, einwendung oder einräumung« (L059 DWb): Nun wir woln sehn / wies bey Colestinen gehen wird (1663 A095 Andreas Gryphius, Horribilicribrifax 7,65); Sie gingen eine Weile schweigend. Dann fragte Joachim: »Nun, wie gefallen dir denn die Leute hier?… « (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 103); Teufelszeug, wie? Nun, wir können nicht alles kontrollieren (B.A025 Bertolt Brecht, Galilei 5,108); nach vorangestellten indirekten Fragesätzen auch im Satzinnern: »Und was die Kinder angeht«, fuhr er nach einer Weile fort, »nun, die Kinder sind eben Kinder… « (A060 Theodor Fontane, L'Adultera 2,127); dazu nun denn, bis ins 19. Jahrhundert auch älteres nun dann: Nun dann, so laßt uns gehn! (A222 Friedrich Schiller, Räuber 1,2); Nun denn also ›ja‹. (A060 Theodor Fontane, Schach 1,576); nun gut: Nun gut, er würde kämpfen(A167 Wolfgang Koeppen, Treibhaus 83); nun ja: Spiegelberg giftig. Geh mir mit deinem Hauptmannund die meinen dagegen – Pah – Razmann. Nun ja! Sie mögen hübsche Fingerchen haben (A222 Friedrich Schiller, Räuber 2,7), nun schön: Der Minister fährt nach Paris. Nun schön. Was tut er da? (A167 Wolfgang Koeppen, Treibhaus 116), nun wohl: nun wohl! so sagen sie denn (Lessing; L059 DWb); ähnlich ei nun (↑ "ei"), je nun (↑ 1"je"); ferner das zugleich Widerstreben und Beschwichtigung anzeigende nun nun (wohl 16. Jahrhundert): Cyrilla. Gebet noch die funff Groschen dazu. Colest. Nicht einen Heller mehr. Cyrilla. Nun / nun! um eines andermahls Willen (1663 A095 Andreas Gryphius, Horribilicribrifax 7,66); Nu, nu, du hängst ja noch zusammen (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 14,81 LH);
5.3 satzisoliert, mit Frageintonation, vor Fragesätzen ›die Situation gibt zu der (nachfolgenden) Frage Veranlassung‹: nun, hörst du, wie sie dich verklagen? (Sachs; L059 DWb); Nun! sind die Kuchen gerathen? (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 25,355 LH); »Nun, Kamerad, wie geht's, wie stehts!«, sagte Dr. Krokowski (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 514); in Verbindung mit undauch im Sinne von ›und was ist dabei?‹, ›na, wenn schon‹: »… Sie haben seine Bekanntschaft gemacht?« Hans Castorp bejahte. »Nun und? Ich fange an zu vermuten, daß auch er Ihnen gefallen hat.« (ebenda, 92); in dieser Form auch satzausleitend mit Übergabe des Rederechts ›Sprecher bekundet Interesse‹: »Ah, auch diese Station haben Sie schon erstiegen. Nun, und?« (ebenda, 314); in dieser Bedeutung auch alleinstehend: Thusnelda. Sieh mich mal an! Hermann Nun?Thusnelda. Siehst du nichts? (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Hermannsschlacht 3,3); »Nun?« fragte er verwundert, indem er neben den Stuhl trat (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg, 241);
6"S185" Rückmeldepartikel, rückfragend ›wie geht es weiter?‹: Licht. Ja, was es Neues gibt! Der Henker hol's / Hätt' ich's doch bald vergessen. Adam. Nun? Licht. Macht Euch bereit auf unerwarteten / Besuch aus Utrecht (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Zerbrochener Krug 1.Auftritt);
NuNeutr. und Mask. (schon mittelhochdeutsch, hier zuweilen auch Fem. ), daneben insbesondere im 17. Jahrhundert das inzwischen wieder veraltete Nun; zunächst im Sinne von ›der gegenwärtige Augenblick‹: du wärst nicht der du bist, in diesem nu der zeit (Rückert; L059 DWb), dann aber viel häufiger ›Augenblick überhaupt‹, ›geringstes Maß von Zeit‹: man paßt, man merkt auf jedes gunstige Nu (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust II,10238); in Blitzes Nu (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 3,115 LH); Ich höre von diesem Nun an auf euer Hauptmann zu sein (A222 Friedrich Schiller, Räuber 5,2), allgemein üblich im Nublitzschnell‹: Fort sind sie im Nu! (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 41,160 LH); nicht so allgemein in einem Nu: In einem Nu war die Hutte abgedeckt (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 24,326 LH); vgl. auch in diesem nu (Wieland; L059 DWbu.ä.); in gleichem Nu (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust II,10631); in einem einzgen nu (Schiller; L059 DWb) u.ä.;
nunmehr Adverb, mhd. nu mere, nu mehr (Luther), nun mehr (15. Jahrhundert Niklas von Wyle; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), im Kanzleistil bis ins 19. Jahrhundert auch nunmehro (1663 Schuppius; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), zu nun und ↑ "mehr", mit Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ›von jetzt an, inzwischen, jetzt doch‹: wer wird nunmehr die unterdrückten schützen? (Gryphius; L059 DWb); Wie ich mir… die Fabel gebildet,… gedenke ich nunmehr zu erzahlen(A074 Johann Wolfgang von Goethe, 26,309 LH); dazu im 18. Jahrhundert das Adjektiv nunmehrig (1731 Schnabel; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt).
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