Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
noch
ahd. noh, zunächst Adverb, got. nauh, wohl zu nu-h in der Grundbedeutung ›auch jetzt‹, -h(-uh) Verbindungspartikel, die mit lat. que, griech. te, altind. ca verglichen wird (L012 Otto Behaghel, Syntax 3,221ff.);1.1 schon althochdeutsch (Otfrîd von Weißenburg; L059 DWb) ›der genannte Zustand oder Vorgang dauert von einer früheren Zeit her bis zu einem bestimmten Vergleichspunkt (in Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft) fort‹: noch ist Messias ungeborn (Sachs; L059 DWb); Geh noch ist es Zeit! Noch! (A222 Friedrich Schiller, Räuber 4,12); Mit klingendem Spiele überwand er noch jeden Schmerz (1884 A200 Friedrich Nietzsche, Zarathustra 199); Damit sind wir noch nicht zu Ende gekommen. Das muß ich dir noch erklären (Ch.A284 Christa Wolf, Kassandra 116); dabei kann auch ausgedrückt werden, daß die Erwartung des Eintretens eines Vorganges oder die Absicht, dies Eintreten herbeizuführen, fortdauert: er wird noch kommen oder er kommt noch, ich werde es dir noch sagen; hierzu immer noch (auch noch immer) ›im Gegensatz zu einer Erwartung dauert der genannte Zustand oder Vorgang von einer früheren Zeit her bis in die Gegenwart fort‹, noch nie, kaum nochselten, bald nicht mehr‹;
1.2 (schon ahd. ) vor oder nach einer adverbialen Bestimmung der Zeit ›nicht später als angegeben‹: noch zu meiner zeit (Kirchhof; L059 DWb); noch zur zeit bin ich voller muth (Rabener; L059 DWb); insbesondere in Verbindung mit Zeitadverbien noch heute, heute noch (wofür frühnhd. bis noch [L308 Kaspar Stieler 1691]), noch gestern, gestern noch usw.: heute noch wollt ich mein jugendlich blut dem tode zollen (Wieland; L059 DWb);
1.3 (schon ahd. ) ›etwas kommt zu etwas anderem hinzu‹, ›außerdem‹, ›ferner‹: noch eins will ich ihnen rathen(Rabener; L059 DWb); welches wunderbare unterpfand seiner gunst können wir noch verlangen? (Schiller; L059 DWb); Dazu kommt noch, es kommt noch dazu (L004 Johann Christoph Adelung); er ist alt und noch dazu geizig (L059 DWb, s. v. dazu); insbesondere mit Zahlwörtern und unbestimmten Mengenangaben: noch eine ladung, und noch eine!(Hippel; L059 DWb); Noch einen Biß, so ist's geschehn (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,78 LH); neben Komparativen in der Bedeutung ›mehr als das Vergleichsobjekt‹: dieses machte ihn noch begieriger(Ch.Weise; L059 DWb); das ist bald gesagt / Und balder noch gethan (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,196 LH); hierzu noch einmal (zweimal usw.) so viel, so groß usw.: es wird gewisz in England… noch einmal so viel Portwein getrunken, als in Portugal wächst (Lichtenberg; L059 DWb); dafür frühnhd. noch so viel usw.: der Kampf macht sie noch so schön (Wieland); der frühneuhochdeutsche Gebrauch im Sinne von ›jeden beliebigen Grad der betreffenden Eigenschaft angenommen‹ ist erhalten in Konzessivsätzen des Typs: er mag noch so traurig sein; dafür heute zumeist so traurig er auch sein mag; zuweilen auch in attributiver Konstruktion: um jeden noch so kleinen vortheil geltend zu machen (Schiller; L059 DWb) sowie in adverbialer Umgebung: Was einer noch so emsig griffe, / Deß hat er wirklich schlechten Lohn (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,294 LH);
1.4 mittelhochdeutsch und frühneuhochdeutsch auch zum Ausdruck eines Gegensatz ›trotzdem‹: da sprach ich, Weisheit ist ja besser denn Stärke, Noch war des Armen Weisheit veracht (Luther); diese Funktion lebt fort in ↑ "dennoch".
2 Konjunktion, ahd. noh, aus der Negation ne und ouhauch‹, wofür got. nih aus ni und uh, lat. neque (L012 Otto Behaghel, Syntax 3,218), mit der Grundbedeutung ›auch nicht, und nicht‹, zur Verknüpfung zweier verneinter Sätze: Sihe / Sie werden mir nicht gleuben / noch meine stimme hören (A180 Martin Luther, 2.Mose 4,1); sie kann nichts davon, noch dazu thun(A074 Johann Wolfgang von Goethe, 8,175 LH); das habe ich nicht gewußt.Noch ich (Iffland); frühneuhochdeutsch und zuweilen noch im 18. Jahrhundert auch noch… noch: ihr findt bei mir noch wehr noch waffen(Waldis; L059 DWb); noch stand noch alter wird geschont(Schiller; L059 DWb); Negation beim ersten Glied bis ins 19. Jahrhundert zuweilen nicht ausgedrückt: er schwor, in wasser noch in luft… ihr jemahls zu begegnen (Wieland; L059 DWb); in diesen Fällen heute weder… noch (↑ "weder"). Was längere Zeit andauerte, mag später in Fragen als etwas betrachtet worden sein, das man eigentlich schon gewußt haben sollte, daher der Gebrauch als
3"S002" Abtönungspartikel (wohl 19. Jahrhundert), in Fragesätzen ›Sprecher zeigt an, daß er den erfragten Inhalt schon einmal gewußt habe‹: wer ist denn neulich noch abgereist? Eine Dame, vom Guten Russentisch, Madame Chauchat (1924 Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 494); »Ich habe den ganzen Tag nach Ihnen herumtelefoniert, weil ich Sie nach diesem … wie hieß er noch … «, er blickte auf die Ausleihscheine, »… diesem Martin Sommer fragen wollte.« (D.A236 Dietrich Schwanitz, Campus 173f.); häufig mit ↑ "gleich" verbunden: wie heißt er noch gleich?(ebenda, 192);
nochmal zu noch(1.3), verkürzt aus noch einmal: Letzte Fahrt des Riesenrades für die Saison! Wer will nochmal! Wer… (A.A226 Arno Schmidt, Trommler 75); häufig in Flüchen: Was ist denn los, verdammt nochmal, ihr sollt über den Platz gehen, wie gewöhnlich (M.A064 Max Frisch, Andorra 551); wie noch auch als ⇓ "S002" Abtönungspartikel, wohl gedankliche Verkürzung aus Sag mir noch einmal, ›Sprecher zeigt an, daß ihm der erfragte Inhalt schon einmal mitgeteilt wurde‹: Wann kommt er nochmal?;
nochmalig Adjektiv (18. Jahrhundert) ›wiederholt‹: nach nochmaligem beschlafen der sache (Schiller an Goethe; L059 DWb);
nochmals (17. Jahrhundert), ›ein weiteres Mal‹, ursprünglich adverbialer Genitiv, vgl. "abermals", mehrmals, "niemals", oftmals: und die aufgehende Sonne röthete nochmals das himmlische Gesicht (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 17,406 LH).
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