Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
nieder
ahd. nidar, mhd. nider.1 Als Adverb die Richtung nach unten bezeichnend, altgermanisch (engl. nether, altnord. neðri), ⇓ "S242" Komparativbildung zu einer indogermanischen Partikel ni; wo es vor einem Verb steht, mit diesem zusammengeschrieben. Es kann mit intransitiven und transitiven Verben verbunden werden, ohne deren Konstruktion zu ändern: niederfahren, niederfallen, niedersteigen, niederblicken usw.; niederbeugen, niederdrücken, "niederschlagen"; zuweilen in dem speziellen Sinn ›zu Bett‹: (sich) "niederlegen", "niedergehen", s. auch "niederkommen". Es kann aber auch, wie andere Richtungsbezeichnungen, die Verbindung mit einem Akkusativ herbeiführen, wie er neben dem einfachen Verb nicht möglich ist; ein solcher kommt z. B. vor neben niederarbeiten, niederbeten, niederblasen, niederblitzen, niederdonnern, niederkämpfen, niederreden, niederrennen, niederschreien, niedersingen, niederspielen, niedertrinken. In einer ganzen Reihe von Zusammensetzungen drückt nieder die Handlung des Tötens aus: niedermachen (1644; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt); niedermähen: wenn wir anderen längst von der sense der zeit niedergemäht und wie die spreu des feldes verweht sind(Heine; L059 DWb), im 20. Jahrhundert in der Kriegs- und Erinnerungsliteratur: Eine Kompanie nach der anderen war, dichtgedrängt im Trommelfeuer ausharrend, niedergemäht (E.A145 Ernst Jünger, Stahlgewitter; 1,109); niedermetzeln (↑ "metzeln"), niedersäbeln (1647 Olearius; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), niederschießen (1559 Murner; ebenda). Keine Zusammenschreibung findet statt bei Verbindung mit Hilfsverben: nieder müssen, wollen usw.; auch nieder sein kommt vor: mein Mann ist nieder [›zu Bett‹] und schläft (Gotthelf), wenn das Feuer nieder ist (Goethe). Sie unterbleibt auch wegen des Gegensatzes in einem Fall wie nieder führen tausend Steige, keiner führt zum Tag zurück (Schiller); so auch gewöhnlich in der Verbindung auf und nieder. Endlich kann nieder ohne Verb stehen in Aufforderungssätzen: nieder mit ihm! Zusammengeschrieben wird "hernieder". Mit substantivischen Vorgangsbezeichnungen geht nieder Zusammensetzungen ein: Niederfahrt, Niederfall, "Niedergang", Niederkunft, "Niederlage", "Niederschlag".
2 Auf die Ruhelage zielt ein nieder, das verkürzt ist aus nidere (ahd. nidari, nidiri), erhalten in danieder (vgl. das Verhältnis von "heim" und "daheim"). Ohne da erscheint nieder für die Ruhelage zuweilen in niederliegen, welches in der älteren Sprache ›sich niederlegen, zum Liegen kommen‹ bedeutet: sie lag ohnmächtig nieder(Goethe), die Mauern liegen nieder (Uhland), Gewerb' und Kunstfleiß liegen nieder (Schiller).
3 Aus dem unter (2) erwähnten Adverb hat sich ein Adjektiv entwickelt: auf dem niedern Schemelstuhle (Goethe), mit niederm Sinn (Heine), allzusehr geprägt vom Elend waren die Menschen der niedren Stände (P.A276 Peter Weiss, Ästhetik I,72). Dieses Adjektiv ist jetzt nur süddeutsch allgemein gebräuchlich, während norddeutsch dafür die Ableitung "niedrig" gebraucht wird. Durch Verschmelzung des Adjektivs mit einem Substantiv sind Zusammensetzungen entstanden, von denen viele nicht mehr üblich sind (und z. T. mit "unter-" ersetzt sind): "Niederland", Niederrhein, Niederwald, Niederholz, Niederkleid, Niederjagd, Niederstand, Niederstock, Niederteil, Niederwelt; hierher auch Niederdeutschland (↑ "niederdeutsch"). Dazu "Niederung", niedern, erniedern, niedrigen, "erniedrigen". ⇑ "nid", "nieden"; vgl. Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig 23,141ff.
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