Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Narr
ahd. narro, mhd. narre (auch nhd. bis um 1800 oft noch Narre). Etymologie unsicher. Die ursprüngliche Bedeutung1jmd. , der geisteskrank, geistesschwach, geistesgestört ist‹, noch bei L200 Josua Maaler 1561 mit mente captus an erster Stelle genannt, schwindet im 18. Jahrhundert (L003 Johann Christoph Adelung 1774). Im 20. Jahrhundert nur noch archaisch: Der Narr in Christo Emanuel Quint (1910 G.Hauptmann) und
jmdn. zum Narren habenwie einen Dummen behandeln‹; abgeschwächt
2jmd. , der der gesunden Vernunft zuwider handelt‹, seit Ende des 15. Jahrhunderts reich belegt: Da sie sich fur Weise hielten / Sind sie zu Narren worden (A180 Martin Luther, Römer 1,22), ist auf teutsch ein narr, auf griechisch ein phantast (1664 Rachel; L059 DWb), der ist ein narr, der wider seine vortheile denkt (Schiller; L059 DWb), Versteck, du Narr, dein blutend Herz in Eis und Hohn (A200 Friedrich Nietzsche, Vereinsamt). Besonders extensiv wird Narrin dieser Bedeutung in der moralistisch-didaktischen und polemischen ›Narrenliteratur‹ der frühen Neuzeit verwendet: Die gantz welt lebt in vinstrer nacht / Vnd dut in sünden blint verharren / All strassen, gassen sindt voll narren (A022 Sebastian Brant, Narrenschiff 3[a2]), Von dem grossen Lutherischen narren(1522 Murner); von daher auch ›(vorsätzlich wider Vernunft und Moral handelnder) Teilnehmer an Fastnachtsvergnügungen‹: Der Knecht fährt mit dem Holz zu Tal / Viel Narren hat der Karneval (J.Weinheber, O Mensch, gib acht). Aus der Vorstellung, Narrheit im Sinne von ›unvernünftige Vorliebe für etwas‹ sei eine Art Besessensein durch einen Narren, stammt
an etwas/ jmdm. einen Narren gefressen haben; davon zu trennen ist
3Hofnarr‹, ›Spaßmacher und Unterhalter an Fürstenhöfen, der straflos auch unbequeme Wahrheiten aussprechen darf‹. Das Institut des Hofnarren hat in Deutschland vom hohen Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert existiert. Dazu
Narrenfreiheit narrenfreiheit haben (1727 Aler; L059 DWb);
Narrheit (ahd. ), mittelhochdeutsch auch narrekeit;
Narretei Fem. , frühnhd. narrent(h)eiding(e), eigentlich ›Verhandlung nach Narrenart‹, ›unvernünftiges Gerede‹. Gebildet aus Narr(2) und frühnhd. teiding, mhd. tagedinc(Gerichts-)Verhandlung‹ (⇑ "verteidigen", "Tag", "Ding"); Narretei bezeichnet ursprünglich nur sprachliche Äußerungen: schandbare wort vnd Narrenteiding / oder Schertz (A180 Martin Luther, Epheser 5,4), bald aber auch unvernünftiges Verhalten allgemein: es were ein narredei, alles zu sagen, was einem im hirnkasten herumbfahrt (Lieselotte v. d.Pfalz; L059 DWb);
narren ahd. irnarren, mhd. (er)narren, frühnhd. narren
1 (intransitiv) ›zum Narren werden‹, ›wie ein Narr handelndann das gold der neuen welt / macht, dasz alte welt sehr narrt (Logau; L059 DWb), bis ins 18. Jahrhundert;
2 (transitiv) ›zum Narren habennu der teufel… uns… narret (Luther; ebenda), so noch heute im Sinne von ›irreführen‹. ↑ "vernarren".
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