Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
nach
ahd. nah, mhd. nach, norddeutsch umgangssprachlich mit Verkürzung des Vokals, Adverb und Präposition. Als Adverb erscheint es meist in enger Verbindung mit einem Verb, mit diesem zusammengeschrieben, wo es ihm vorangeht, in fester Zusammensetzung aber nur mit einem Substantiv. Erst seit dem 19. Jahrhundert umgangssprachlich üblich ist Zusammenschreibung bei Verbindung mit einem Hilfsverb: nachwollen, nachmüssen usw. Außerdem erscheint es als selbständiges Wort in nach wie vor (selten vor wie nach) und nach und nach. Mit Adverbien verschmolzen in "hernach", "nachher", hintennach und an Stelle der Präposition in danach, wonach, hiernach; nach ist verwandt mit "nahe" und von diesem in der Bedeutung ursprünglich nicht verschieden. So ist es gemeingermanisch (got. nef, nefa, engl. nigh). Die ursprüngliche Bedeutung liegt noch vor in "Nachbar". Bis ins 18. Jahrhundert wurde es so gebraucht (Schiller; L320 Trübner). Sonst hat die Bedeutungsentwicklung eine Richtung eingeschlagen, bei der man nicht mehr an nahe denkt. Als Ausgangspunkt hierfür wohl die Verbindung mit Verben der Bewegung, in der es zur Bezeichnung der Richtung wurde, welcher die Bewegung zustrebte. Aus der Bedeutung ›in der Nähe von etwas‹ entwickelte sich die Bedeutung ›auf etwas zu‹. So wird also mit nach das Ziel angeknüpft. Hierbei sind zwei Hauptfälle zu unterscheiden.1 Das Ziel ist etwas in Ruhe Befindliches, oder wenigstens etwas, bei dem etwaige Bewegung für die Art der Tätigkeit irrelevant ist: nach etwas greifen, werfen, schießen; sehen, rufen; streben, sich sehnen usw. Das Ziel ist dabei häufig etwas, was man in seine Nähe, in seinen Besitz bringen möchte. Reine Richtungsbezeichnung ist nach in Verbindung mit Adverbien: nach oben, unten, innen, vorn, rechts usw. Von unfesten Zusammensetzungen gehören z. B. hierher "nachsehen", nachschauen, nachspähen, "nachspüren", "nachsuchen", nachgraben, nachforschen, "nachdenken", nachgrübeln, "nachschlagen" (in einem Buch), nachstreben. Eine Weiterentwicklung von hier aus hat stattgefunden, indem mit nach nicht bloß das Ziel, auf das man sich zu bewegt, angeknüpft wird, sondern auch das, was erreicht ist. Allgemein geschieht dies neuhochdeutsch mit Länder- und Ortsnamen: er kam nach England, Berlin an Stelle des mittelhochdeutsch ze, zuo; ↑ "gen" ist synonym seit dem Frühneuhochdeutschen. Im 18. Jahrhundert ist häufig nach Hofean den Hof‹; nach dem Arzt schicken bedeutet ›besorgen, daß der Arzt kommt‹, dagegen zum Arzt gehensich zu ihm begeben‹; doch namentlich in norddeutscher Umgangssprache hat sich nach auch für das letztere eingedrängt, eine Auswirkung des niederdeutschen Substrats, üblich v. a. im 19. Jahrhundert; im 20. Jahrhundert eher auf untere und bildungsferne Schichten (gehen wir am besten gleich nach Karstadt) begrenzt.
2 Das Ziel ist in fortschreitender Bewegung, und die Tätigkeit folgt ihm in seiner Richtung. In diesem Fall kann die Vorstellung des mit nach angeknüpften Begriffes als eines Zieles sehr in den Hintergrund treten, während das räumliche Verhältnis desselben zum Subjekt in den Vordergrund tritt, und nach wird synonym mit "hinterher". So erscheint es häufig in unfesten Zusammensetzungen, die dann mit einem eigentlich von nach abhängigen Dativ verbunden werden können z. B. "nachgehen", nachfließen, nachklettern, nacheilen, "nachsetzen" (intransitiv), "nachtragen", "nachwerfen", nachschicken, "nachsehen", "nachsagen". Hierher gehört auch nachwollen usw. Als entsprechende Präposition fungiert hinterher. Verschieden davon sind solche Zusammensetzungen, bei denen das Subjekt das Vorangehende bezeichnet, dem das Objekt folgt, so daß nach einem hinter sich her gleich steht, vgl. nachreißen, nachziehen, nachschleifen, nachschleppen, nachlocken; ein Dativ ist neben diesen nicht möglich. Aus dem räumlichen ›hinter‹ ist Übertragung möglich auf Zurückstehen im Wert oder Rang, vgl. Karl ist der beste, Max kommt erst nach ihm, dazu "nachstehen", nachbleiben (im Tanze blieb ihm der beste nach Wieland), "nachsetzen" (z. B. das Vergnügen der Pflicht). Wichtiger ist
3 die Übertragung auf die Zeit, vgl. zunächst die eng an den räumlichen Gebrauch angelehnten Fälle wie er weinte dem Toten manche Träne nach, jmdm. nachfolgen (im Amt usw.), nachbenannt (im Kanzleistil), nachbleiben (wenn ein Sohn dem abgeschiedenen Manne nachbleibt Voß); einer nach dem andern kam herbei, Stück nach Stück vor die Hand zu nehmen (Lessing). Nach ist aber überhaupt der allgemeine Ausdruck für das zeitlich Spätere geworden als Gegensatz zu "vor", ohne daß irgendein Rest einer Ziel- oder Richtungsvorstellung übriggeblieben ist. Dies ist jetzt die gewöhnlichste Bedeutung, an die wir zunächst denken. Näher der ursprünglichen Bedeutung bleibt es dabei noch, wenn es ›unmittelbar nach‹ ist; es wird aber gerade so gebraucht bei großem Abstand: 1000 Jahre nach Christi Geburt. Hierher gehört auch nach wie vor und nach und nach. Hierher dürfen wir ferner eine Anzahl von unfesten Zusammensetzungen stellen, die sich von den oben angeführten (nachgehen usw.) dadurch unterscheiden, daß sie nicht mit einem Dativ verbunden werden, indem bei ihnen überhaupt nicht an einen Vorgänger gedacht wird, bei denen vielmehr der Sinn ist, daß, nachdem die Tätigkeit eigentlich abgeschlossen ist, noch eine nachträgliche Fortsetzung oder Erneuerung erfolgt; allerdings ist eine scharfe Grenzlinie nicht zu ziehen, indem unmerkliche Übergänge stattfinden, doch vgl. nacharbeiten, nachbessern, nachbluten, nachdunkeln, nachfordern, nachfüllen, nachglühen, nachklingen, nachwachsen, nachwirken. Bei einigen liegt in der Wiederaufnahme der Tätigkeit der Nebensinn einer Kontrolle derselben: nachprüfen, nachmessen, nachzählen, nachrechnen, nachwiegen. Dazu existieren z. T. entsprechende Substantive: Nacharbeit, Nachgebot, Nachguß, "Nachklang", "Nachwuchs", Nachwirkung. Hierzu kommen viele andere substantivische Zusammensetzungen: Nachgeburt, "Nachschrift", "Nachhut", Nachkur, Nachfeier, Nachwehen, Nachwein (von Trestern gemachter), Nachbier, Nachgras, Nachheu, Nachfrühling, "Nachsommer", Nachherbst, Nachwinter, "Nachwelt", "Nachwort" usw. Früher sehr beliebt war eine dem lateinischen Ablativus absolutus nachgebildete Konstruktion mit einem Partizip Perfekt (H.L236 Hermann Paul, Dt.Grammatik 4, 81ff.): nach aufgehobener Tafel (Goethe; L320 Trübner), nach eingeholter väterlicher Erlaubnis (Storm; L320 Trübner). Jetzt nur noch im Sprichwort: Nach getaner Arbeit ist gut ruhn. Noch nach einer ganz anderen Seite hin hat von (2) aus eine Entwicklung zu
4 stattgefunden. Wie man übertragen von einer Straße (dem Lauf eines Flusses usw.) sagt, daß sie geht, daß man ihr folgt, so kann man auch sagen einer Straße nachgehen. Indem in gewissen Fällen der Nachdruck auf Straße fiel, dem sich nach unterordnete, empfand man dasselbe wieder als näher zu diesem, nicht zum Verb gehörig, faßte es also als nachgesetzte Präposition. Durch Übertragen auf das nichträumliche Gebiet gelangte dann nach dazu anzugeben, was die Richtschnur, das Maßgebende für eine Tätigkeit, ein Geschehen ist, wurde also synonym mit "gemäß": den Umständen, meiner Meinung, seiner Aussage nach usw., demnach, im 18. Jahrhundert auch diesem nach (Schiller), solchem nach (Lessing). Aber auch vorangestelltes nach erlangte diese Funktion. In vielen Fällen ist Voran- und Nachstellung möglich, so jedoch, daß bei letzterer auf das abhängige Substantiv ein stärkerer Nachdruck fällt. Nachstellung ist die Regel, wenn die adverbiale Bestimmung die Modalität angibt, unter welcher der Satz Gültigkeit hat: meiner Überzeugung, allem Anschein, allen Anzeichen nach wird er nicht kommen. Dagegen ist bei engerer Verbindung mit gewissen Verben die Nachstellung nicht gestattet: er lebt nach den ärztlichen Vorschriften, er richtet sich nach meinen Wünschen. Niemals kann auch ein Substantiv ohne attributive oder genitivische Bestimmung voranstehen, wohl aber folgen: nach Wunsch, Kräften, Vermögen, Gebühr, Verdienst, Herzenslust. Es scheint, daß diese Verwendungsweise ihren Ursprung teilweise auch in dem zeitlichen nach hat, insbesondere soweit nachvorangestellt wird. Viele zunächst temporale Bestimmungen haben zugleich eine kausale Beziehung: nach dieser Erfahrung glaube ich ihr nichts mehr; nach den Opfern, die ich gebracht hatte, rechnete ich auf Dankbarkeit. Die Vorstellung eines zeitlichen ›hinterher‹ liegt sicher zugrunde bei einer Anzahl von unfesten Zusammensetzungen, die den Anschluß an ein Muster bezeichnen, das teilweise im Dativ (oder Akkusativ, ↑ "nachahmen") beigefügt werden kann: z. B. "nachäffen", "nachmachen", "nachdrucken", nachdichten, nacherzählen, "nachsagen", nachplappern, nacheifern, nachtreten, "nachschlagen", nacharten, nachfühlen, "nachempfinden", "nachdenken". Man kann ihnen meistens Zusammensetzungen mit vorgegenüberstellen. Viele Zusammensetzungen gehören mehreren der aufgestellten Gruppen an und erhalten dadurch mannigfache Bedeutungen, insbesondere "nachsetzen", "nachstellen", "nachschlagen", nachziehen. Dem Mangel eines selbständiger dem Verb gegenüberstehenden Adverbs wird z. T. durch "hernach" und "nachher" abgeholfen. Ersteres erscheint früher auch noch in räumlichem Sinn auf Reihenfolge bezüglich, wobei der ursprüngliche Sinn von herhinter‹ oder ›hinterher‹ deutlicher hervortritt: und stellete die Mägde mit ihren Kindern vorne an, und Lea mit ihren Kindern hernach (Luther); die vorne vor gingen, und die hernach folgten (Luther); noch Lessing gebraucht es in einem Sinne, der dieser Verwendung näher steht als die gewöhnliche zeitliche ›weiterhin‹: hernach ist auch noch dieses zu erinnern. Nachher kommt bei Luther nicht vor und ist erst in neuerer Zeit als Gegensatz zu "vorher" üblich geworden. Umgangssprachlich ist auch schon im 16. Jahrhundert hernacher (= hernachher), noch von Tieck und Immermann gebraucht. Frühneuhochdeutsch ist auch hinnachhinterher‹: wohin das erste ging, da gingen sie hinnach (Luther) ↑ "hinten".
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