Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Mut
altgermanisch (engl. mood›Stimmung‹, altnord. moðr ›aufgeregter Sinn, Zorn‹), ahd. / mhd. muot. Es bezeichnete ursprünglich wohl den Sinn des Menschen und dessen wechselnden Zustand; die weite Bedeutung1Gesinnung‹ bzw. ›Stimmung‹ bis ins Frühneuhochdeutsche mit vielen Facetten, vgl. hoher muot in der mittelhochdeutschen höfischen Dichtung Liebe diu git mir / hohen muot, dar zuo vreude unde wunne (Heinrich von Morungen, MF 132,23 [XIa]); noch Luther deiner Gläubigen Herz, Mut und Sinn(Pfingstlied); hoffärtige Augen und stolzer Mut, der stolze Gebärde und hohen Mut (›Hochmut‹) hat. Aber auch in der neueren Literatur ist diese Bedeutung noch lebendig, vgl. die Nonne entglüht in ihrem Mute(Hölty); wer hohen Muts (›edler Gesinnung‹) sich rühmen kann (G.A.Bürger); mit gelaß'nem Mut (Goethe), mit leichtem Mute (Schiller); Ihr Abendglocken lang und leise / Gebt noch zum Ende frohen Mut (A262 Georg Trakl, Verklärter Herbst). Die alte Bedeutung ist auch in manchen Wendungen erhalten:
⊚⊚ guten Mut haben; jmdn. bei gutem Mut erhalten (›guter Stimmung, Laune‹); guten Mutes sein (›voller Zuversicht‹); jmdm. ist (nicht) wohl zumute. Diese allgemeine Bedeutung liegt auch den meisten Zusammensetzungen und Ableitungen zugrunde (s. unten). Mut konnte auch besonders ›Neigung, Streben‹ bedeuten (frühnhd. mein Mut steht danach), daher schon mittelhochdeutsch
seinen Mut an jmdm. kühlen (A180 Martin Luther, Hiob 16,10; 1673 Ch.Weise Mütgen, heute Mütchen z. B. A075 Johann Wolfgang von Goethe, Reineke Fuchs 8,10).
2"S029" Die heute üblichste Bedeutung ›Bereitschaft, ein kalkuliertes Risiko einzugehen‹, ›Unerschrockenheit, Zuversicht in Gefahr‹ wurde wohl vom Adjektiv mutig (s. unten) her übernommen (vgl. die Parallele bei "Herz", "beherzt"). Statt Mut fassen früher auch einen Mut fassen, bei Luther einen Mut nehmen. – In Zusammensetzungen scheint Mut teilweise als Femininum behandelt zu sein. Es verhält sich aber damit folgendermaßen: Im Mittelhochdeutschen existieren statt der neuhochdeutschen "Demut", Einmut die Formen diemüete, einmüete, welche nicht Zusammensetzungen mit muot sind, sondern Ableitungen aus gleichlautenden Adjektiven (gebildet wie "Güte" zu "gut"). Diese Adjektive sind außer Gebrauch gekommen und durch Ableitungen aus den Substantiven ("demütig", "einmütig") ersetzt. Die verkürzten Formen der Substantive haben durch direkte Anlehnung an Mut den Umlaut eingebüßt. Nach ihrer Analogie wurden im Neuhochdeutschen neue gebildet wie Großmut, "Langmut", "Sanftmut", "Schwermut", "Wehmut". Daneben gibt es wirkliche Zusammensetzungen mit Mut, die Maskulina sind: "Übermut" und (durch Verschmelzung mit einem Adjektiv entstanden) Freimut, "Hochmut", "Wankelmut" usw. Schwanken zwischen Maskulinum und Femininum zeigt sich bei "Kleinmut", "Gleichmut", vereinzelt auch bei anderen. "Anmut" war ursprünglich Maskulinum. – Ableitungen "Gemüt", (wohl)gemut, mutig (s. unten), dazu wieder ermutigen, muten, "anmuten", "zumuten", "vermuten". muten (ahd. muoton, mhd. muotenseinen Sinn auf etwas richten, begehren‹) ist Basis der Ableitungen anmuten, zumuten; muten am längsten erhalten in der Bergmannssprache: ›das Recht erwerben, Erze zu graben‹; früher auch für die Inanspruchnahme eines Lehens, des Meisterrechts im Handwerk; dazu Mutung (15. Jahrhundert).
mutmaßen (14. Jahrhundert; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), abgeleitet von einem untergegangenen mutmasseFem. ›Abschätzung‹; davon auch
Mutmaßung (15. Jahrhundert) und
mutmaßlich (Anfang des 18. Jahrhunderts).
Mutwille ahd. muotwillo ursprünglich ›eigener, freier Entschluß‹, dann negativ ›Willkür‹ und ›Neigung zu leichtfertigem Frevel‹, seit dem 18. Jahrhundert (L004 Johann Christoph Adelung, Wieland) wieder milder ›Neigung zu übermütigen Streichen und Neckereien‹; analog die Entwicklung von
mutwillig (mhd. ), vgl. "absichtlich" (↑ "Absicht"). Ein Verb mutigenmutig machen‹ (Luther) noch Lessing, dazu wiederum (L308 Kaspar Stieler)
entmutigen und
ermutigen, poetisch ermuten (Goethe, Platen; L059 DWb).
mutig, ⇓ "S075" althochdeutsch nur in Zusammensetzungen wie ebenmuotig, einmuotig, langmuotig und in dem Femininum muotigiheftige Empfindung‹ belegt, aber wohl auch einfach vorhanden (vgl. got. modags, altsächs. modag ›zornig‹), ursprünglich auf -ag, daher ohne Umlaut, während -mütig in demütig usw. von Substantiven auf -müete abgeleitet ist (s. oben zu Mut in Zusammensetzungen). Während bei Mutdie heutige Bedeutung (2) mittelhochdeutsch »stets nur mittelbar im worte enthalten« ist (L017 BMZ), hat mhd. muotec (lat. animosus) schon die Bedeutung des heutigen Adjektivs »vorher gesehenen Hindernissen und Gefahren in Erwartung eines guten Ausgangs ohne Furcht entgegen gehend« (L003 Johann Christoph Adelung 1777). Wie Mut(2) ist mutig mit der Vorstellung einer gewissen »Freudigkeit und Munterkeit in allen Handlungen« (L311 Samuel Johann Ernst Stosch 1785) verbunden, besonders adverbial: Frisch also! mutig ans Werk! (A222 Friedrich Schiller, Räuber 1,1). mutig wird heute häufiger gebraucht als seine nächsten ⇓ "S237" Sinnverwandten "beherzt" (↑ "beherzigen"), ↑ "kühn" (1.1), ↑ "tapfer" (2.1), mit denen zusammen es Synonymenwörterbücher seit dem 18. Jahrhundert behandeln. Es tritt in vielfältigen Zusammenhängen und Schattierungen auf, ohne daß sich jedoch eine Aufgliederung in mehrere Bedeutungen empfehlen würde, und übergreift weithin die jetzt üblichen Bedeutungen der Sinnverwandten, die aber jeweils auch besondere Akzente setzen (vgl. die Entwicklung von "herzhaft",↑ "Herz"). Der mutig Handelnde besitzt a) das Bewußtsein bevorstehender Gefahren, Schwierigkeiten (in die er sich begibt bzw. die auf ihn zukommen), b) die Entschlossenheit, die Schwierigkeiten zu überwinden, c) das Vertrauen in das eigene Vermögen, das Gefühl körperlicher und seelischer Kraft und daher d) die begründete Hoffnung und Zuversicht, die Schwierigkeiten zu meistern, die Gefahr zu überstehen. Die wichtigsten Aspekte von mutig sind wohl (c) und (d), besonders (c) heben schon L063 Johann August Eberhard (1795) und L338 Friedrich Karl Ludwig Weigand (1842) hervor; Gegensatz kleinmütig, mutlos, verzagt (weiter "ängstlich", "feige" u.dgl.). Die Bedeutung von mutig wurde wesentlich im Kontext von Kampf und Krieg geprägt, typisch: Der Kühne wagt, der Muthige greift an, der Tapfere weicht nicht (L063 Johann August Eberhard); wenn im Kampf die Mutigsten verzagen(A222 Friedrich Schiller, Jungfrau Prolog 4); es bezieht sich jedoch auch auf unbedeutende, alltägliche Handlungen (vgl. Das Kind sprang mutig ins Wasser), während mit "kühn" Ungewöhnliches, Auffallendes angesprochen wird. Anders als "beherzt" ist mutig sowohl auf die einzelne Handlung beziehbar wie auch als Charaktereigenschaft auf einen Menschen (vgl. "couragiert" ↑ "Courage", "herzhaft"). Mit mutig wird insbesondere das initiative, freiem Entschluß entspringende Handeln bezeichnet (vgl. "wagemutig" ↑ "wagen"), hingegen mit "tapfer"(2) eher das pflichtgemäße, erzwungene Handeln oder Erdulden. Mit tapfer(2.1) wiederum berühren sich inzwischen veraltete Bedeutungen von ⇑ "schnell", "brav"(1), "wacker" (2.2), ferner "mannhaft" (↑ "Mann"); mit "kühn"(1.1) berühren sich veraltete Bedeutungen von ⇑ "bald", "forsch", "frech"(1), ferner ⇑ "keck"(3), "herzhaft"(1.1), inzwischen in anderen Zusammenhängen teilweise ⇑ "forsch"(2.2/ 2.3), "keß"; verschiedenartige Steigerungen (überwiegend negativ bewertet) zu kühn(1.1) sind ⇑ "verwegen" (2.1/ 2.2), "vermessen"(2), "draufgängerisch" (↑ "drauf"), "waghalsig", "leichtsinnig"(3) (↑ "leicht"), "dreist"(2), "frech"(2.2), "unerschrocken" (↑ "erschrecken"). Um forsch(2.1) haben sich ⇑ "flott"(5), "stramm", "schneidig" (↑ "schneiden"), "zackig" (↑ "Zacken") entwickelt. Die historische Entwicklung der Bedeutungen innerhalb der Wortgruppe um mutig spiegelt zeitweilig die erhöhte Wertschätzung bürgerlicher Tugenden, vgl. insbesondere "brav"(2.1), "wacker"(2.3), zur Gegenwart hin die sinkende Bedeutung ritterlich-militärischer Tugenden, vgl. "kühn"(1.1), "wacker"(2.2) u. a. Eine Wendung ins Psychische zeigt "tapfer"(2.2), auch mutig hat hier jetzt einen bzw. seinen Schwerpunkt. Der Bezeichnungsbedarf für allgemeine Merkmale des sozialen Verhaltens scheint die Entwicklung insbesondere zu "frech"(2.2) und "brav"(4.2) begünstigt zu haben.
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