Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Mund
(ahd. ) gemeingermanisch (got. munþs, engl. mouth); ⇓ "S218" umgangssprachlich häufig synonym mit ⇑ "Maul", "Schnauze"; in zahlreichen festeren Wendungen und Redensarten, physisch: das wasser läuft einem im mund zusammen (L059 DWb), im 18. Jahrhundert auch gleichbedeutend jmdm. wässert der mund (Wieland; L059 DWb), sich etwas vom Munde absparen, im DWb auch am Mund absparen. Mund und Küssen sind immer schon untrennbar: mit demo cusse sines mundes (Williram; L059 DWb), häufig dabei der rote Mund: küssest mich mit deinem rothen munde (Hölty; L059 DWb), dagegen bei A010 Gottfried Benn modern nimm das Rouge von deinem Munde, / gib ihn mir blaß (Spät III); auf die Funktion des Sprechens bezogen, nachdrücklich den Mund auftun (Luther; L059 DWb), den Mund aufmachen, so im Gegensatz zu "Herz" zur Bezeichnung unwahren Redens: Wenn sie den Mund aufmachen, distanzieren sie sich von ihrem Herzen (B.A311 Botho Strauß, Niemand anderes [1987] 85), Worte im Mund führen (vgl. L308 Kaspar Stieler) bzw. worte in den mund nehmen (L059 DWb), negiert, um zum Schweigen aufzufordern: Auch du, Andri, sollst dieses Wort[›Jud‹] nicht in den Mund nehmen (M.A064 Max Frisch, Andorra 493), personifiziert Im Spiegel ist Sonntag, / im Traum wird geschlafen, / der Mund redet wahr (A035 Paul Celan, Corona), bezogen auf mehrere Sprecher Mit einem Munde (L308 Kaspar Stieler), auf weithin Bekanntes Allen Leuten im Munde seyn (L308 Kaspar Stieler), später in aller munde sein (Schiller; L059 DWb), gleichbedeutend mit von Mund zu Mund (mhd. ; L190 Lexer): die Strophe aber streift von Mund zu Mund, / sie übersteht die Völkerstreite (A010 Gottfried Benn, Verse), bezogen auf das unverblümte Sprechen, häufig kritisch Kein Blatt vor den Mund nehmen (L004 Johann Christoph Adelung), ebenso wie jmd. ist nicht auf den Mund gefallen (L059 DWb); im Gegensatz dazu zum Ausdruck von Schweigen, z. B. vor Verwunderung, Entsetzen: das hofgesind sperrt mund und augen auf (Wieland; L059 DWb), vor Neugier: mit offnem munde (Lessing; L059 DWb); auf die Dialogsituation bezogen jmdm. etwas in den Mund legen(Wieland; L059 DWb), der dann sagt, was nicht seiner Meinung entspricht, ebenso jmdm. die Worte im Mund umdrehen (Lessing; L059 DWb) für absichtliches Miß- oder Nichtverstehen, jmdm. das Wort aus dem Mund nehmen (B.A249 Botho Strauß, Kalldewey 46) ›das Wort abschneiden‹, darüber hinaus jmdm. über den Mund fahren (L059 DWb) bzw. jmdm. den Mund verbieten (Goethe; L059 DWb), um ihn zum Schweigen zu bringen: Nun verbieten die patriotischen Greise der unbefragten fremden Frau den Mund (Ch.A287 Christa Wolf, Voraussetzungen 12), in der Aufforderung halt den Mund! (L059 DWb); übertragen literarisch ›Spalt einer Wunde‹: aus weitgespaltnem Munde pfeift unter ihrer Brust die Wunde (Schiller), ›Erdspalt‹: den Mund der Höhle (Wieland), ›Mündung‹: an Ganges letztem Munde (Haller).Mundart"S123" gleichzeitig von ⇓ "S071" Ph.v.Zesen (Deutscher Helicon 1641, 45), L381 Christian Gueintz (Deutsche Sprachlehre 1641) und L283 Justus Georg Schottelius (Teutsche Sprachkunst 1641, 22): ⇓ "S208" »Mundart gebrauchen einige das Wort Dialectus [↑ "Dialekt"] zu übersetzen« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741);
1 »besondere Art zu reden« (L004 Johann Christoph Adelung), insbesondere hinsichtlich der Aussprache einer »Gegend« (ebenda) bzw. Region daß die Endungen der Reime zusammenstimmen nur nach vnser Mund-Art wo sie geschrieben (F. v.Logau, Sinn-Getichte 1), schien ihm selber seine Mundart plötzlich ungenügend, sodaß er sich kurz faßte (M.A064 Max Frisch, Mundart 69); übertragen Mundart der Gelehrten… , der Höfe (Gottsched; L320 Trübner), poetische mundart (J.Ch.Günther; L059 DWb);
2überregionale SpracheBericht von der hochteutschen Mundart (L283 Justus Georg Schottelius, Teutsche Sprachkunst, 1641,174), Wörterbuch der hochdeutschen Mundart (L004 Johann Christoph Adelung, Titel des Wörterbuchs), ausdruck edler seelen in dieser mundart[Französisch] (Goethe; L109 Moriz Heyne);
3 wissenschaftlicher Begriff der "Dialektologie" oder Mundartkunde: ›regionale, schriftferne Varietät(»überdacht« von einer Standardsprache)‹: jede mundart ist volksmundart… dialecte sind… grosze, mundarten kleine geschlechter (J.Grimm, Geschichte der deutschen Sprache [1848] 41880,574),
Mundartdichtung(F.Schön, Geschichte der deutschen Mundartdichtung1920ff.),
Mundartliteratur;
mundartlich (L264 Daniel Sanders) ›dialektal‹, »seltener« (L264 Daniel Sanders) mundartig (L033 Joachim Heinrich Campe).
Mundstück frühneuhochdeutsch auf den Mund und entsprechenden Teil des Gesichts, auch auf das Sprechen bezogen: der lehrer ist gottes mundstück (Luther, Tischrede 7b; L109 Moriz Heyne), dann auch (Anfang des 17. Jahrhunderts) ›Teil eines Blasinstruments, der an den Mund gesetzt wird‹;
Mundwerk frühnhd. (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), ursprünglich auch ›Rede‹, daneben wie heute vor allem ⇓ "S027"Redefreudigkeit‹: er hat ein gut Mundwerk (L308 Kaspar Stieler), häufig Geschwätzigkeit kritisierend: mehr mundwerk als beredtsamkeit (Schiller; L059 DWb), ein loses Mundwerk und die Manieren einer Waschfrau (Feuchtwanger; L337 WdG).
Mundwinkel (L033 Joachim Heinrich Campe), häufig im Plural und zur Bekundung von Geringschätzung verachtendes herabziehen der mundwinkel(Lichtenberg; L059 DWb).
munden (16. Jahrhundert; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) die Speise wil nicht munden oder schmecken (L284 Justus Georg Schottelius), seit dem späteren 18. Jahrhundert »in gewählter sprache häufig« (L059 DWb), übertragen mir mundet weit besser dein töchterlein (Heine; L059 DWb).
mündlich bei Luther zunächst auch mit materiellem Bezug zu munden: mündlich gegessen und getrunken (L059 DWb), auf Gesprochenes bezogen: herzlich hassen, mündlich lieben(Logau; L059 DWb), vor allem im Gegensatz zu "schriftlich": Ein mündlich Testament machen, Mündliche Versicherung tuhn (L308 Kaspar Stieler), mündliche Prüfung (L320 Trübner), ⇓ "S208" mündliche Sprache im Gegensatz zu schriftliche Sprache (als unterschiedliche Sprachformen, vgl. L365 ZGL 19.1991,274ff.)
Mündung(frühes 18. Jahrhundert; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) zunächst auf ein Geschütz bezogen, dann das Gegenteil von "Quelle" von Flüssen und Strömen; daraus abgeleitet
münden zuerst L033 Joachim Heinrich Campe, obwohl ahd. munden; »von fließenden Körpern, ausfließen, sich ergießen« (L033 Joachim Heinrich Campe), danach auch von Straßen, Eisenbahnen usw., abstrakt auch auf Gespräche, Auseinandersetzungen bezogen (vgl. L320 Trübner); dazu -(ge)münd(en) in Ortsnamen (Neckargemünd, Peenemünde), oberdt. Gmund.
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