Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Moral
nach lat. (philosophia) moralis (zu mos ›Sitte, Brauch‹), ⇓ "S077" im 16. Jahrhundert zunächst das Morale (lat. morale Neutr. ), im 17. Jahrhundert unter dem Einfluß von franz. la philosophie morale: die Morale, im späteren 18. Jahrhundert die Moral;1Nutzanwendung, Lehre‹, noch Neutrum: das morale der siebenden fabel (E.Alberus; L059 DWb), im 18. Jahrhundert wie (2) Femininum: die erzählung leidet mehr als eine moral (Gellert; L059 DWb);
2gesellschaftlich bedingte und akzeptierte Grundsätze, Werte und Normen für das praktische Verhalten‹ (die zu einer philosophischen ›Lehre‹ werden können, ↑ "Ethik"), dazu Moralphilosophie, Moraltheologie, schon S.L261 Simon Rot 1571: Morale. Ein sitliche lehr, Wolff 1713: die moral (L059 DWb); so geht es, wenn man seinen kindern nicht bei zeiten ein gründliches erkenntnis von der moral beibringen läßt (Gellert; L059 DWb); Er hat keine Moral!… Es ist ein gutes Wort. (A030 Georg Büchner, Woyzeck 144); Moral als Widernatur (1889 A200 Friedrich Nietzsche; 6,82); Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral (B.A025 Bertolt Brecht, Dreigroschenoper; 2,457); Das Kunstwerk hat keine Moral, aber es ist eine (A198 Adolf Muschg, Literatur als Therapie? [1981] 46). Neuerer Gebrauch: Die Moral der Mannschaft/ der Truppe usw. ›die Disziplin, der Zusammenhalt‹: Die Moral war gut/ schlecht; Moralpredigtlästige Ermahnung in moralischer Hinsicht‹, dazu synonym, aber umgangssprachlich Moralpauke. Der lateinische Plural Mores in
jmdn. Mores lehren seit Luther 1527 (L081 FWb) ›jmdn. zurechtweisen‹. Dazu
moralisch (1578; L081 FWb), Moral, das ist, wenn man moralisch ist (A030 Georg Büchner, Woyzeck 144); zu Moral(2) einen Moralischen habenGewissensbisse empfinden, Reue haben‹ seit L084 Arnold Genthe 1892, eher umgangssprachlich;
immoralisch < lat. immoralismoralische Grundsätze ablehnend‹ (L148 Jakob Heinrich Kaltschmidt 1870). ⇓ "S238" Nietzsche prägt die Ableitungen
moralinsauer (Suffix -in aus der chemischen Fachsprache) ›moralisierend‹, wörtlich: ›gesäuert mit Moralin‹ d. h. ›Moralstoff‹: Man kennt das Schicksal Goethe's im moralinsauren altjungfernhaften Deutschland (1888 A200 Friedrich Nietzsche, Der Fall Wagner; 6,18) und
moralinfrei: Tugend im Renaissance-Stile, virtù, moralinfreie Tugend (1888f. A200 Friedrich Nietzsche, Der Antichrist; 6, 170).
moralisieren nach franz. moraliser, seit dem 16. Jahrhundert, bei L004 Johann Christoph Adelung »Lebenspflichten vortragen und einschärfen«, von L031 Joachim Heinrich Campe 1801 schon negativ bewertet: »den Tugendlehrer machen oder spielen«, dazu
demoralisieren nach franz. démoraliserverderben, mutlos machen‹: Wer die Menge demoralisiert, den trifft sicher ihr Undank (1836; L081 FWb).
Moralist nach franz. moraliste, seit 1681 (L081 FWb) ›Sittenlehrer, Sittenprediger‹, letzteres eher negativ bewertet, L031 Joachim Heinrich Campe 1801 »Tugendlehrer«, Aber der Philosoph liebt die Moralisten nicht (A200 Friedrich Nietzsche, Der Fall Wagner; 6,11).
Moralität (ohne Plural) nach franz. moralitéSittlichkeit‹ seit L330 Johann Christian Wächtler 1709 (L081 FWb).
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