Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
mögen
ahd. mugan, mhd. mügen, altgermanisches Präteritopräsens (↑ "dürfen"), verwandt mit altslaw. mogo ›ich vermag‹. Präteritum mochte, mhd. mohte, im 18. Jahrhundert häufig mit Angleichung der Schreibung an die des Präsens mogte geschrieben. ⇓ "S026"1 Die ursprüngliche Bedeutung (in ↑ "Macht" noch erhalten) ist ›können, imstande sein‹, wobei sich zwei verschiedene Schattierungen ergeben, je nachdem, ob hervorgehoben wird, daß die Kräfte des Subjekts zu etwas ausreichen, in welchem Fall jetzt ↑ "vermögen" üblich ist (vgl. auch übermögen), oder daß keine äußeren Umstände hindernd im Wege stehen (so immer bei passivischer Konstruktion). In diesem Sinn ist mögen im 16./ 17. Jahrhundert noch ganz üblich, daher häufig in der Bibel, was sich nicht immer aus dem Zusammenhang erkennen läßt, so daß nur der Urtext entscheiden kann, vgl. fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben mag in die Hölle (A180 Martin Luther, Matthäus 10,28); da ist eine Stadt nahe, darin ich fliehen mag, wie mag Solches zugehen? es mag die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Auch in der neueren Sprache findet sich dieser Gebrauch von mögen noch, z. T. aber mit absichtlichem Anschluß an die ältere, namentlich die Bibelsprache, während sonst allgemein "können" eingetreten ist; vgl. noch nichts mocht' ihm seine Vorsicht frommen(Wieland); verweinen laßt die Nächte mich, so lang' ich weinen mag (Goethe); wenn keiner sie ergründen mag (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust Prolog); glücklich, daß das Schicksal… uns doch nicht verändern mag (A075 Johann Wolfgang von Goethe; Warum gabst du uns.. V.52); nur ein Cäsar mochte Rom verderben, nur nicht Brutus mochte Cäsar stehn (Schiller); wenig mocht' ihm frommen all die süße Liederklage (Uhland).
2 Noch allgemein üblich sind verschiedene Gebrauchsweisen, in denen die Bedeutung (1) abgeblaßt ist. Hierher gehören zunächst Fragen wie wer mag das sein? wie mag das gekommen sein? woher mag er das erfahren haben?, in denen die ursprüngliche Bedeutung von mögen nicht mehr zum Bewußtsein kommt, weil man auch einfacher fragen könnte wer ist das? usw. Ferner Behauptungssätze wie Homer mag doch wohl kein Narr sein(Lessing); das mag ganz angenehm sein; auch die Gesprächsfloskel mag sein ohne es; das mag der Henker wissen (›niemand weiß es‹). Hier wird durch mögen ausgedrückt, daß dem Sprechenden nichts bekannt ist, was der angenommenen Tatsache im Wege stünde, sie unmöglich machte. Daran schließen sich zunächst ungefähre Schätzungen an, wie er mag etwa 40 Jahre alt sein; es mochten etwa 100 Leute zugegen sein; es mochte gegen 3 Uhr sein. Eine unsichere Behauptung oder Vermutung kann auch im Konjunktiv Prät. ausgesprochen werden: das möchte noch angehen, und dann ist kaum noch ein Unterschied zu das ginge noch an; wenn man bei jedem einzelnen so ein Theater machte, das möchte nicht zum Aushalten sein (J.A006 Jurek Becker, Lügner 170). In anderen Fällen drückt mögen aus, daß der Sprechende kein Hindernis in den Weg legt: das mag er halten, wie er will; wer mir den Becher kann wieder zeigen, er mag ihn behalten (Schiller); er mag sehen, wie er fertig wird. Das Gestatten nähert sich zuweilen dem Auffordern: er mag sich in acht nehmen. Das Verb wird auch vorangestellt (mag er's glauben), wohl nach Analogie der konjunktivischen Aufforderungssätze. Im 18. Jahrhundert steht konzessives mögen öfters für sich, so daß ein Infinitiv aus dem Vorausgehenden zu ergänzen ist, vgl. aus dieser Klemme ist ohne Buße nicht zu kommen. Mag's (Lessing). Der konzessive Satz kann sich logisch einem anderen Satz unterordnen: er mag (mag er) wollen oder nicht, er muß; hier gilt's dem Kaiser wohl zu dienen, das Herz mag dazu sagen, was es will (Schiller). Häufig ist der Konjunktiv von mögen in Wunschsätzen an Stelle des älteren ↑ "müssen": möge (möchte) es dir nie leid tun. In Sätzen mit daß, die ein Geschehensollen ausdrücken, steht der Konjunktiv von mögen, wo früher der Konjunktiv des davon abhängigen Verbs gebraucht wurde: ich wünsche, daß er damit zufrieden sein möge.
3 Die gegenwärtig übliche Bedeutung ›gern haben, Lust zu etwas haben‹ geht zunächst von negativen Sätzen aus. Zuerst (schon mhd. ) erscheint sie in bezug auf Speisen; eine Speise nicht mögen ist wohl eigentlich ›sie nicht hinunterbringen können‹. Schon frühneuhochdeutsch ist dann nicht mögen überhaupt ›Widerwillen gegen etwas haben‹, auch in bezug auf Personen: ich vertilgete drei Hirten in einem Monat; denn ich mochte ihrer nicht, so wollten sie meiner auch nicht (der Genitiv von dem eigentlich substantivischen nicht abhängig) (Luther); jetzt allgemein ich mag den Menschen nicht. In gern (lieber) mögen ist die Neigung, die Lust zu etwas eigentlich nicht durch mögen, sondern durch das Adverb ausgedrückt. ⇓ "S028" Es erscheint dann aber auch positives mögengern haben, sympathisch finden‹, vgl. es mögen mich ihrer so viele (Goethe); inzwischen allgemein üblich: er mag, mochte sie gern usw. Jünger, jetzt aber besonders üblich ist nicht mögen mit Infinitiv, wonach dann auch er mag nicht fort, hin usw. Ungewöhnlich ist entsprechende Verwendung in positivem Sinn, vgl. die Gesellschaft, die meinen Geburtstag auf eine so freundliche Weise feiern mochte (Goethe). Doch allgemein üblich ist so der Konjunktiv Prät. : ich möchte wissen usw. Literarisch siehe "können".
möglich mhd. mügelich, zu mögen(1). Es wird teils absolut gebraucht von etwas, das überhaupt sich ereignen, ausgeführt werden kann, teils relativ mit Bezug auf das, was ein Bestimmter vermag: es ist mir (für mich) möglich. Üblich ist ohne Subjekt und Kopula wenn möglich, wo möglich > womöglichvielleicht‹; so viel (lange, bald usw.) als möglich; dafür im 18. Jahrhundert auch bloß so viel möglich (↑ "so"). Danach zuweilen eine merkwürdige attributive Verwendung: außer der so lang als möglichen Dauer (Lessing; ähnlich öfters bei ihm); die Kaiserlichen haben ihre mögliche Gewalt an die Lahn gezogen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 20.6.96). Vgl. "menschenmöglich". Mit Superlativen verbindet sich möglich, mit diesen zusammengeschrieben, z. B. der bestmögliche statt der beste mögliche (der beste, der möglich ist), vgl. das Bestmögliche tun(Klinger); die allgemeinstmögliche Bekanntschaft (Goethe); auf den höchstmöglichen Grad (Engel); die mindestmögliche Spur(Goethe, Briefe); sich mit den wenigstmöglichen Kenntnissen den größtmöglichen Anschein davon zu geben (Lichtenberg); zum Letztmöglichen des Gelingens (Goethe). Daneben findet sich auch gleichzeitige Steigerung von möglich, die diesem nicht logisch zukommt, vgl. der bestmöglichsten Republik (Stahr); größtmöglichster Lustigkeit (Kohl); adverbial bestmöglichst nicht selten. Nur möglich ist gesteigert in dem nicht seltenen baldmöglichst. Allgemein üblich ist bloße Steigerung von möglich bei Voranstellung: möglichst gut usw. Vereinzelt auch hier doppelte Steigerung: aufs möglichstbäldeste(Miller). Diese eigentümliche Steigerung von möglich ist auch allgemein üblich, wenn es nicht mit einem Adjektiv oder Adverb verbunden ist. Statt mit aller möglichen Vorsichtauch mit möglichster Vorsicht; ungewöhnlich mit dem mir möglichsten Fleiße (Goethe); ⇓ "S215" substantiviert er tut das Möglichste, sein Möglichstes; adverbial sich möglichst beeilen.
Möglichkeit (mhd. ) Die Vereinigten Staaten sind das Land der unbegrenzten Möglichkeiten (1902 L.K.Goldberger; L320 Trübner); formelhaft nach Möglichkeitmöglichst‹ (L033 Joachim Heinrich Campe).
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