Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
minder
mhd. minneroder minre (älter minnere); ⇓ "S078" dals Übergang vom n zum r. Verwandt lat. minor, minimus, minuo, griech. minýo, minýtho; Komparativ ohne Positiv für den ursprünglich fehlenden Komparativ von lützel und synonym wenec (↑ "wenig"), daher ursprünglich entsprechend adjektivisch gebraucht ›kleiner‹, so noch im 18. Jahrhundert, meist auf Rang und Bedeutung bezogen: kleiner und nicht so groß wie der Telamonier Aias, nein, weit minder an Wuchs (Voß), der mindere Musiker (neben der geringere Maler) (Goethe), unter den Göttern mindern Rangs(Goethe), eine unendlich mindere Veranlassung (Lessing); älteres mindere Zahl ist verschmolzen zu Minderzahl (wie "Mehrzahl"); so heute nur noch auf Gegenstände bezogen als Qualitätsbegriff ›weniger gut‹, daher minderwertig (s. u.); wie wenec seit dem Mittelhochdeutschen substantivisch ›eine geringere Quantität‹: seine spitzgen Fragen, die minder, als sie sagen, sagen (Lessing), ihr erhaltet weder mehr noch minder(Schiller), so zunächst wie wenec mit dem Genitiv Plural oder dem Genitiv Singular von Stoff- und Zustandsbezeichnungen verbunden, daher noch der Schmerzen wären minder unter den Menschen (Goethe), adverbial im Sinne von ›wenigerdas minder Rühmliche (Schiller), mein Besuch wird dann um so viel minder sie befremden (Schiller), nichts desto minder (Wieland); neben dem Singular ist wie bei "wenig" das Verhältnis in ein attributives umgebildet: wenn die Lerche minder Kunst verriet (Gellert), mit minder Ungeduld (Wieland); häufiger aber adjektivisch an Stelle der flexionslosen Form im Sinne von ›gering‹: in mindrer Zeit (Wieland), mit minderm Widerwillen (Schiller); jetzt – außer in Zusammensetzungen (s. unten) – fast ganz durch weniger (↑ "wenig") verdrängt.mindest mhd. minnest (das d aus dem Komparativ übertragen), superlativisch; ursprünglich auch ›kleinst‹, so noch frühneuhochdeutsch, vereinzelt noch bei Grillparzer: der mindeste von deinen Dienern. Frühzeitig Superlativ zu wenigin dem jetzigen Sinn ›wenigst, geringst‹ neben Zustandsbezeichnungen, durch wenigst- zurückgedrängt und beschränkt auf nur Gedachtes; daher in Behauptungssätzen nur, wenn sie der Form oder dem Sinn nach verneinend sind (nicht der mindeste, ohne den mindesten Zweifel); außerdem, schon weniger üblich, in hypothetischen Sätzen: wenn Euch im Tode nur der mindeste Schauer anwandelt (Schiller), ebenso substantivisch das Mindeste: er warnt mich, Euch das Mindeste zu borgen (Uhland); adverbial im mindesten: alles, was im mindesten verfänglich schien(Goethe), häufig nicht im mindesten / nicht das mindestegar nicht‹; dagegen ohne Beschränkung bei zum mindesten, aufs mindeste und in dem mit beiden gleichbedeutenden üblicheren
mindestens Anfang des 18. Jahrhunderts (L059 DWb) (vgl. L012 Otto Behaghel, Syntax 3,211). Das abgeleitete Verb
mindern spätmhd. minder(e)n (ahd. minniron), in ausgedehnterer Verwendung als minder, weil von wenig kein entsprechendes Verb gebildet ist; dazu umgangssprachlich üblicheres vermindern.
minderbemittelt L264 Daniel Sanders 1885, spöttisch auf geistige Fähigkeiten bezogen: geistig minderbemittelt (L337 WdG).
Minderheit schon bei Notker minnerheit, ⇓ "S124" Lehnübersetzung von lat. minoritas, dann erst ⇓ "S133" wieder 1801 (⇓ "S071" L031 Joachim Heinrich Campe) als Lehnübersetzung von franz. minorité (Ende des 18. Jahrhunderts als Minorität übernommen), ›kleinere bzw. unterlegene Gruppe‹, »die geringere Zahl Personen« (L033 Joachim Heinrich Campe), vor allem ⇓ "S175" politisch die Minderheit der Stimmen (L033 Joachim Heinrich Campe), nationale Minderheit, dafür ⇓ "S145" nationalsozialistisch und noch bei L201 Lutz Mackensen völkische Minderheit, im parlamentarischen Sinn die Minderheit stellt die Regierung(L097 GWb), dazu Minderheitenfrage (L320 Trübner), Minderheitenschutz, bei L242 Richard Pekrun (1933) Minderheitsschutz.
minderjährig Anfang des 16. Jahrhunderts, ⇓ "S124" Lehnübersetzung von mittellat. minorennis »noch nicht die nach den Gesetzen zur eignen Verwaltung seines Vermögens erforderlichen Jahre habend« (L004 Johann Christoph Adelung), Gegensatz ↑ "volljährig".
minderwertig"S075" (L264 Daniel Sanders 1885), im ⇓ "S145" Nationalsozialismus rassenideologisch auch auf Menschen bezogen, »fest geworden ist ›geistig minderwertig‹« (L320 Trübner), dazu Minderwertigkeit (L264 Daniel Sanders 1885), Minderwertigkeitsgefühl »Unterlegenheitsgefühl« (L320 Trübner).
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