Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Metaphysik
griech. metaphysiká ›über die Natur hinausgehend‹ (aus metá ›über.. hinaus‹ und dem Neutrum Plural des Adjektivs physikós ›natürlich‹), mittellat. metaphysica; in der deutschen Form seit dem 18. Jahrhundert bei Thomasius, C.Wolff und Crusius;1"S168"philosophische Untersuchung des über das empirisch Faßbare Hinausgehenden (als Teildisziplin der Philosophie)‹, »diejenige philosophische Wissenschaft, welche sich mit den allgemeinen Eigenschaften der Dinge, mit dem Daseyn und den Eigenschaften Gottes, mit dem Wesen der Welt überhaupt und mit den Eigenschafften eines Geistes beschäftiget« (L004 Johann Christoph Adelung): Metaphysic, welche nach dem Vorgeben desAristotelis den vornehmsten Kern aller Wissenschafften in sich begreiffet (1712 Ch.Thomasius, Einleitung zur Hoff-Philosophie §17); die Metaphysik [ist] eine Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft(1766 I.A153 Immanuel Kant, Träume eines Geistersehers; AA 2,368); Insofern aber alle Metaphysik sich vornehmlich mit Substanz und Freiheit des Willens abgegeben hat, so darf man sie als die Wissenschaft bezeichnen, welche von den Grundirrtümern des Menschen handelt doch so, als wären es Grundwahrheiten (A200 Friedrich Nietzsche, Menschliches; 1,18); Metaphysik ist das Hinausfragen über das Seiende, um es als ein solches und im Ganzen für das Begreifen zurückzuerhalten (1929 M.Heidegger, Was ist Metaphysik? 24); Bei vielen Wörtern der Metaphysik zeigt sich nun,… daß sie… ohne Bedeutung sind (1931 R.Carnap, Überwindung der Metaphysik 220); dazu in (metonymischer) Übertragung der Gebrauch im Sinne von »ein Buch, welches diese Wissenschaft [Metaphysik] enthält« (L004 Johann Christoph Adelung);
2(philosophische oder mythologische) Denkweise‹: Metaphysik ist, wenn gleich nicht als Wissenschaft, doch als Naturanlage (metaphysica naturalis) wirklich… und so ist wirklich in allen Menschen, so bald Vernunft sich in ihnen bis zur Speculation erweitert, irgend eine Metaphysik zu aller Zeiten gewesen und wird auch immer darin bleiben (I.A153 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft; AA 3,341); Ihre[der Indier] Mythologie ist so ganz eine Metaphysik des Blumen- und Pflanzenlebens (Herder; L151 Josef Kehrein); Man kann in den Naturwissenschaften über manche Probleme nicht gehorig sprechen, wenn man die Metaphysik nicht zu Hulfe ruft; aber nicht jene Schul= und Wortweisheit; es ist dasjenige was vor, mit und nach der Physik war, ist und seyn wird (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 22,243 LH); Die Metaphysik ist das Böse. Denn sie ist zu nichts gut, als den Fleiß einzuschläfern, den wir dem Bau des Gesellschaftstempels zuwenden sollen (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 722);
3geschichtlicher, (mit Hegel) angeblich vollendeter Abschnitt der Philosophie‹: Die erste Periode, die der Metaphysik, enthält als Hauptpersonen Cartesius, Spinoza, Locke, Leibniz u. s. f.,die französischen Materialisten. Das Andere ist die Kritik, Negation dieser Metaphysik, und der Versuch, das Erkennen für sich selbst zu betrachten (A113 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie; 19,330); Die Vollendung der Metaphysik beginnt mit Hegels Metaphysik des absoluten Wissens als des Willens des Geistes(M.Heidegger, Vorträge und Aufsätze I [1954] 68); dazu
Metaphysikersich mit Metaphysik beschäftigender, diese lehrender Philosoph‹: Der Metaphysiker hat es hier leichter(Herder; L151 Josef Kehrein); Plato ist kein solcher Metaphysiker und Aristoteles noch weniger, obgleich man gewöhnlich das Gegentheil glaubt (A113 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, System der Philosophie §36; 8,115); Metaphysiker sind Musiker ohne musikalische Fähigkeit (1931 R.Carnap, Überwindung der Metaphysik 240);
metaphysischvon der Art der Metaphysik‹, ›in der Weise der Metaphysik vorgehend‹, ›das Sinnliche übersteigend‹ (18. Jahrhundert); und die metaphysische Anschauungsweise… stößt doch jedesmal früher oder später auf eine Schranke, jenseits welcher sie einseitig, borniert, abstrakt wird und sich in unlösliche Widersprüche verirrt (F.Engels, Anti-Dühring; A186 Karl Marx/ A186 Friedrich Engels 20,21); Denn die metaphysische Wissenschaft ist ein historisch begrenztes Phänomen, das metaphysische Bewußtsein der Person ist ewig (W.Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaft; Gesammelte Schriften 1,386); Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück (A282 Ludwig Wittgenstein, PU §116); ein metaphysischer Schauder (A318 Heinrich Böll, Frauen vor Flußlandschaft 650); substantivisch: und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen will, ihm nachzuweisen, daß er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat (A282 Ludwig Wittgenstein, Tractatus 6,53).
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