Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Maß
Neutr. , aus Vermischung von mhd. maze Fem. und mez Neutr. ; zu Resten des Femininums Maß(e), zum Teil mit schwacher Flexion, s. unten; der Übergang wurde dadurch erleichtert, daß in vielen Verbindungen das Geschlecht nicht zu unterscheiden ist.1das zum Messen Verwendete‹, zunächst die durch Gewohnheit oder Gesetz beim Messen geltende Norm; Maß und Gewicht, Leipziger Maß, nach altem (neuem) Maß,
mit dem gleichen (verschiedenen) Maß messengerecht (ungerecht) urteilen‹, daher bei Luther mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden; übertragen er [der Mensch] mißt nach eignem Maß sich bald zu klein und leider oft zu groß (Goethe); im Sinne von ›Norm, Vorbild‹: die Gruppe des Laokoon ist ein Maß für das, was die bildende Kunst der Alten im Pathetischen zu leisten vermochte (Schiller); als Hohlmaß (A180 Martin Luther, Lukas 6,38) ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß, übertragen A180 Martin Luther, Matthäus 23,32 erfüllet auch ihr das Maß eurer Väter; danach er wird nimmer Friede mit mir machen, bis meines Unglücks Maß erfüllet ist (Schiller); seit dem 14. Jahrhundert speziell Flüssigkeitsmaß von bestimmter Größe, seit 1868 durch "Liter" ersetzt, süddeutsch besonders bairisch als Femininum erhalten: eine Maß Bier, Wein etc. (vgl. süddt. Geißenmaß ↑ "Geiß"); als Längenmaß ein Maß anlegen (üblicher einen Maßstab); dazu Maßgeschäft süddeutsch ›Schnittwarenhandlung‹, Femininum noch bei Winckelmann man misset den Hals mit einem Faden oder Bande, diese Maß wird alsdann doppelt genommen;
2soviel etwas mißt‹ (nach Umfang oder Länge): sein Maß beträgt 5 Fuß 4 Zoll; etwas in natürlichem, vergrößertem, verjüngtem Maß zeichnen; (das) Maß zu einem Anzug, zu einem Paar Stiefeln usw. nehmen; auf Zeitverhältnisse übertragen Zeitmaß, Versmaß, Silbenmaß, auf Stärkeverhältnisse: das Maß von Glück, Leiden, Fähigkeiten usw.; die Bedeutung des Adjektivs verstärkend in vollem, reichem, hohem, gleichem Maß, in (eben dem) Maß, wie; wo dem Fremdling reicher Maßen Ackerfeld ist zugeteilt (Goethe), Femininum: da er dem Winde sein Gewicht machete und setzete dem Wasser seine gewisse Maße (Luther), daß er die rechte Maße mißt (Gleim), in der Maße, wie seine Gesundheit wieder kam, verschwand bei ihr jede Art von Neigung (Goethe); vgl. dermaßen, "einigermaßen" (↑ "einig"), "Ebenmaß" (↑ "ebenmäßig"), "Gleichmaß" (↑ "gleich"), ↑ "Mittelmaß", Übermaß, mhd. übermaz, »seit dem 18.Jahrh. allgemein, meist metaphorisch« (L059 DWb);
3 positiv im Sinne von ›richtige Menge‹: Maß in Eßen und Trinken (L308 Kaspar Stieler), das rechte Maß, Maß halten, das Maß überschreiten, kein Maß kennen, mit, ohne Maß, über alles Maß hinaus, maßvoll, maßlos; häufig verbunden Maß und Ziel (P.Gerhardt; L059 DWb); zunächst besonders Femininum Christenkreuz hat seine Maße(P.Gerhardt), Maße halten noch bei Goethe; besonders mit Präpositionen: mit Maßen (Goethe), ohne alle Maße (Luther), ohne alle Maßen (P.Gerhardt), über die Maße (Luther), über die (alle) Maßen (L308 Kaspar Stieler) noch jetzt, aus der Maße(n) Luther u. a. bis ins 18. Jahrhundert, dazu mäßig (s. unten);
4 speziell Femininum ›Art, wie etwas eingerichtet ist‹ (mhd. ), ⇓ "S010" kanzleisprachlich Maß geben (L308 Kaspar Stieler); ohne jemanden in seinem eigenen Urteile über diese Person Maß geben zu wollen (Wieland), sie seien nicht geneigt, ihm darin Maß zu geben (L. v.Ranke), noch allgemein maßgebend, dazu ↑ "unmaßgeblich", Maßgabe, Maßnahme, Maßregel (s. unten); mit in: beiliegenden Brief habe ich in der Maße geschrieben, daß Sie solchen vorzeigen können (Goethe); entsprechend in eben der Maße (I.Kant), in dieser Maße (Goethe), in solcher Maßen (Möser, Goethe), in gewisser Maße(Winckelmann, I.Kant), in gehöriger Maße(Möser), in gleichem Sinn und gleicher Maße (Goethe); daher konjunktional maßen »seit der classischen zeit veraltet« (L059 DWb) ›in Anbetracht daß‹, im 17. Jahrhundert aus inmaßen (L012 Otto Behaghel, Syntax 3,205ff.), noch bei Hebel (vgl. L059 DWb); mit Genitiv meist als Zusammensetzung, allgemein gewissermaßen, "folgendermaßen", bekanntermaßen, verabredetermaßen; seltener angezeigtermaß (Lessing), angeführtermaß (Lessing), oben erzählter Maßen(Wieland), gleichermaß, ebenermaß (noch bei Goethe), gewöhnlichermaß (Schiller), erweislicher Maßen (Wieland); früher auch dermaßen in diesem Sinn; dazu -mäßig in Zusammensetzungen (s. unten);
5 ganz verdunkelt ist der ursprüngliche Sinn in GliedmaßenGlieder‹. Der nicht mehr übliche Singular die Gliedmaß(e) ursprünglich wirklich ›Maß der Glieder‹, Singular früher auch Neutr. ; jedes Gliedmaß (Jean Paul).  
Maßgabe zu Maß(4), im 18. Jahrhundert für älteres Maßgebung (L308 Kaspar Stieler); bei Wieland ohne Maßgabe wie unmaßgeblich; nach Maßgabe mit Genitiv; dazu
maßgeben (15. Jahrhundert; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), im Partizip »heute vielgebraucht« (L059 DWb): eine maszgebende persönlichkeit, die… erfahrungen sind maszgebend(ebenda), synonym mit
maßgeblich »richtschnur gebend« (L059 DWb);
Maßnahme 1839 Immermann für älteres Maßnehmung, dieses auch wie Maßregel zu Maß(4), häufig bei ⇓ "S126" Wieland: den Maßnehmungen, welche man gegen diesen oder jenen Zweig der sittlichen Verderbnis besonders nimmt.
Maßregel (1755 Lessing, Sampson 4,8), zu Maß(4), ⇓ "S010"Regel für das einzuschlagende Verfahren‹, häufig im Plural; ohne Plan und Maßregel herumschweifen (Goethe); im 18. Jahrhundert in den Verbindungen Maßregeln nehmen (Wieland, Schiller), ergreifen, treffen; dazu
maßregeln (einen Beamten) seit 1846;
Maßregelung 1847 (vgl. L181 Otto Ladendorf 201);
Maßstab zu Maß(1); seit dem 15. Jahrhundert (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt)
1 Meßgerät aus dem Bauhandwerk und der Geometrie,
2 auf der Landkarte Skala, womit die eingezeichneten Strecken zu ihrer natürlichen Größe in ein Verhältnis gesetzt werden können, seit dem 18. Jahrhundert übertragen ›Prüfstein‹, ›Richtlinie‹ (vgl. L059 DWb), häufig im Plural: strenge Maßstäbe anlegen (vgl. L320 Trübner), Maßstäbe setzen (L337 WdG); er urteilt nach einem andern Maßstab, legt bei der Beurteilung einen anderen Maßstab an, ich habe keinen Maßstab dafür.
mäßig ahd. mazig, zu Maß(3);
1Maß haltend‹: mäßig leben… trinken (L308 Kaspar Stieler), oder ›das richtige Maß nicht übersteigend‹: mäßiger Preis, Aufwand usw., dazu "ebenmäßig", "gleichmäßig", übermäßig, Ableitungen aus den entsprechenden Substantiven (s. oben Maß[3]); weiter zu der Bedeutung ›von geringer Qualität‹: ein mäßiges Getränk, Vergnügen, ein mäßiger Kopf, so auch in "mittelmäßig" (L308 Kaspar Stieler); in zahlreichen und seit etwa 1940 zunehmenden Zusammensetzungen
2 als Grundwort, zu Maß(4), besonders in der Bedeutung ›hinsichtlich‹: aktenmäßig, leistungsmäßig, verpflegungsmäßig, weltanschauungsmäßig, wohnungsmäßig oder ›nach Art von, gemäß‹: gewohnheitsmäßig, handwerksmäßig, kanzleimäßig, kunstmäßig, "pflichtmäßig", planmäßig, rechtmäßig, "regelmäßig", taktmäßig, "verhältnismäßig", vernunftmäßig, zunftmäßig, zweckmäßig, "botmäßig", schneidermäßig, riesenmäßig (A062 Friedrich Freiherr de la Motte Fouqué, Undine, RE 42), volksmäßig, saumäßig, auch literarisch straßenmäßig (A146 Franz Kafka, Spaziergang, Erzählungen 26), grabmäßig (A146 Franz Kafka, Entschlüsse, Erzählungen 27), parademäßig (A146 Franz Kafka, Strafkolonie 153), ateliermäßig (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 27), lagemäßig (A107 Felix Hartlaub, Von unten 146), kriegs       - und luftschutzmäßig(Hartlaub 71), soldatenmäßig (A.A228 Arno Schmidt, Brand's Haide 1.1,153), verstandesmäßig (Th.A012 Thomas Bernhard, Frost 83). (G.Inghult, Die semantische Struktur desubstantivischer Bildungen auf -mässig, 1975).
mäßigen mhd. zigen, am üblichsten reflexiv mäßige dich, Illo! (A222 Friedrich Schiller, Wallensteins Tod 2,3), aber auch seinen Eifer, Zorn, seine Hitze, Begierde, Bewegungen, Schritte mäßigen. Ein Vernünfftiger messiget seine rede (A180 Martin Luther, Sprüche Salomos 17,27); Partizip Prät. gemäßigt adjektivisch: gemäßigte Begeisterung, gemäßigter Liberalismus, er gehört zu den Gemäßigten in seiner Partei, gemäßigtes Klima, gemäßigte Zone; Zusammensetzung "ermäßigen" meist in bezug auf Preise, besonders im Partizip Prät. ermäßigt.
Mäßigung (15. Jahrhundert), dem Verb entsprechend auch als nichtreflexiver Begriff: verbindet sie [die Schönheit] sich mit der Anstrengung des Pathos, so muß dieses eine gewisse Mäßigung erleiden (Schiller).
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