Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Märchen
um 1450 merechyn, ⇓ "S050" Verkleinerungsform von Märe (s. unten), daher zunächst und bis ins 19. Jahrhundert1Kunde, Nachricht‹: das Märchen davon verbreitet sich sogleich (Goethe), bald war die Geschichte ein Märchen in der StadtStadtgespräch‹ (A. v.Arnim), personifiziert sollen wir morgen das Märchen des Hauses werden (Goethe); im negativen Sinn weiterentwickelt zu
2 Gegensatz von Wahrheit und so synonym zu "Geschichte": dein mährchen ist zu grob; / beehre mich mit einer feinern lügen (Hagedorn; L059 DWb), ⇓ "S127" auf Dichtung bezogen verstärkt seit Wieland, in diesem Sinn auch "Ammenmärchen" (↑ "Amme"), daher speziell
3 seit 1700 (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) »eine mit dichterischer phantasie entworfene erzählung« (L059 DWb), ›Geschichte, in der ein Wunder geschieht‹: Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen, 1812 in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder A087 Jacob und Wilhelm Grimm (dazu Feenmärchen, Zaubermärchen), als Volksmärchen (im Titel A197 Johann Karl August Musäus) im Gegensatz zum Kunstmärchen (H.Todsen, Über die Entwicklung des romantischen Kunstmärchens 1905), wohl analog zur Unterscheidung Volkslied, Kunstlied (↑ "Lied"), mündlich überliefert eine Bäuerin… , die uns die meisten und schönsten Märchen erzählte (1815 Brüder A087 Jacob und Wilhelm Grimm, KHM, Vorrede) und im Unterschied zur "Sage" rein fiktional: Das Märchen ist poetischer, die Sage historischer (1816 Brüder A086 Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsche Sagen, Vorrede); psychologisch gedeutet von S.A063 Sigmund Freud: In der Welt der Märchen sollen Angstgefühle… überhaupt nicht erweckt werden (IV,274), dazu
wie ein/ im Märchen: Es klingt nicht nur wie ein Märchen, es ist… die Erfüllung aller… Märchenwünsche (S.A063 Sigmund Freud IX,222) für etwas besonders Schönes.
märchenhaft (Goethe; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt): verschwindet… oder wird märchenhaft(Goethe; L059 DWb), mit betontem Anschluß an Märchen(3): sonderliche Behausung,… inwendig noch märchenhafter als… außen (G.Keller; L337 WdG), heute umgangssprachlich auch hyperbolisierend ›unglaublich‹ (vgl. L337 WdG);
Mär(e) Fem. , ahd. mari, mhd. mære Neutr. / Fem. , zu einem altgermanischen Adjektiv (got. -mereis) ›berühmt‹ (in Namen, z. B. Dietmar); ›Kunde‹, ›Nachrichtich bring' euch gute neue Mär(Luther), im 17. Jahrhundert ausgestorben, in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts ⇓ "S015" wiederbelebt und heute veraltet: sie erkundigt sich nie nach neuer Märe (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Römische Elegien II,33); wie Märchen im Sinne von ›Erfindung, Lüge‹ vom 15. bis 17. Jahrhundert (L059 DWb) und heute spöttisch: die Mär vom Krieg als dem Vater allen… Fortschritts (Urania; L337 WdG).
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