Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
lügen
ahd. liogan, mhd. liegen, gemeingermanisches starkes Verb (engl. lie); in der mittelhochdeutschen Form noch bei Luther und Schottel, seit dem späten 17. Jahrhundert ü-Schreibung (aber schon bei L200 Josua Maaler 1561), wohl in Anlehnung an "Lüge" und zur lautlichen Unterscheidung von ↑ "liegen", mhd. ligen; ältere Formen du leugst, er leugt (↑ "bieten") bei Luther und noch bis ins 18. Jahrhundert; ›bewußt die Unwahrheit sagen‹: aber ich bin ein ordentliches Mädchen, und ist keiner in der Welt, der hintreten und zu mir sagen kann: ›Du lügst. (A060 Theodor Fontane, Stine 2,508); Beide wußten, daß sie doppelt und dreifach logen (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 195); vereinzelt in der Schriftsprache mit schwachem Präteritum: ha! wenn meine augen mir nicht lügten, / das ist eines Römers gang (Schiller; L059 DWb); veraltet auf jmdn. lügen (in bezug auf jmdn. ): Denn man leuget gern auff die Leute / drumb gleube nicht alles / was du hörest (A180 Martin Luther, Sirach 19,15), Wenn ihr niemanden schindet und plackt, / … / Niemand verlästert, auf niemand lügt (A222 Friedrich Schiller, Wallensteins Lager 8.Auftritt); (veraltet) mit Dativ der Person (schon mhd. , noch Goethe): Vnd heuchtelten jm mit jrem munde / vnd logen jm mit jhrer zungen (A180 Martin Luther, Psalm 78,36), Freilich bin ich ein sundiger Mensch; doch red' ich die Wahrheit. Konnt' es mir nutzen wenn ich euch loge? (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 40,71 LH); gelegentlich mit Akkusativ des Inhalts: ich will doch nimmermehr glauben, dasz ich von ohngefähr die wahrheit sollte gelogen haben (Lessing; L059 DWb); allgemein üblich das lügst du im Sinne von ›der Inhalt deiner Äußerung ist vorsätzlich falsch‹: Das lugt er! Was! am Rand des Grab's zu lugen! (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,153 LH); passivisch das ist gelogen, hierzu auch ich müßte lügen: Habe nichts dagegen, daß ihm so sey; / Aber daß mich's erfreut, / Das müßt' ich lügen(A074 Johann Wolfgang von Goethe, 4,355 LH); in höherem Stil (veraltet) etwas lügeneinen falschen Anschein von etwas hervorbringen‹: Deßwegen logst du tückisch mir Versöhnung! (A222 Friedrich Schiller, Braut 1902), an einem der schonen Tage, an welchen der scheidende Winter den Fruhling zu lugen pflegt (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 17,294 LH), Fern erblick' ich den Mohn; er glüht. Doch komm' ich dir näher, / Ach! so seh ich zu bald, daß du die Rose nur lügst (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,392 LH), dazu ↑ "anlügen", belügen sowie das Sprichwort Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht (vgl. H.A182 Heinrich Mann, Untertan 93);Lüge Fem. , ahd. lugi, mhd. lüge, luge
1vorsätzlich ausgesprochene Unwahrheit‹: seinen erlogenen, erstunkenen lügen (Luther; L059 DWb), die schrecklichste lüge aber, die voll tödtlichen betrugs, ist die, wo einer um zu täuschen, heuchlerisch die wahrheit spricht(Eichendorff; L059 DWb), Ich habe diese schnöde Lüge satt (A060 Theodor Fontane, L'Adultera; 2,99); zuerst noch seltenere Nebenform von Lüge zu ahd. lugin(a), mhd. lügen(e), bis ins 18. Jahrhundert daher auch Lügen, bis ins 17. Jahrhundert gelegentlich ohne Umlaut (L037 Petrus Dasypodius 1536: Ein lugen, s. v. Mentior): du wirst also hören, dasz das die wahrheit sei, was du für eine lügen gehalten hast (Lessing; L059 DWb); erhalten vielleicht in jmdn. Lügen strafen (schon Luther; L059 DWb), falls hier ein alter Genitiv Singular vorliegt, jedoch auch Deutung als Genitiv Plural möglich, vgl. die selteneren Ausdrucksformen mit Artikel oder Pronomen: ich straf indesz / euch keiner lüge (Lessing; L059 DWb), und wenn er oder ein anderer wieder solche ungerechte Worte gegen mich brauchte, so wurde ich ihn auf alle Falle der Lugen strafen (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 34,320 LH); üblicher ohne Artikel: Dich straf ich Lügen (A222 Friedrich Schiller, Wallensteins Tod 1,3); dazu lügenhaft (L292 Joannes Serranus 1539: lügenhafftig, s. v. Mentior; L200 Josua Maaler 1561: lugenhaft), lügnerisch (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734), Lügengebäude (1870; L059 DWb), sowie Lügenmaul (Luther; L059 DWb);
2 zuweilen auch übertragen im Sinne von ›Unehrlichkeit, Unredlichkeit‹: Wohin wir in diesem Österreich gehen, wir gehen in die Lüge hinein (Th.A011 Thomas Bernhard, Auslöschung 648);
Lügner Mask. , (L327 Voc.Teut.-Lat. 1482; lugner), ahd. luginari, mhd. lügenærejmd. , der bewußt die Unwahrheit spricht‹: So jemand spricht / Jch liebe Gott / Vnd hasset seinen Bruder / der ist ein Lügener (A180 Martin Luther, 1.Johannes 4,20), er ist ein Lügner, ein schwarzer giftiger Lügner (A222 Friedrich Schiller, Räuber 1,1), Ich müßt' ein Lügner sein wie sieht's denn aus? (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Zerbrochener Krug 1.Auftritt); dazu Lügnerin Fem. : Karlos! / Ich selber habe gut gesagt für Sie. / Auf meine Bürgschaft schied er freudiger / von hinnen. Werden Sie zur Lügnerinn / mich machen? (A222 Friedrich Schiller, Karlos 5,11); von Anfang an seltener neben Lüge auch
Lug Mask. , ahd. lug, mhd. luc (L327 Voc.Teut.-Lat. 1482), »Lugnerey/ Lugenwerck/ Ein eytele red« (L200 Josua Maaler 1561): Ist unsre Willensfreiheit Lug? (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 3,117 LH); heute nur noch in der ⇓ "S243" Reimformel Lug und Trug (L080 Joannes Frisius 1541): gebt acht, am end ist's lug und trug von schandmäulern (Goethe; L059 DWb); Titel von R.Gernhardt 1991; ↑ "leugnen".
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: lügen