Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Luft
ahd. / mhd. luft, gemeingermanisch, ⇓ "S077" ursprünglich Mask. (noch bei Schuppius, jetzt nach Luthers Vorbild Fem. ), vielleicht wurzelverwandt mit ↑ "lüpfen". Die ursprüngliche Bedeutung wohl ›Luftzug‹; die Bewegung hat die Existenz der Luft bewußt gemacht. In diesem Sinn gilt es jetzt noch oberdeutsch, allgemein ist diese Bedeutung weiterhin für den Plural die Lüfte, der besonders bei Dichtern häufig ist; ferner für das Diminutiv Lüftchen, Lüftlein. Luft ist notwendig zum Atmen, der Kranke und Sterbende ringt nach Luft: Luft! Luft! Clavigo! (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Clavigo 4). Luftsteht im Sinne von ›freie Luft‹ im Gegensatz zu ↑ "Zimmer": an die Luft gehenspazieren gehen‹, jmdn. an die Luft setzenjmdn. hinauswerfen‹. Luft erscheint häufig als Gegensatz zu festem Boden (↑ "Boden"): in die Luft fliegen, sprengen; Luftschlösser bauen. Häufige Übertragungen jmdm. / sich Luft machen/ schaffenetwas Hemmendes beseitigen‹, eigentlich ›den Druck beseitigen, der am Atmen hindert‹, vgl. seine Absicht war gewesen, über den Rhein zu gehen, den Schweden Luft zu machen (Schiller), ich machte meinem Herzen Luft (Goethe), wenn er seinem Verdruß auf diese Weise Luft zu machen trachtet (Goethe); entsprechend
⊚⊚ wieder Luft kriegen/ bekommen/ habenaus einer Schwierigkeit herausgekommen sein‹ (L320 Trübner) und jmdm. Luft lassen, vgl. gleich hauen die Männer über die Schnur, wenn man ihnen ein bißchen Luft läßt (Goethe), in die Luft gehenseiner Wut o.ä. freien Lauf lassen‹, etwas liegt in der Luftsteht unmittelbar bevor, ist naheliegend‹ (alle L320 Trübner); Halt die Luft an!sei endlich still‹, die Luft ist reinnichts Verdächtiges ist zu sehen, es droht keine Gefahr‹ (z. B. bei einer illegalen Handlung), dicke Luftes droht Unheil‹ (alle L019 Wilhelm Borchardt). Die Luft erscheint als etwas Nichtiges, vgl. etwas ist aus der Luft gegriffenhaltlos‹, Luft für jmdn. seinmit Absicht nicht beachtet werden‹ (beide ebenda), in die Luft reden (wie in den Wind reden), die Luft anhaltengespannt und bedenklich auf den Verlauf, Ausgang von etwas warten‹, halt die Luft an! umgangssprachlich ›hör auf!‹, auch im Sinne von ›übertreib nicht so!‹. Luftballon (↑ "Ballon");
Luftbrücke"S125" Lehnübertragung nach engl. air lift; ⇓ "S144" nach der Blockade der Westsektoren Berlins durch die Sowjets (vom 24.6.1948 bis 12.5.1949) von den westlichen Alliierten zur Versorgung der Westsektoren eingerichtet, zur Erinnerung in Frankfurt/ M. und Berlin das Luftbrückendenkmal;
Luftfahrt eigentlich ›Fahrt durch die Luft‹ (L308 Kaspar Stieler 1691), ⇓ "S138" in der Bedeutung ›Fahrt mit einem Luftschiff‹ (Wieland; L059 DWb); danach »der den Verkehr mit Luftfahrzeugen umfassende Bereich« (L137 HWb);
LuftflotteFlotte von Luftschiffen‹ (1797 Wieland; L059 DWb), seit Anfang des 20. Jahrhunderts üblich;
Luftkurort (L059 DWb1885 s. v. Luftkur);
Luftpumpe (L169 Matthias Kramer 1719; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), deutsche Bezeichnung der von O. v.Guericke 1654 antlia pneumatica benannten Erfindung in Analogie zu (schon 1579 bezeugt; L164 Friedrich Kluge) wasserbump;
Luftschiff (1735; L059 DWb) bis 1783 Phantasieprodukt; ⇓ "S138" danach Bezeichnung für den von den Brüdern Montgolfier konstruierten Heißluftballon, die Montgolfiere; dazu Luftschiffer (Wieland, Jean Paul; L059 DWb);
Luftschloß übertragen ›Phantasiegebilde‹ (1660; L164 Friedrich Kluge), nach redensartlich ein schloß in die lufft bawen1541 Franck (mhd. uf den regenbogen buwen), ↑ "Wolkenkuckucksheim";
Luftschutz (L025 Brockhaus 151932) ›Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung bei Luftangriffen im Krieg‹ und ›die diese Maßnahmen durchführende Organisation
Luftverschmutzung"S149" ökologischer Begriff (1970 Der Spiegel, Nr. 41,106);
lüften mhd. luften.
1der Luft (dem Luftzug) aussetzen‹ (1663 L284 Justus Georg Schottelius): Zimmer, Betten, Kleider lüften.Etwas anders die Brust lüftenfrische Luft schöpfen‹, z. B. Schiller, Uhland, heute veraltet; übertragen ein gelüftetes Herz (Jean Paul), den Zorn lüften (›ihm Luft machen‹) (Langbehn);
2in die Luft steigen, d. h. emporheben‹ (mhd. ): mit gelüftetem Speer (Wieland), lüftet dann und wann die Augen nach ihr (Wieland), ihr andern lüftet ringsumher den Rasen (Goethe); allgemein noch den Hut lüften, früher auch den Schleier lüftenBewegung zur Begrüßung‹, dieses auch übertragen ›etwas aufdecken, enthüllen‹, dazu ein Geheimnis lüftenenträtseln‹ (L320 Trübner);
luftig daneben früher zuweilen lüftig, ahd. luftig, mhd. luftic;
1 zu Luft (s. oben) in der ursprünglichen Bedeutung ›der Zugluft ausgesetzt‹: auf luftigen Höhen, Wipfeln; zum lüft'gen Sitz (auf einem Baum) (Wieland); luftige Wohnung, luftiger Keller usw. im Gegensatz zu ↑ "dumpfig";
2 vereinzelt literarisch ›in der Luft befindlich, vor sich gehend‹: der luftige Kampf (zwischen Sonnenlicht und Nebel) (Goethe);
3aus Luft bestehend‹, gewöhnlich mit einer Übertreibung im Sinne von ›luftähnlich, ohne Masse und Festigkeitihn umschwebte luftig noch stets der Töne Bann (Uhland), luftiges Gesindel (G.A.Bürger), ihr luft'gen Geschwister (Feen) (Goethe), luftiges Gespinst, Gewand, luftige Pläne, luftiger Schlaf (Klopstock, Wieland); auf Personen bezogen ›ohne Ernst und Solidität; leichtsinnig‹ (1973; L320 Trübner: Kerlchens, die freilich leicht und lüftig genug waren (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Werther 19,51,5).
Luftikus (⇓ "S211" studentensprachlich; L265 Daniel Sanders Erg. 1885) ›Windbeutel‹ zu luftigleichtsinnig‹, zur Wortbildung ↑ "Pfiffikus".
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