Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
los
ahd. / mhd. los, gemeingermanisches Adjektiv (got./ altnord. laus(s), engl. -less), verwandt mit ⇑ "verlieren", 2"löschen" und mit griech. lýein ›lösen‹, lat. luere ›büßen‹.1 Zunächst ist los der Gegensatz zu befestigt (↑ "befestigen"), gebunden (↑ "binden"): Alles was du auff Erden binden wirst / sol auch im Himel gebunden sein / Vnd alles was du auff Erden lösen wirst / Soll auch im Himel los sein (A180 Martin Luther, Matthäus 16,19).
2 Von hier aus ist die Bedeutung erweitert im Sinne von ›nicht gehemmt, nicht behaftet mit etwas‹; sinnverwandt mit ↑ "frei". In diesem Sinn erscheint es nur flexionslos als Prädikat oder prädikatives Attribut. Die häufigen Verbindungen los werden und los sein werden so sehr als Einheit empfunden, daß sie jetzt wie transitive Verben mit dem Akkusativ verbunden werden. Dafür stand früher der Genitiv, der noch im 18. Jahrhundert neben dem Akkusativ üblich ist: suche einer elenden Empfindung los zu werden (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Werther 19,61,19), weil man meiner los sein wollte (H. v.Kleist). Der Übertritt in den Akkusativ ist hier auch durch lautlichen Zusammenfall begünstigt, ↑ "er". Dabei ist auch eine Beschränkung der Bedeutung eingetreten, indem los sein nicht mehr den Sinn haben kann ›nicht durch/ an etwas gebunden sein‹, vgl. dagegen: so wollen wir des Eides los sein, den du von uns genommen hast (Luther). Neben dem Genitiv ist in der älteren Sprache auch Verbindung mit vonüblich: sei los von deiner Krankheit (Luther), auf daß sie von der Bosheit los werden (Luther). Aus der Verschmelzung mit voranstehendem Genitiv sind zahlreiche Zusammensetzungen entstanden, z. B. ⇑ "anspruchslos", "ausdruckslos", "gedankenlos", "gegenstandslos", "grenzenlos", herrenlos, inhaltslos, kinderlos, ↑ "namenlos", schrankenlos, seelenlos, sittenlos, tatenlos, tränenlos, urteilslos, willenlos,woneben aber viele stehen, die nicht genitivisch gefaßt werden können (vgl. ⇑ "arglos", "bodenlos", "brotlos", endlos, friedlos, ⇑ "geistlos", "gottlos", "grundlos" usw.) und solche, denen man es nicht ansehen kann, ob der Genitiv oder der Stamm zugrunde liegt (vgl. ↑ "achtlos", ehrlos, ↑ "formlos", freudlos, gefahrlos, mutterlos, sorglos usw.), endlich solche, die sekundär ein genitivisches s angenommen haben (vgl. ↑ "arbeitslos", ausnahmslos, ⇑ "bedeutungslos", "gesinnungslos", "rücksichtslos" usw.). Diese Zusammensetzungen drücken aus, daß eine Person oder Sache ohne den betreffenden Gegenstand ist, es liegt darin nicht wie bei los sein, daß sie früher in Verbindung mit demselben gestanden hat. Sie stehen im Gegensatz zu den Zusammensetzungen mit ↑ "voll" und nähern sich wie diese dem Charakter von Ableitungen mit Suffix. Sie werden (anders als einfaches los, aber vgl. lose, s. unten) auch flektiert in attributiver Stellung gebraucht. Prädikativ erscheint los außer bei sein und werden noch neben anderen intransitiven Verben, mit denen es meist zusammengeschrieben wird, vgl. losbröckeln, losfallen (alle Bande fallen von mir los Goethe), losgehen (ein Knopf geht von dem Kleid los, ein Gewehr geht los), loskommen (ich kann nicht von ihm loskommen, er ist vom Militär losgekommen), losreißen, losspringen. Noch häufiger ist los neben transitiven Verben Prädikat zu einem Akkusativ: losmachen, loslassen, losgeben, loskaufen, losbringen, losbinden, losbrechen, loshauen, losreißen, losschälen, losschlagen (übertragen) ›hingeben für einen gewissen Preis‹, losschneiden, losspannen, loswickeln, loswinden, (sich) lossagen, lossprechen (den Schuldigen des Mordes los zu sprechenSchiller, da du dich sprachst der Ehre los Goethe), veraltet loszählen (daß ich Sie von denen… Verbindlichkeiten loszählte A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 4.9.96, von jeder Pflicht erklär' ich mich auf ewig losgezählet Schiller), sogar loslösen (Goethe, Schiller).Andere Verben verändern durch die Verbindung mit los ihre Rektion, vgl. losackern, losarbeiten, losringen (in das heit're Reich der Farben ringen sie sich freudig los Schiller). Neben dem Dativ steht losprädikativ bei loshelfen: sie hätten mir zur rechten Zeit losgeholfen (Goethe); dagegen auch selbst die im Dorfe erkaufte Hilfe hatte ihn nicht vor Eintritt der Nacht loshelfen können(Möser). Noch andere Gebrauchsweisen führen weiter ab von der Bedeutung(1). Diese liegt eigentlich noch vor in der Teufel ist los (Offenbarung 20,7ff.) ›es geht schlimm her‹; bei Schiller da geht der Teufel los durch Vermischung mit es geht los (s. unten); hierher auch die Wendung etwas ist lospassiert, ist im Gange‹: es ist dort viel (wenig, nichts) los, heute ist etwas im wirtshaus, im theater los (L059 DWb), insbesondere in Fragen: was ist denn los, liebe Nella? (1954 A018 Heinrich Böll, Haus ohne Hüter 261); dazu es ist nicht viel mit ihm los (›er leistet nichts Besonderes‹) und etwas loshabenetwas Besonderes können, es verstehen‹; sie hat viel losversteht etwas von der Sache, ist sehr kompetent‹; hierher auch der Gebrauch als ⇓ "S209" Sprechhandlungspartikel
3Sprecher fordert den Hörer zum Beginn einer im Satz näher bezeichneten oder aus dem Zusammenhang ersichtlichen Handlung auf‹, wohl ursprünglich mit dem Sinn, daß etwas aus seiner Ruhelage in Bewegung gebracht und damit von seiner bisherigen Umgebung frei, d. h. losgemacht werden soll; L200 Josua Maaler (1561) hat dafür losa (wohl noch mit Aufforderungen verstärkendem mhd. -a, ⇑ "hallo", "hoppla", "hurra"), zumeist elliptisch außerhalb des eigentlichen Satzgefüges: Losa da / Komm har da (L200 Josua Maaler 1561); »Jedenfalls müssen wir jetzt zum Frühstück. Mach, es ist über die Zeit.« »Richtig. Los!« sagte Hans Castorp und warf die Decke von sich (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 242); Na, los, los! (B.A025 Bertolt Brecht, Dreigroschenoper; 2,410); »Los, erzähle«, sagte sie (A018 Heinrich Böll, Und sagte kein einziges Wort, Werke 2,185); Los, du bist dran! (B.A249 Botho Strauß, Kalldewey 98); gelegentlich auch im Satzinneren, ergänzt durch die Präposition mit: Na, nun mal hoppla die Herren und los mit dem Lustwandel (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 129); hierher auch Auf die Plätze, fertig, los! als Startsignal in der Leichtathletik.
4 Entsprechend aufzufassen sind gewisse enge Verbindungen mit Verben, vgl. losbrechen: Gewitter, Streit bricht los, jmd, bricht losschreitet zum Angriff‹ oder ›bricht in heftige Worte aus‹; losfahren auf jmdn. ; losgehen: die Arbeit geht los, unpersönlich es geht los; loslegen umgangssprachlich ›mit etwas beginnen‹; ähnlich losschießen, losschlagen, eigentlich ›mit dem Schlagen beginnen‹; losziehen (im Sinne von ›losgehen, davonziehen‹, aber auch gegen jmdn. losziehen); losplatzen. Hier schließt sich dann an auf jmdn. / etwas losauf jmdn. zu‹, das in Verbindung mit Verben der Bewegung gebraucht werden kann.
5 Durch eine Abschwächung von Bedeutung(1) erhält los den Sinn ›nicht genügend fest gemacht, locker‹: los und wandelbar sind alle Bande, die das leichte Glück geflochten (Schiller). Frühzeitig hat sich aber in diesem Sinn die Form des Adverbs
lose (mhd. lose) statt der flexionslosen Form des Adjektivs durchgesetzt, und zu dieser werden nun die hierfür üblichen flektierten Formen gezogen: ein lose geknüpftes Band, das Band ist lose, ein loses Band. Zuweilen erscheint lose dann im Sinne von ›geringwertig‹: unsere Seele ekelt über dieser losen Speise (Luther). Allgemein ist lose in moralischem Sinn ›leichtfertig, unzuverlässig‹, davon ausgehend auch ›tückisch, hinterlistig‹: vgl. lose Worte; loses Geschwätz, Maul; loser Vogel, Schelm, Bube; falsch und behende, lose und tückisch kennen wir ihn (Goethe). Daraus ist dann wieder durch Abmilderung der Sinn ›mutwillig, schelmisch‹ entstanden: das liebe, lose Mädchen(Goethe), der lose Vogel, der Große (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Werther 19,19,26); in diesem letzteren schlimmen oder milderen Sinn ist es als Prädikat nicht üblich. Dazu ↑ "lösen". Das Verb
loseisen eigentlich ›(ein festgefrorenes Schiff) aus dem Eis befreien‹ (L033 Joachim Heinrich Campe 1809), übertragen umgangssprachlich ›sich (jmdn. ) mit Mühe frei machen‹ (Kosegarten; L033 Joachim Heinrich Campe), jetzt auch ›Geld auftreiben‹ (L097 GWb).
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