Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
liegen
ahd. / mhd. ligen, gemeingermanisch mit Verwandtschaft in anderen indogermanischen Sprachen (griech. léchos, lat. lectus, altirisch lige, tochar. lake ›Lager‹, altslaw. lešti ›sich legen‹), ↑ "legen". Im eigentlichen Sinn von Menschen und Tieren, im Gegensatz zu ↑ "stehen" und ↑ "sitzen". Analog dann auch bei anderen Gegenständen im Gegensatz zu stehen, vgl. der Baum, die Säule, die Flasche, das Faß (danach auch der Wein), der Stuhl liegt. Bei anderen Gegenständen, auf die sich diese Analogie nicht anwenden läßt, bezeichnet liegen nur das Ruhen auf einer stützenden Unterlage, bildet also nur einen Gegensatz zu Verben der Bewegung, sowie zu veraltet hangenhängen‹. Ursprünglich bezeichnete liegenwie sitzen, stehen auch den Eintritt des Zustandes, so noch frühneuhochdeutsch: weil er in kein anderes [Bett] liegen wollte (Grimmelshausen), auch später noch oberdeutsch: lieg' ich ins tiefe Gras hinein (Uhland), allgemein in ⇑ "erliegen", "unterliegen".Das Perfekt wurde dann mit sein umschrieben, während sonst habenherrscht (doch vgl. z. B. daß er schon vier Tage im Grabe gelegen war [Luther], die französischen Prinzen waren da lange im Quartier gelegen [Goethe]; jetzt süddeutsch). Für sich stehend hat liegen in der Regel den spezielleren Sinn. Ausnahmen sind, wenn ein bestimmter Gegensatz durch die Situation angezeigt ist: So kann man z. B. sagen der Stein liegt, wenn man ausdrücken will, daß er nicht mehr im Fallen begriffen ist, oder daß man damit fertig geworden ist, ihn an eine schon bekannte Stelle hinzulegen. Desgleichen auch liegenlassen, liegenbleiben. Eine früher sehr übliche Bezeichnung ist liegendes Gut, liegende Gründe (›Immobilien‹) als Gegensatz zu fahrende Habe (›Mobilien‹). In der älteren Sprache erscheint liegenda(r)niederliegen‹ im übertragenen Sinn: wenn der Mut liegt, wer kann's tragen? (Luther). Außerdem sagt man es liegt Schnee, Reif o.dgl., wobei der Ort vorausgesetzt ist. Bei Hinzutritt einer näheren Bestimmung kann liegen ebensogut den allgemeineren wie den spezielleren Sinn haben. ⇓ "S073" Solche Bestimmungen können sein Adjektiva: tot, krank, müßig, unbenutzt, zerstört, verwüstet liegen; Ortsbestimmungen (am häufigsten): auf der Bank, zu Bett, oben, dort liegen; Angaben des Körperteils, der zuunterst liegt: auf dem Rücken, Bauch liegen; Zeitbestimmungen: er (es) liegt lange, seit gestern; Zustandsbestimmungen: still, krumm, im Schlaf, in den letzten Zügen, im Sterben liegen; ungewöhnlich ein Infinitiv: Genua liegt schlafen (Schiller), desgleichen Infinitiv mit zu: zu sterben liegen (mehrmals bei Klopstock). Über die Subjektverschiebung bei voll liegen vgl. ↑ "voll". In manchen Fällen hat sich noch ein Nebensinn an liegen angeschlossen, der mitunter so zur Hauptsache wird, daß es auch angewendet werden kann, wo ein Liegen im eigentlichen Sinn gar nicht mehr stattfindet. So erscheint liegenbettlägerig sein‹, wie krank sein mit an verbunden: daß der Vater Publii am Fieber und an der Ruhr lag (Luther), meine Mutter liegt am bösen Keuch(Goethe). Von Ortschaften, Häusern usw. sagt man sie liegen in, an, bei usw. Es heißt gefangen, in Ketten liegen, ohne daß die liegende Stellung eine Rolle spielt. Von Soldaten im Quartier liegen, bei jmdm. liegen; entsprechend liegen Truppen: Saul lag in der Wagenburg und das Heervolk um ihn her (Luther), daher auch zu (im) Felde liegenim Feldzug begriffen sein‹. Endlich gebraucht man liegen in bezug auf einen andauernden oder häufig wieder aufgesuchten Aufenthalt: im Wirtshaus liegen, den ganzen Tag auf dem Sportplatz liegen. Viele Verbindungen mit liegen werden übertragen verwendet, z. B. auf der Hand liegen, zu Tage liegen, im Wege liegen, zugrunde liegen, jmdm. auf dem Hals liegen, auch sich in den Haaren liegensich streiten, zanken‹. Das Verb an sich wird von vornherein auf eigentlich unräumliche Verhältnisse übertragen: zwischen diesen beiden Ereignissen liegt eine lange Zeit; der Ton liegt auf der ersten Silbe; die Wahrheit liegt in der Mitte; eine Schuld/ ein Fluch liegt auf jmdm. , es liegt viel auf ihrsie hat für vieles zu sorgen‹; das liegt mir am Herzen, im Sinn, auf der Seele; es liegt nicht in seiner Natur, dieser Sinn liegt nicht in den Worten, es liegt nicht in meiner Absicht; so viel an mir liegt, es (die Schuld) liegt nicht an mir, es liegt daran, es liegt mir viel daran; die Sache liegt so; es liegt das Spiel nicht ganz zu meinem Vorteil (Schiller). Absolut: das liegt mir nichtentspricht nicht meinen Fähigkeiten‹. ⇑ "gelegen", "Lage", "Lager".Liege (L056 Duden 1941) ⇓ "S149" für Chaise longue, Bedeutung dann unspezifischer geworden.
Liegenschaft (1844/ 45 Niebuhr; L059 DWb) ›liegendes Gut‹, d. h. ›Grundbesitz‹, jetzt meist im Plural.
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