Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
leiten
ahd. leit(t)an, mhd. leiten, altgermanisches ⇓ "S107" Kausativum (engl. lead) zu ahd. lidangehen‹ (↑ "leiden"), seinem Ursprung nach mit ↑ "führen" zu vergleichen, mit dem es sich in der Bedeutung berührt, auch hinsichtlich der übertragenen Bedeutungen.1 Die ursprüngliche Bedeutung ›gehen machen‹ klingt durch in Sätzen, wo leitenmit Ortsbestimmungen verbunden ist: Hannibal mußte seine Armee über Saumpfade leiten (Edschmid; L320 Trübner); noch in ↑ "geleiten".
2(verantwortlich, hinweisend) führen, lenken‹ (eigentlich ›bewirken, daß jmd. / etwas (in eine bestimmte Richtung) geht‹), vgl. (veraltet) einen Wagen leiten (Goethe; L059 DWb), ein Institut leiten; leitende Staatsmänner (1938; L320 Trübner), leitender Ingenieur (1928; ebenda); leitendes Prinzip (I.Kant; L059 DWb), sich von der Intuition leiten lassen; formelhaft etwas in die Wege leitenetwas vorbereiten, beginnen‹ (1936; L320 Trübner).
3"S220" Technisch ›Energie durch einen Stoff weiterführen‹, und insofern hat leiten hier nur eine Ergänzung im Subjekt (einwertig): Kupfer leitet. Dazu ⇑ "ableiten", "anleiten", "einleiten", "verleiten"; umleiten, weiterleiten.
Leitartikel"S131" (1848; L164 Friedrich Kluge), ⇓ "S124" Lehnübersetzung von engl. leading article, zunächst übersetzt als Hauptartikel (1837; ebenda), dann leitender Artikel (1839 Gutzkow; ebenda) und schließlich Leitartikel; dazu zunächst scherzhaft
leitartikeln (1857; L164 Friedrich Kluge), dann eher ironisch: in der Herbert Wehner hin und wieder leitartikelt (Der Spiegel; L097 GWb).
Leitfaden (1741 Leit-Faden, 1747 I.Kant Leitfaden; L164 Friedrich Kluge), in Anlehnung an den ↑ "Ariadnefaden", also ursprünglich ›wegweisender Faden‹; übertragen ›Vademekum, kurzgefaßte Einführung in ein Wissensgebiet‹ (Lessing; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt).
Leithammel eigentlich ›Hammel, der eine Herde anführt‹ (Alberus 1540; L164 Friedrich Kluge), daher übertragen abwertend ›Anführer, dem die Menge (gedankenlos) folgt‹ (Jean Paul; L059 DWb); u. a. ins Englische und Französische entlehnt.
Leitkultur, ein Mitte 2000 von der CDU eingebrachter, heftig umstrittener Kampfbegriff, besonders in der Form deutsche Leitkultur; Aber auch wenn es nicht das Wort ›Leitkultur‹ gewesen wäre, sondern ›kulturelle Norm‹, also der Hinweis darauf, daß in komplexen Gesellschaften… so etwas wie eine historische und mentale Dominante vorherrschen müsse, wäre die Aufregung nicht minder gewesen (K.H.Bohrer, Die Angst vor der Leitkultur, in: L384 Merkur 55,2001,75); die erhebliche ⇓ "S207" Kritik an diesem Wort innerhalb der Bevölkerung zeigte sich in dessen Erstplazierung bei der empirischen Braunschweiger Aktion »Unwörter 2000« im Herbst 2000.
Leitmotiv in der ⇓ "S141" Musik »wiederkehrende einprägsame Tonfolge« (L289 Günther und Irmgard Schweikle), die durch spezielle Zuordnung zu Personen usw. vor- und zurückweisende Bezüge stiftet, zuerst 1871 (ebenda) als Bezeichnung, von der Sache her aber schon in der romantischen Oper üblich; entsprechend in der ⇓ "S127" Literatur Bezüge stiftende wiederkehrende Formulierung, der Sache nach schon bei Goethe, v. a. bei Th.Mann (an R.Wagners Technik geschult).
Leitplanke (⇓ "S149" nach 1950, gebucht L097 GWb1978) ›Planke an Fahrbahnen, um abkommende Fahrzeuge aufzuhalten‹.
Leitstern mhd. leit(e)sterneder die Schiffer leitende Polarstern‹, bereits im Mittelhochdeutschen (L059 DWb) übertragen ›Jungfrau Maria‹ und dann allgemein: leitstern meines bisz hierher gequälten herzens (1681 Riemer; L059 DWb).
Leiter1 Mask. ahd. leitari, mhd. leitære;
1jmd. , der verantwortlich etwas führt‹, dazu Leiterin, mhd. leitærinne; »heute« (L320 Trübner 1943) geläufig für den verantwortlichen Vorgesetzten, zudem im ⇓ "S145" NS-Staat: »Da Führer allein für Adolf Hitler vorbehalten wurde, übernahm die Partei Leiter als Titel für ihre Unterführer, z. B. in Reichs-, Gau-, Kreis-, Zellenleiter usw.« (ebenda); in der ⇓ "S169" Physik
2Stoff, der Energie weiterführt‹; vgl. auch ↑ "Blitzableiter".
Leitung (L200 Josua Maaler 1561)
1Tätigkeit, Funktion des Leitens‹: Das Stück unter der Leitung des Herrn Alphonse de Sade lassen wir stattfinden in unserm Bad (P.A275 Peter Weiss, Marat 13),
2das Geleitetwerden, Betreuung‹: der gefährdete Jugendliche braucht eine strenge Leitung (L337 WdG),
3"S220" technisch Rohrleitung, Wasserleitung (L200 Josua Maaler 1561), physikalisch ›Drähte, Kabel, die dem Transport von elektrischer Energie, der Übermittlung elektrischer Signale dienen‹: Stromleitung, Telefonleitung; übertragen umgangssprachlich
⊚⊚ eine lange Leitung habenschwer von Begriff sein‹ (wohl erst nach 1900; vgl. L019 Wilhelm Borchardt), auf der Leitung stehen/ sitzenetwas nicht sofort begreifen‹ (L076 Wolf Friederich). ↑ "Lotse".
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