Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Leib
ahd. lib, mhd. lip, libes, altgermanisch (engl. life), verwandt mit ↑ "bleiben" und ↑ "leben". Bereits indogermanisch (L320 Trübner) hat Leib auch die Bedeutung ›Leben‹. Reste davon haben sich bis in die Neuzeit erhalten, jedoch ohne daß im Sprachbewußtsein eine klare Vorstellung darüber besteht: nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib (Luther); tautologische Formel Leib und Leben; leibeigen; veraltet Leibgedinge (mhd. ›für eine Person auf Lebenszeit ausbedungenes Einkommen‹); veraltet bei Leibe nicht (eigentlich ›bei Strafe des Lebens‹), dafür seit frühneuhochdeutscher Zeit (W.L244 Wolfgang Pfeifer) adverbial beileibe (zunächst in Aufforderungen), umgangssprachlich erscheint beileibe ohne nicht als affektvolle Negation; vgl. "entleiben"; auch die Zusammensetzungen Leibrente, Leibgedinge könnten vielleicht hierhergezogen werden, doch lassen sie sich ebenso zu LeibKörper‹ stellen. Wir sind jetzt gewohnt, Leibimmer in Gegensatz zu ↑ "Seele" zu stellen, weshalb auch ⇓ "S243" Leib und Seele Umschreibung für den ganzen Menschen ist. Der älteren Sprache ist es geläufig, Leib für die ganze Person zu gebrauchen (min lipich‹); noch bei Wieland: von seinen Helden hat jeder auf seinen eigenen Leib zwei oder drei [Weiber]. Hierher gehören Wendungen wie⊚⊚ jmdn. zu Leibe gehen, jmdm. vom Leibe bleiben, sich jmdn. vom Leibe halten. Daher auch der Gebrauch in vielen Zusammensetzungen: Leibarzt, Leibdiener, Leibkutscher, Leibschneider, Leibwache, Leibgarde, Leibbursche, Leibfuchs (studentensprachlich, ›jüngerer Student an der Seite eines älteren‹ »zu kleinen Ehrendiensten« 1831; L115 Helmut Henne/ L115 Georg Objartel 3,251), Leibpferd, Leibfarbe (›Livrée‹, vgl. A222 Friedrich Schiller, Räuber 2,2); auch Leibgericht (›Lieblingsgericht‹ Jean Paul), Leibspeise. Speziell wird Leib auf den Unterleib, den Bauch bezogen, so in Leibschmerzen, Leibweh, Leibesfrucht, gesegneten Leibes sein (veraltet ›ein Kind erwarten‹), hartleibig. Das ⇓ "S050" Diminutiv
Leibchen (L308 Kaspar Stieler 1691), zunächst im eigentlichen Sinn, dann (Comenius; L059 DWb) übertragen für ein ärmelloses Kleidungsstück, veraltet wie auch als Bezeichnung für Teil der Kinderunterwäsche, heute (⇓ "S164""S195" österreichisch/ schweizerisch) ›Trikot‹ (im Sport) und ›Herrenunterhemd‹.
leibeigen (1431; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), mittelhochdeutsch und noch in der Neuzeit wirksamer Rechtsausdruck, zusammengewachsen aus der mittelhochdeutschen Formel mit dem libe eigenmit dem Leben einem anderen zugehörig‹; dazu
Leibeigenschaft (1431; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt).
leiben (1517; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), jetzt nur in der Verbindung wie er/ sie leibt und lebt (1562 leiben und leben; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt); schon ungewöhnlich diese Schule soll in den Journalen leiben und leben (Lessing), ebenso mit Umkehrung wie du lebst und leibst (Goethe); Zusammensetzung ↑ "einverleiben"; Partizipialbildung beleibt, euphemistisch für ›dick‹ (L033 Joachim Heinrich Campe 1807);
leibhaft ahd. libhaftilebend, lebendig‹, mhd. liphaft, Weiterbildung liphaftigLeben habend, mit Körper versehen‹, woraus leibhaftig, dann ›greifbar, wirklich‹: mit dem leibhaftigen Teufel (A222 Friedrich Schiller, Räuber 1,2); substantivisch der Leibhaftige"S219" Hüllwort für ↑ "Teufel" (Gotthelf; L059 DWb). Dagegen
leiblich ahd. liblih, jetzt als Gegensatz zu ↑ "seelisch", "geistig" (↑ "Geist"): für dein leibliches Wohl, gemeint sind Essen und Trinken, zu sorgen (A138 Hans Henny Jahnn, Chatterton 101); außerdem auf Verwandtschaftsverhältnisse bezogen (leibliche Tochter).
Leibrock (1480; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) bezeichnete früher die den Körper bedeckende Jacke (↑ 1"Rock") im Gegensatz zum ↑ "Mantel", im 19. Jahrhundert (L059 DWb) den ↑ "Frack".
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