Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
lehren
ahd. / mhd. leren, gemeingermanisch (got. laisjan), eigentlich ›wissend machen‹; verwandt mit ⇑ "lernen", "List", "Gleis". Mittelhochdeutsch neben dem Präteritum lertedie v. a. mitteldeutsche Form larte (oberdeutsch noch frühnhd.; L059 DWb), ebenso das Partizip gelart neben gelert (niederdeutsch und Kanzleistil; dazu Gelahrtheit, Gottesgelahrtheit usw.), ↑ "gelehrt";1 im Sinne von ›beibringen, Kenntnis o.dgl. vermitteln‹ kann lehren zwei verschiedene Objektakkusative neben sich haben, die oft direkt nebeneinander stehen: Er muosz mich sine geile sprünge leren (Neidhard; L320 Trübner), Ich lehrte dich Wissenschaft, und ich verneinte die Wahrheit (B.A025 Bertolt Brecht, Galilei; 3,1337). Seit dem 17. Jahrhundert (L320 Trübner) tritt, wohl unter französischem Einfluß, an die Stelle des persönlichen Akkusativs häufig der Dativ: sie lehrte ihm kleine Lieder (Goethe), v. a. in passivischer Fügung: Seit damals wird dem Nilflußpferd / Die deutsche Schrift nicht mehr gelehrt (Morgenstern; L320 Trübner). Statt des Akkusativ der Sache kann ein Infinitiv stehen: Not lehrt beten; Der Krieg wird dich sehen lehren (Feuchtwanger; L337 WdG); bei erweitertem Infinitiv in der Regel mit zu: daß er euch von dem Herrn, euerm Gott, abzufallen gelehret hat (Luther), doch steht zu nicht, wenn die Bestimmung vom Infinitiv getrennt ist: lehre diesen Weg mich gehn (Gellert), wenn ich dich ihn könnte verachten lehren (Goethe). Endlich kann das, was gelehrt wird, durch einen abhängigen Satz ausgedrückt werden: der dich leret was nützlich ist (A180 Martin Luther, Jesaja 48,17). Bei Umsetzung in das Passiv kann entweder die Person oder die Sache zum Subjekt gemacht werden; von der ersteren Art geht die adjektivische Verwendung des Partizips "gelehrt" (substantivisch der/ die Gelehrte) aus. Neben der Person als Subjekt erscheint seit mittelhochdeutscher Zeit der Akkusativ der Sache und umgekehrt, vgl. bei Lessing wie er es in seiner Jugend war gelehret wordendie Sprache kann den ersten Menschen sein gelehret worden; dafür vereinzelt auch mit Dativ: uns andern ist das nun schon nicht gelehrt worden (Goethe). Diese Konstruktionen wirken heute eher gekünstelt und sind im Rückgang begriffen (Ersatzformulierungen sind z. B. "unterrichten", "unterweisen", "beibringen", "vermitteln" usw.; vgl. W.Sanders in: Franco-Saxonica, Festschrift Goossens, 118); lehren zumeist noch von Professoren ›akademischen Unterricht erteilen‹: sie lehrt Germanistik. Umgangssprachlich und mundartlich weit verbreitet ist lernen im Sinne von ›lehren‹ (ich habe ihm schreiben gelernt: »nicht korrekt«, L379 Duden, Stilwörterbuch 61971,343);
2 übertragen ›auf eindringliche Art zeigen, beweisen, verdeutlichen‹ »zu fortwährender Erinnerung« (L109 Moriz Heyne): mit der that musz ich lehren dich, dasz ein freien willen hab ich (Sandrub; ebenda); umgangssprachlich
jmdn. Mores lehrenjmdn. zurechtweisen‹, eigentlich ›jmdm. Sitten, Lebensart beibringen‹ (frühnhd.; L059 DWb); ↑ "belehren".
Lehre ahd. lera, mhd. lere, westgermanisch (engl. lore);
1Belehrung, Unterweisung‹: leret jemand, so warte er der Lere (A180 Martin Luther, Römer 12,7);
2Gesamtinhalt einer Weltanschauung, eines Gedanken- oder Glaubenssystems, wissenschaftliches System‹: unterdrückt die neue Lehre nicht (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Egmont 1), hier greifen lernen und lehre unmittelbar und unvermerkt in einander (J.A089 Jacob Grimm, Kleinere Schriften. 1,277), Die alten Lehren, die tausend Jahre geglaubt wurden, sind ganz baufällig (B.A025 Bertolt Brecht, Galilei; 3,1245), Lehre Christi (A180 Martin Luther, 2.Johannes 9); "Sprachlehre", Farbenlehre usw.;
3Lebensregel, Richtschnur des Verhaltens‹: so acht auf eines freundes lehren (Schiller; L109 Moriz Heyne); hierher die Wendungen aus etwas eine Lehre ziehen(früher auch reflexiv; ebenda), sich etwas eine Lehre sein lassen(ebenda), jmdm. gute Lehren mit auf den Weg geben (L320 Trübner);
4 handwerkssprachlich ›Ausbildungszeit, Fachunterweisung eines Lehrlings‹ (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734): Bey einem Meister… in der Lehre seyn,… Einen Knaben bey jemanden in die Lehre thun oder geben. Einen Knaben in die Lehre nehmen (L004 Johann Christoph Adelung); übertragen ich merke schon, sie nimmt ihn in die lehre (Goethe; L059 DWb);
5 handwerkssprachlich Lehre zunächst auch ›Anleitung (zum Messen), Maß, Modell‹ (mhd. ; L059 DWb), dann spezialisiert ›Meßwerkzeug, mit dem die Formen und Abmessungen eines Werkstücks überprüft werden‹ (Schiebelehre, Schraubenlehre).
Lehrfreiheit »freiheit eine lehre zu verkünden oder als lehrer [an einer universität] zu wirken« (1827 Savigny; L059 DWb);
Lehrgang (L033 Joachim Heinrich Campe 1792; W.L244 Wolfgang Pfeifer), Lehnübersetzung von lat. cursus;
Lehrgebäude (Winckelmann; L059 DWb) ›systematische Darstellung eines wissenschaftlichen Gegenstandes‹, Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache (1782 L004 Johann Christoph Adelung);
Lehrgedicht (1657 Harsdörffer; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) ›didaktisch-belehrendes Gedicht‹;
Lehrgeld (mhd. ) ›Geld, das für eine Lehre gezahlt wird‹ (zu Lehre[4]), s. oben; heute nur noch übertragen in den Wendungen
⊚⊚ Lehrgeld (be)zahlen (müssen) bzw. Lehrgeld gebenErfahrungen durch Schaden erkaufen‹ (L059 DWb), jmd. kann sich sein Lehrgeld wiedergeben lassen Vorwurf gegenüber jmdm. , der einen gewichtigen Fehler in seinem erlernten Beruf macht;
Lehrjahre (1363; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), meist übertragen Lehr- und Meisterjahre (Flex; L320 Trübner), vgl. auch Goethe Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795);
Lehrkörper (L269 Daniel Sanders/ L269 J. Ernst Wülfing) ›Gesamtheit der Lehrenden einer Schule‹, umgangssprachlich u. a. ›weibliches Aktmodell‹ (L177 Heinz Küpper);
Lehrkraft (L059 DWb1885) ›Lehrer bzw. Lehrerindiese schule hat tüchtige lehrkräfte (ebenda);
Lehrplan (L033 Joachim Heinrich Campe) Die Lehrplane [sic] der Schulen berichtigen (ebenda);
lehrreich (L169 Matthias Kramer 1678; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt);
Lehrsatz (1648 Zesen; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) ›grundlegende, beweisbare wissenschaftliche Behauptung‹, Lehnbildung für griech.-lat. theorema, v. a. in der ⇓ "S130" Mathematik;
Lehrstück
1überschaubares und abgeschlossenes Ereignis, das zur Erweiterung der Erfahrung dient‹ (17. Jahrhundert) lasse dir gottes exempel in dieser sach ein lehrstück sein (Schuppius; L059 DWb), bis heute, fehlt in gegenwartssprachlichen Wörterbüchern;
2 Bezeichnung Brechts für kleinere Dramen aus den Jahren 1929/ 30, die – marxistisch fundiert – »an Modellsituationen Mißstände der Gesellschaft aufzeigen sollen« (L289 Günther und Irmgard Schweikle);
Lehrstuhl mhd. lerstuol, Lehnübersetzung von griech.-lat. cathedra, wird bei L004 Johann Christoph Adelung noch »bestiegen« und bezeichnet als Lehramt die ordentliche Professur an einer Hochschule;
Lehrer ahd. lerarijmd. , der das göttliche Wort unterweist‹, mhd. lerære, dann auch nach lat. doctorjmd. , der lehrend, unterrichtend tätig ist‹ (Fechtlehrer, Klavierlehrer); im engeren Sinn ›jmd. , der an einer Schule unterrichtet‹ (Lehrer am Gymnasium); übertragen ›erzieherisches Vorbild, Lehrmeister‹: dich erwähl ich zum lehrer, zum freund. dein lebendiges bilden lehrt mich, dein lehrendes wort rühret lebendig mein herz (Schiller; L059 DWb); dazu
Lehrerin (ahd. lerarin, Handschrift 12. Jahrhundert; W.L244 Wolfgang Pfeifer) für lat. doctrix, ⇓ "S140" in der Form Lehrerin 15. Jahrhundert (ebenda);
Lehrling (14. Jahrhundert; W.L244 Wolfgang Pfeifer), ⇓ "S157" setzt sich gegen Lehrkind und Lehrknecht (beide mhd. ; W.L244 Wolfgang Pfeifer) in frühneuhochdeutscher Zeit durch (vgl. L059 DWbs. v. Lehrkind, Lehrknecht, Lehrling), dafür heute offiziell: ↑ "Auszubildender", früher auch im Sinne von ›Schüler, Anfänger in einer Wissenschaft‹ (1648 Zesen [L320 Trübner] für lat. discipulus ›Schüler‹, ihm folgend L308 Kaspar Stieler 1691 u. a.; vgl. L059 DWb). A107 Felix Hartlaub bildet dazu ⇓ "S140" Lehrlingin (1950 Von unten 38).
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