Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
leer
ahd. lari, mhd. lære, westgermanisches Adjektiv zu "lesen" ›sammeln‹, also ursprünglich ›was aufgelesen werden kann‹ (beim Ackerbau: das abgeerntete Feld, das Armen zum Ährenlesen überlassen wurde); mitteldeutsche Schreibweise leerverdrängt seit dem 16. Jahrhundert oberdt. lär (zu ahd. lari; L059 DWb);1 von einem Behälter oder Gefäß, einem Hohlraum usw. (mhd. , aber auch schon altsächsisch belegt; L059 DWb), ⇓ "S012" Gegensatz ↑ "voll"; übertragen
leeres Stroh dreschen, eigentlich ›eine Arbeit, bei der nichts raus kommt‹ (Geiler von Kaisersberg; L019 Wilhelm Borchardt s. v. Stroh), jetzt ›Unsinn, Überflüssiges reden‹. Davon
2 übertragen ›nichtig, gehaltlos‹ (altsächsisch und sonst nur neuhochdeutsch belegt; vgl. L059 DWb): leere Worte, Hoffnung, Versprechungen usw.; Schwatze nicht auf mich ein… / Deiner Phrasen leeres Was / Treibet mich davon(Goethe; Ch.L042 Christa Dill);
3 von einer Fläche o.ä. (frühnhd.; L059 DWb): ein leerer Stuhl (übertragen der päbstliche Stuhl ist leervakant‹ J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741), leer ausgehennichts abbekommen‹ (nach biblisch ›ohne Habe‹: läßt die Reichen leer A180 Martin Luther, Lukas 1,53), leer stehenunbewohnt sein‹ (beide L320 Trübner), leeres (›unbeschriebenes‹) Blatt, leer laufennicht produktiv arbeiten‹ (L320 Trübner); übertragen ›menschenleer, verlassen, einsam, öde‹: Vnd die Erde war wüst vnd leer(A180 Martin Luther, 1.Mose 1,2) (dazu s. unten Leere). Die Beziehung gewöhnlich durch von angeknüpft, auch durch an: nicht leer an Schwermut (Klopstock), an Taten leer (Schiller); frühneuhochdeutsch und literarisch im Genitiv: leer der Tränen (Klopstock).
Leerlauf (L059 DWb 1885)
1Kanal, der das Wasser von den Mühlenrädern ableitet‹;
2Lauf einer Maschine ohne Belastung bzw. Nutzen‹ (L056 Duden 91915 »leer laufen [z. B. Maschine]«); dazu übertragen ›nutzloses Tun‹ (z. B. der Verwaltung).
Leerstelle
1 »Wörter einer best. Wortklasse (eröffnen um sich) eine oder mehrere Leerstellen« (L028 Karl Bühler, Sprachtheorie 1934,173), z. B. das Verb leeren(s. unten) zwei;
2 literaturwissenschaftlich (Iser 1970; L257 3RL) ›ausgesparte Information eines literarischen Textes, die der Leser rezeptiv füllt‹; dann auch allgemein
3Arbeitsstelle, die nicht besetzt ist‹ (L097 GWb1978).
Leere (L037 Petrus Dasypodius 1537; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), im eigentlichen Sinn gähnende Leere; meist übertragen wenn uns des Lebens Leere tödtet (A131 Friedrich Hölderlin, An die Unerkannte), fremd bewegt er sich unter den Leuten, geht im Gemenge und gleichsam doch von einer Leere umgeben (Th.Mann; L097 GWb).
Leerheit (L327 Voc.Teut.-Lat. 1482 lehrheit; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) ›Zustand des Leerseins‹, wie Leere(s. oben) meist übertragen: sie sah mit lebensatter leerheit zum fenster hinaus (Jean Paul; L059 DWb);
leeren ahd. irlaren, mhd. læren (zu leer[1], [s. oben]; dazu ausleeren, entleeren) ›leer machen‹, z. B. Ein bacher laren vnnd gar außtrincken (L200 Josua Maaler); zu dem Verb steht zuweilen nicht das Gefäß, sondern der Inhalt als Objekt: als sie die Spreu aus dem Sacke ausleeren wollten (J.P.Hebel), sie brachte die Erdbeeren, in eine hölzerne Schüssel geleert (A.Stifter). Reflexiv leerenleer werden‹: der saal leerte sich von gästen (L059 DWb).
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