Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
lang
ahd. lang, mhd. lanc, gemeingermanisch (got. laggs, altnord. langr, engl. long); zuerst bei Tacitus im Namen Langobardi ›Langbärte‹ (W.L244 Wolfgang Pfeifer), lat. longus, gall.-illyr. long(o) entsprechend. Es bezieht sich auf Erstreckung in einer Dimension und zwar derjenigen, in der ein Körper die größte Ausdehnung hat, wodurch es sich von ⇑ "breit", "dick" unterscheidet. Vom Raum wurde langauf die Zeit übertragen. Es wird relativ und absolut gebraucht (↑ "alt"). Im ersteren Fall kann eine Maßbestimmung im Akkusativ daneben stehen: drei Ellen lang, der ein Jahrhundert lange Zwist (Schiller), dafür früher auch der Genitiv (mhd. ; L059 DWb), vgl. noch bei Wieland drei ganzer Monate lang, so auch neben dem Komparativ: eines Haupts länger denn alles Volk(Luther) (vgl. L012 Otto Behaghel, Syntax 1,488). ⇓ "S243" Formelhaft verbunden lang und breit (L200 Josua Maaler 1561), auch übertragen da steht es lang und breit (Lessing; L059 DWb), auch sie schwatzten ein Langes und Breites (1579 Fischart; L059 DWb), die Stadt murmelte Langes und Breites(A222 Friedrich Schiller, Fiesko 2,4); heute meist des langen und breiten im Sinne von ›sehr ausführlich‹. Viele übertragene Wendungen:⊚⊚ lange Finger machenstehlen‹ (schon bei Schiller das verächtliche heer der langen fingerDiebe‹; L059 DWb; vgl. auch "Langfinger" [s. unten]), ein langes Gesicht machen (vor Enttäuschung; L059 DWb), mit langer Nase (›unverrichteter Dinge‹) abziehen müssen (Schiller; L059 DWb), (vor Neugier) einen langen Hals machen / lange Ohren machenaufhorchen‹ (L059 DWb); etwas von langer Hand (›sorgfältig‹) vorbereiten (L284 Justus Georg Schottelius, HaubtSprache 1116b), etwas auf die lange Bank schiebenhinauszögern‹ (L320 Trübner) usw.; unserm jungen Herrn begannen allgemach die Zähne lang zu werdener bekam Appetit‹ (Wieland); norddeutsch Opa LangbeinSpinne mit langen Beinen‹ (vgl. Weberknecht ↑ "Knecht") und LangbeinMücke mit sehr langen Beinen‹ (vgl. ↑ "Schneider"); umgangssprachlich
eine lange Leitung habenschwer von Begriff sein‹ (L320 Trübner); ⇑ "Laban", "Latte", "fackeln". Ausdruck des subjektiven Gefühlsmaßes ist langin "Langeweile" (s. unten), süddt./ , schweiz. lange Zeit. Substantiviertes lange ist nicht so allgemein üblich wie substantiviertes kurze, vgl. vor langem (Klinger), von langem her öfter bei (Wieland), von so langem (Goethe). Substantiviertes langin
über kurz oder lang (mhd. ; L059 DWb); ferner in adverbialer Verwendung mit Akkusativ der Erstreckung: drei Tage lang, ein Jahr lang, mein Leben lang, häufig zusammengeschrieben tagelang, jahrelang; früher auch mit Genitiv: ein Streit kurzer Zeit lang (Luther), noch bei Wieland. Auch räumlich wird ein solches lang umgangssprachlich gebraucht: er ging den Fluß langentlang‹. In zeitlichem Sinn hat sich eine besondere Adverbialform
lange erhalten (mittelhochdeutsch geht jedes Adverb auf eaus). Diese wird nie mit einer Maßbestimmung verbunden, im Gegensatz zu lang(s. oben). Entweder bezeichnet lange schlechthin die lange Dauer der Begebenheit, die durch das Verb ausgedrückt wird: er redete lange; relativ so lange, wie lange, solange (↑ "so"[4.1]) auch satzeinleitend: solange ich sie kenne. Oder es drückt aus, daß ein Zustand schon lange besteht, daß er also schon lange vor einem bestimmten Zeitpunkt eingetreten ist: er ist (war) lange fertig, er ist (war) lange (schon lange) angekommen, auch sie hat (hatte) die Tür schon lange zugemacht; negativ ich bin lange (›seit langer Zeit‹) nicht so vergnügt gewesen; zuweilen nicht lange als Einschub ›es ist noch nicht lange her‹, also ›vor kurzem‹: die er nicht lange geheiratet hat (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 26.9.97). Ferner steht (noch) lange mit einer Negation, um auszudrücken, daß noch lange Zeit vergehen muß, ehe etwas eintritt: ich bin (war) noch lange nicht zu Ende; und weiterhin bezeichnet es unter Zurücktreten der zeitlichen Beziehung, daß noch viel fehlt: ich werde es zuverlässig besser machen und doch lange kein Corneille sein, und doch lange noch kein Meisterstück gemacht haben (Lessing), diese noch lange nicht erwiesene Verwandtschaft (Goethe), es wird lange den Eindruck nicht machen, den es verdient (Schiller). Häufig ist die Verbindung lange vor oder lange nach. Endlich prädikativ es ist lange her (↑ "her"[6]) von etwas in die Vergangenheit, lange hin (↑ "hin"[1]) von etwas in die Zukunft Fallendem; nicht so allgemein ist lange her (langeher) adverbial: wir sind nun schon lange her in Sorgen gewesen (Bode), Rücksichtslosigkeiten, wie man sie langeher gewohnt war(Gervinus); von langeher (Lessing). Ohne Verb steht langein Sätzen wie nicht lange, so gesellte sich der Sohn zum Vater(Goethe). Der Genitiv langes wird mittelhochdeutsch (mitteldt.) im Sinne von ›der Länge nach‹ verwendet, dafür tritt neuhochdeutsch
längs ein mit einem Umlaut, der wahrscheinlich auf Vermischung von langs und Länge beruht: eine längs über die Krippe befestigte Leiter (Voß). Seit Anfang des 18. Jahrhunderts (vgl. L059 DWb) wird längs als Präposition mit Dativ oder Genitiv verwendet, und so ist es jetzt allein noch gebräuchlich: längs dem Uferlängs eines öden Tals (Wieland), ungewöhnlich mit Nachstellung: Ich gehe im Dunkeln am Friedhof längs (H.A057 Hubert Fichte, Platz 34); vgl. L012 Otto Behaghel, Syntax 2,49. Zuweilen mit sekundärem t in der Form längst: längst dem Sangarstrom(G.A.Bürger). In zeitlichem Sinn ist mhd. langesvor langer Zeit‹; an Stelle dessen ist neuhochdeutsch
längst getreten, das wie das eben erwähnte längst (s. oben) entstanden sein wird, da der Sinn nicht superlativisch ist. A075 Johann Wolfgang von Goethe gebraucht dafür noch einfaches längs: was ich längs im Sinne habe (Brief vom 3.11.20). Früher auch nicht längstvor nicht langer Zeit, eben erst‹: der nicht längst aufgestanden war (Nicolai), nicht längst starb's Kindlein(Tieck), auch sei nicht längst ein kleiner Mann über den Flur geschlichen (E.T.A.Hoffmann); seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts wird es wegen der Zweideutigkeit gemieden und dafür unlängst gebraucht. Statt vor längst (bei Luther noch vor langes, in den neueren Ausgaben beseitigt) wie schon im 16. Jahrhundert auch zusammengeschrieben (und anfangs betont) vorlängst; seit A075 Johann Wolfgang von Goethe (Brief vom 23.2.07 u.ö.) nur so (heute veraltet). Auch längstens wird bei manchen Schriftstellern wie längst gebraucht: die Frage ist längstens aufgeworfen worden (I.Kant), nur wundere ich mich, daß nicht schon längstens mein Herz gebrochen (Heine), nun sei er ja auch längstens schon begraben (Storm). Dagegen ist längstens bei Angabe einer äußersten Frist wirklicher Superlativ, so z. B.: Meinem jetzigen Überschlage zufolge, hoffe ich längstens den 6.Oktober bei Ihnen zu sein (Lessing), ↑ "erstens" und ↑ "Belang".
Langeweile mhd. lange wile, vereinzelt schon vor 1396 zusammengeschrieben, im 17. Jahrhundert durchgesetzt (L320 Trübner; bei L003 Johann Christoph Adelung 1777 hingegen noch Getrenntschreibung), aber doch auch heute noch oft wie eine syntaktische Verbindung behandelt: ⇓ "S072" Genitiv der Langenweile, aus Langerweile. Daneben entsteht nach dem Vorbild des älteren ↑ "Kurzweil" ein oberdeutsches Langweil (1535; L320 Trübner), das L033 Joachim Heinrich Campe erstaunlicherweise bevorzugt (heute »selten«; L337 WdG), während umgekehrt Schriftsteller aus dem oberdeutschen Raum zur Schriftform (vgl. L111 Johann Christian August Heyse 1849) Langeweile übergehen: Ihr seht doch nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet (Hebel; L320 Trübner); A075 Johann Wolfgang von Goethe mischt zunächst die oberdeutsche mit der ostmitteldeutschen Form (Langweile Brief vom 24.12.82), hat dann aber meistens flektiertes Langeweile: um uns aus der erbärmlichen Langenweile zu retten (I,21,203,5). ⇓ "S075" Von oberdeutsch Langweil abgeleitet sind
Langweiler (L059 DWb1885) umgangssprachlich ›einer, der Langeweile hervorruft‹, heute auch ›jmd. , der (zu) langsam und unentschlossen ist‹ (L098 2GWb);
langweilig (1429; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), eigentlich ›lange anhaltend‹ (noch 1760: die Peloponesier sind in langweiligen und über See zu führenden Kriegen ungeübt; L320 Trübner); mit dem Beisinn des Lästigen, Verdrießlichen schon bei Luther (L320 Trübner); die heutige Bedeutung ›was Langeweile verursacht‹ bei J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741: entsetzliche, tödliche, trostlose Langeweile, vor Langeweile sterben usw.; und
langweilen (1537; L320 Trübner), zunächst vereinzelt, häufiger im Sturm und Drang (fehlt bei L003 Johann Christoph Adelung 1777), 1789 als »Schubartianum« (bezogen auf C.Schubart) gescholten (L360 ZDW 11,116); allgemein transitiv und reflexiv, bei A075 Johann Wolfgang von Goethe auch langeweilen und nicht selten intransitiv ›Langeweile empfinden‹, z. B. Kaum die Augen ausgerieben,… langeweilt ihr schon (Faust II,9585), schien er zu langeweilen (I,251,43).
Langfinger"S179"Dieb‹ 1671 Grimmelshausen (L059 DWb).
Langmut 1522 A180 Martin Luther (2.Timotheus 3,10; L320 Trübner), ⇓ "S183" Rückbildung (da sich ahd. langmuoti nicht fortsetzt; W.L244 Wolfgang Pfeifer) aus
langmütig ahd. langmuoticgeduldig‹, ⇓ "S122" Lehnbildungen nach longanimis, longanimitas in der lateinischen Bibel; zur Bildungsweise des Substantivs ↑ "Mut".
langsam ahd. / altsächs. langsam, mhd. lancsam, altengl. langsum, daher vielleicht schon westgermanische Weiterbildung zu einfachem lang, ursprünglich ›lange dauernd‹, wohl unter Einfluß des untergegangenen Adjektivs ahd. langseimi, mhd. lancseim (zu altnord. seinn ›spät‹, mhd. seineträg‹) dann in mittelhochdeutscher Zeit (L059 DWb) allmählich im Sinne von ›zögernd, gemächlich‹; frühneuhochdeutsch zuerst L327 Voc.Teut.-Lat. (1482); bis ins 17. Jahrhundert gelegentlich noch im Sinne von ›spät‹ (so nach Vorbild der schlesischen Mundart noch bei Opitz; L059 DWb); heute ›ohne Hast, mit geringer Geschwindigkeit‹: Gott kommt langsam aber wol (L283 Justus Georg Schottelius 1641), aber auch ›träg‹ (schon bei L200 Josua Maaler 1561): Er ist ein langsamer Kerl (L308 Kaspar Stieler 1691); auch als verkürzte Aufforderung: Geh' jezt und renn nicht so; langsam hübsch langsam die Straße hinunter(A030 Georg Büchner, Woyzeck 173); ⇓ "S012" Gegensatz ↑ "schnell"; hierher die Wendung
langsam, aber sichernicht schnell, aber unaufhaltsam‹ (L320 Trübner) und das Sprichwort Langsam hat bald Feierabend (1644 L284 Justus Georg Schottelius), dazu Langsamkeit (L200 Josua Maaler 1561). Was in Aufforderungen zunächst dazu diente, etwaige Hast adverbial als unnötig zu kennzeichnen, mag später in Höflichkeitskontexten als (diskreter) Hinweis auf die Notwendigkeit des baldigen Abschlusses der geforderten Handlung verstanden worden sein, daher neuerdings in indirekten Aufforderungen der Gebrauch als ⇓ "S002" Abtönungspartikel ›Sprecher zeigt an, daß er den Abschluß der gewünschten Handlung aus zeitlichen Gründen für geboten hält‹: Wir müssen natürlich langsam, das heißt: schnell zum Ende kommen (1976 R.Wolf, Auf der Suche nach Dr.Q 152); Kommen Sie langsam zur Kasse? Wir wollen schließen;
langwierig (1419; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt; zuvor jedoch schon althochdeutsch das Abstraktum langwirigilange Dauer‹; W.L244 Wolfgang Pfeifer) zu "währen", eigentlich ›lange während, lange Zeit dauernd‹: eine… beschwerliche und langwierige Gefängnisstrafe (L337 WdG), heute meist im Sinne von ›schwierig, mühsam‹ (langwierige Verhandlungen), bei A075 Johann Wolfgang von Goethe auch ›langweilig‹: in stillen langwierigen Stunden(I,20,199,17).
Länge ahd. lengi, mhd. lenge, an die Stelle von adverbial die Länge ist jetzt in die Länge oder auf die Länge getreten, noch bei Luther sie werden es die Länge nicht treiben; für die Länge lang auch zusammengeschrieben längelang (1758 Gleim; L059 DWb);
länglich ahd. langlih, mhd. lengeleht, auch in zeitlicher Bedeutung, scherzhaft längliche rede (1885; L059 DWb). Selten und abgesehen von technischem Gebrauch einiger Gewerbe (vgl. L059 DWb) nur literarisch ist
längen (schon althochdeutsch belegt; heute veraltend) ›lang machen‹; auch längern ist literarisch, vgl. zwar längern schon sich ihres Lebens Schatten (Uhland); allgemein verlängern.
langen mhd. langen(aber ahd. langenVerlangen haben‹), eigentlich ›lang werden‹; partiell synonym mit ↑ "reichen".
1sich erstrecken‹ (mhd. ; L059 DWb): deine Gewalt langet bis an der Welt Ende (A180 Martin Luther, Daniel 4,19); der Mantel langt ihm fast bis zum Knöchel (L097 GWb).
2gelangen‹: vom Müller geführt langten Charlotte und der Hauptmann auf einem bequemeren Pfade herunter (A075 Johann Wolfgang von Goethe, I,20,84,5), jedoch schon bei Logau übertragen so langt er nicht ans ziel (L059 DWb); dafür gewöhnlich ↑ "gelangen".
3die Hände nach etwas ausstrecken, nach etwas greifen‹ (L200 Josua Maaler 1561): er langt nach der Flasche; transitiv: nach solchem Gebet trat sie zu der Säule oben am Bette und langte das Schwert (Luther); allgemein mit Richtungsbestimmungen: etwas von dem Gestell, aus der Tasche langen (hervorlangen); gleich Tagelöhnern die Materalien herbeizuschaffen und sie den Arbeitern zur Hand zu langen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, I,32,195,23); dazu ↑ "Handlanger"; umgangssprachlich
jmdm. eine langeneine Ohrfeige geben‹ (L320 Trübner), dazu auch ↑ "hinlangen".
4 Umgangssprachlich ›ausreichen‹ (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734): das Geld langt nicht; Eine ›Walther-Rathenau-Straße‹ allein machts nicht… Und nicht einmal zu dieser langts in den meisten Gemeinden(A266 Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke 2,95); umgangssprachlich
mir langt'smeine Geduld ist zu Ende‹ (L201 Lutz Mackensen 1952 es langt mir!).
5 Literarisch im Sinne von ›verlangen‹: langen und bangen in schwebender Pein (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Egmont 3,2). ⇑ "anlangen", "erlangen".
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