Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Land
ahd. / mhd. lant, gemeingermanisch mit Verwandtschaft im Keltischen und Slawischen (breton. lann›Heide‹, tschech. lada ›Brachland‹); ⇓ "S173" Plural mhd. (diu) lant noch im 16. Jahrhundert (L059 DWb), daneben aber schon Anfang des 14. Jahrhunderts (L059 DWb) Länder sowie seit dem 15. Jahrhundert (W.L244 Wolfgang Pfeifer) der bereits von L004 Johann Christoph Adelung als gehoben bezeichnete Plural Lande (v. a. oberdt.; wird bevorzugt, wenn die Vorstellung einer Mehrheit zurücktritt: kaiserliche Lande, österreichische Erblande usw.; heute noch in Niederlande und in festen Fügungen, z. B. aus fernen Landen; ↑ 1"Band").1 (als Kollektivum ohne Plural) Landist ursprünglich Stoffbezeichnung für die Erdoberfläche in ihrer natürlichen Beschaffenheit ohne bestimmte Begrenzung: gutes, schlechtes, steiniges Land, Ackerland, Gartenland, Bauland usw., über Land gehen (L033 Joachim Heinrich Campe). Es steht im Gegensatz zu ⇑ "Wasser", "See" usw. (vgl. "Festland" ↑ "fest"); zu Wasser und zu Land(e) (L308 Kaspar Stieler 1691), an Land gehen (↑ "landen"), festes Land unter den Füßen haben,
⊚⊚ Land in Sicht (umgangssprachlich auch übertragen); ebenso (wieder) Land seheneinen Ausweg erkennen, dem Ziel nahe sein‹ (L264 Daniel Sanders), umgangssprachlich etwas/ jmdn. an Land ziehen(ursprünglich soldatensprachlich) ›(auf nicht ganz legale Weise) in seinen Besitz bringen‹ (so wie ↑ "organisieren"[2]), ›für sich gewinnen‹; "Landratte" (s. unten), Landgang, Landmacht, Landheer, Landzunge usw.; im Sinne von ›dörfliche Gegend‹ ist Land Gegensatz zu ↑ "Stadt": auf dem Land leben; Landleben, Landgut, Landhaus, "Landmann" (s. unten), Landpfarrer, Landarzt, Landschulheim usw.; seltener im Gegensatz zu ↑ "Gebirge", z. B. bei A075 Johann Wolfgang von Goethe: die Aussicht… in die Gebirge, nach dem Lande zu (Wahlverwandtschaften I,20,87,9), vom Berg ins Land (Des Epimenides Erwachen 168); noch in plattes Land, flaches Land (L004 Johann Christoph Adelung).
2Bestimmtes abgegrenztes Stück der Erdoberfläche‹ (auch als Kollektivum): Ein Morgen Akker zwischen dem herrschaftlichen Lande und dem Pfarrlande (L004 Johann Christoph Adelung); seit Schupp (L059 DWb) vereinzelt auch ›Ackerstück‹ oder ›Beet‹: Den Garten in gewisse Länder abtheilen (L004 Johann Christoph Adelung); vgl. auch "Ländereien" (s. unten).
3 Allgemein bezeichnet Landseit mittelhochdeutscher Zeit (L320 Trübner) ein größeres Gebiet, das politisch eine Einheit bildet (›Gebiet einheitlichen Rechts‹): ↑ "Deutschland", das Schwabenland, das Gelobte Land (1477; L320 Trübner, ursprünglich nicht biblisch); auch mit Rücksicht auf vergangene politische Verhältnisse: Markgräfler, Hanauer Land; ↑ "Ausland".Mit einfachem Land kann auch das eigene Heimatland (1856; L059 DWb) gemeint sein: bleibe im Lande und nähre dich redlich (Psalm 37,3), jmdn. des Landes verweisen; vgl. ferner Mutterland (↑ "Mutter") (I.Kant; L059 DWb), ↑ "Vaterland", hierzulande (bei L004 Johann Christoph Adelung noch unfest). Allgemein üblich übertragen
⊚⊚ ins Land gehen/ kommenvergehen, verstreichen‹ (1777; L320 Trübner); landauf, landab (L269 Daniel Sanders/ L269 J. Ernst Wülfing, in umgekehrter Folge) ›allenthalben‹, hierher auch die Formel ⇓ "S007" Land und Leute (Hartmann von Aue; L320 Trübner); daneben Land metonymisch ›Bewohner eines Landes‹: das ganze Land kam in den Wald (Luther); literarische Übertragungen sind z. B. Land der Dichtung (Goethe; Ch.L042 Christa Dill), heiliges Land der Einfalt (vgl. A131 Friedrich Hölderlin 174,42), Land der Liebe (A131 Friedrich Hölderlin 3,10).
Landeskunde (L059 DWb1885, L264 Daniel Sanders dafür Länderkunde), heute ›Wissenschaft von den historischen, geographischen und kulturellen Entwicklungen eines Landes‹, v. a. im Fremdsprachenunterricht.
Landessprache zunächst Landsprache: Nützlich vnd gut ists einem jdlichen / vieler Landsprachen mit iren misbreuchen zuwissen (F.Frangk, Orthographia 1531, Bl.Jiiij 6), so noch L305 Christoph Ernst Steinbach 1734,639 »Landssprache patrius sermo«; mit patrius sermo übersetzt L305 Christoph Ernst Steinbach auch "Muttersprache", Landessprache ist ›einheimische Sprache des Landes‹. Landessprache dann bei L004 Johann Christoph Adelung differenziert:
1 »die in einem Lande übliche Sprache«: wörterbücher anderer landessprachen(J.Grimm, Vorrede L059 DWb 1.1854, VIII),
2 »die in einem Lande übliche Mundart«. Heute v. a. noch üblich nach (1): Englisch ist die offizielle Landessprache (L337 WdG); landessprache 1960 Titel eines Gedichtbandes von A049 Hans Magnus Enzensberger.
Landesverrat (L033 Joachim Heinrich Campe, J. L.L078 Johann Leonhard Frisch: Lands-Verräther) hochverrath und landesverrat sind zwei schwere verbrechen (L059 DWb; ↑ "hoch").
Landfriede(n) mhd. lantvridevom Landesherrn erlassenes, zeitlich und räumlich begrenztes Friedensgebot‹, besonders zum Schutz gegen die ↑ "Fehde"; auf dem Wormser Reichstag 1495 wurde im Ewigen Landfrieden die Fehde verboten und die Wahrung des Landfriedens dem Reichskammergericht übertragen (L086 GG2,1451ff.);
Landjäger (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741) im eigentlichen Sinn
1Jäger auf dem Land‹ (noch bei L111 Johann Christian August Heyse 1849),
2 landschaftlich (⇓ "S163" oberdeutsch) ›auf dem Land eingesetzter Polizist‹ (1870 Gotthelf; L059 DWb);
3harte, geräucherte, kleine dünne Dauerwurst‹ (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt 1910).
Landkarte (1663 Schuppius; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), auch Länderkarte (noch Schiller; L059 DWb).
landläufig spätmhd. landleufig, eigentlich ›im Land gang und gäbe‹, jetzt im Sinne von ›allgemein bekannt, üblich‹: die landläufige Meinung ist, daß… ;
Landmann (mhd. lantman, Plural lantliute), heute (»geh., veraltend«; L097 GWb) ›Bauer‹; mittelhochdeutsch auch ›Bewohner eines Landes, Einheimischer‹, noch bei A075 Johann Wolfgang von Goethe: mein Landmann Kayser (I,35,9), dafür heute
Landsmann (L200 Josua Maaler 1561).
LandpflegerStatthalterA180 Martin Luther (Lukas 2,2; 3,1 u.ö.), wohl Lehnbildung nach lat. procurator.
Landplage (L308 Kaspar Stieler 1691), schon bei A.Gryphius (L059 DWb) im Sinne von ›Not, Unglück einer Region‹.
Landpomeranze (1826 Hauff; L181 Otto Ladendorf), zunächst »ländliche Schöne mit mangelnder Weltbildung« (nach dem Teint: ↑ "Pomeranze"), dann allgemein ›Provinzlerin‹; wohl ursprünglich ⇓ "S211" studentensprachlich aus schwäbischer Mundart (vgl. L181 Otto Ladendorf; fehlt jedoch bei L115 Helmut Henne/ L115 Georg Objartel).
Landrat
1Beratung der Vertreter eines Landes‹ (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741, noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts; vgl. L059 DWb);
2Kollegium der Vertreter eines Landes oder einer Landschaft‹ (1574; L059 DWb), heute noch ⇓ "S195" schweizerisch (L097 GWb);
3einzelnes Mitglied eines solchen Kollegiums‹ (Goethe; L059 DWb);
4oberster Verwaltungsbeamter eines Kreises‹ (L308 Kaspar Stieler 1691, s. v. Raht), dafür früher süddt. ↑ "Amtmann".
Landratte (1837; L162 Friedrich Kluge, Seemannssprache) spöttische ⇓ "S196" seemannssprachliche Bezeichnung des an Land Lebenden; ⇓ "S124" Lehnübersetzung von engl. landrat (missingsch Landratze bereits 1790; L164 Friedrich Kluge).
Landschaft ahd. lantscaf(t), mhd. lantschaft
1Gegend‹ (im Sinne von regio; L094 Eberhard Gottlieb Graff II,234): Landschafft, die an dz meer stoßt / oder sunst an ein wasser (L200 Josua Maaler); daran anschließend
2künstlerische Darstellung einer solchen Gegend‹ (1518; L059 DWb): Einer Landschaft von Rohden aus Cassel ward in diesem Fach der Preis zuerkannt (A075 Johann Wolfgang von Goethe, I,35,279), vgl. Landschaftsmaler s. unten)
3sozial/ politisch zusammenhängendes Ganzes‹ (im Sinne von provincia; L094 Eberhard Gottlieb Graff II,234): Landtschafft / als weyt ein statt oder herr zu regieren vnnd zebieten hat (L200 Josua Maaler); vgl. auch Land(3); vereinzelt seit mittelhochdeutscher Zeit (L190 Lexer) Landschaft auch ›Bewohner des Landes‹ (noch 1538; L059 DWb). Dazu
4 (mhd. ; L190 Lexer) ›Gesamtheit der ständischen Vertreter eines Landes oder einer Provinz‹ (noch 1873; L059 DWb). – Früher war Landschaft auch Bezeichnung einer Kreditkasse (A222 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe 2,2; auch: Freytag; L059 DWb).
Landschaftsmaler (1521 Dürer; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), dafür Ende des 18. Jahrhunderts auch Landschafter (A075 Johann Wolfgang von Goethe, I,31,61).
Landsgemeinde (L080 Joannes Frisius 1556; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) in der ⇓ "S195" Schweiz ›Versammlung aller Bürger eines Kantons‹: Wir stehen hier statt einer Landsgemeinde, / Und können gelten für ein ganzes Volk (A222 Friedrich Schiller, Tell 2,2).
Landsknecht (1486; L320 Trübner) ⇓ "S136"ein im kaiserlichen Land (im Gegensatz zum Schweizer Söldner) angeworbener Fußsoldat‹, ↑ "Knecht". Daneben (in Beziehung auf die Bewaffnung) schon 1499 (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) umgedeutet Lan(t)zknecht (vgl. Lanzenknechten bei A222 Friedrich Schiller 9,173,176) und die Kurzform Lanz(t) (1527; L320 Trübner), noch 1899 (L123 Paul Horn) soldatensprachlich Lanz; ↑ "Lanze".
Landsmannschaft als ›Vereinigung von Studenten eines Landes‹ 1716 (L320 Trübner), Lehnübersetzung von collegium nationale, ⇓ "S144" nach 1945 ›Vereinigung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen‹.
Landstraße (mhd. ), auch übertragen eine grosze landstrasz ist unsre erd(Heine; L059 DWb).
Landstreicher spätmhd. lantstricherVagabund‹.
Landsturm (1511 ⇓ "S163" oberdeutsch; L320 Trübner), von A222 Friedrich Schiller (Tell 2,2 der Landsturm wird aufgeboten) übernommen, seit 1808/ 13 in Preußen: »Ein Aufgebot der sämmtlichen Einwohner eines Landes, einen Feind abzuwehren oder zu vertreiben« (L033 Joachim Heinrich Campe), ursprünglich vom Läuten der Sturmglocken (vgl. ebenda).
Landtag mhd. lanttac, bis 16. Jahrhundert (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) auch ›Gerichtsversammlung‹.
Landvolk mhd. lantvolc, bis 1698 (L059 DWb) auch ›Einwohner eines Landes‹, vgl. Landmann (s. oben); heute »geh. veraltend« (L097 GWb).
Landwehr mhd. lantwerLandesverteidigung‹, auch ›zur Verteidigung eines Landes errichtete Mauern, Wälle, Gräben‹, noch A222 Friedrich Schiller: der Wald… als eine Landwehr (Tell 3,3); 1808/ 13 wurde in Preußen in den Befreiungskriegen eine Landwehr geschaffen (vgl. L320 Trübner).
Landwirt (↑ "Wirt") ›jmd. , der einen landwirtschaftlichen Betrieb führt‹, 1754 E. v.Kleist (L320 Trübner), vorher ›Landgastwirt‹ (1652; L320 Trübner; noch bei L033 Joachim Heinrich Campe).
Landwirtschaft 1731 (L059 DWb).
Ländereien (1578; L059 DWb) ›zusammenhängendes Wirtschaftsland‹, im 17. Jahrhundert selten auch Singular (vgl. L059 DWb; so bei L308 Kaspar Stieler 1691).
Ländler (1826; L320 Trübner), Bezeichnung eines zunächst in Österreich heimischen, walzerähnlichen Tanzes, eigentlich ›Tanz, der im Landl, d. h. Oberösterreich, üblich ist‹; voraus geht älteres ländern (1799; L320 Trübner).
ländlich (Anfang des 15. Jahrhunderts; vgl. L320 Trübner), jetzt nur Gegensatz zu ↑ "städtisch" (schon bei L003 Johann Christoph Adelung 1777); früher auch ›landesüblich‹ (»eine größtentheils veraltete Bedeutung« L004 Johann Christoph Adelung): die ländliche Sprache (›Landessprache‹), so auch in dem Sprichwort ländlich, sittlich (1534; L320 Trübner), heute »scherzh., oft mit gutmütigem Spott« (L097 GWb).
Ländlichkeit, eins der Etyms (↑ "Etymologie") von A.Schmidt: Abend mit Goldrand / eine Märchen Posse / 55 Bilder aus der LE/ ändlichkeit / für / Gönner der Verschreibkunst.
Landser (L206 Otto Maußer 1917); ⇓ "S202" soldatensprachlich ›(einfacher) Soldat‹, ursprünglich als Anrede unter sächsischen Soldaten im Sinne von ›Landsmann‹ (L177 Heinz Küpper), L175 Friedrich Kluge/ L175 Elmar Seebold nehmen Kürzung aus "Landsknecht" an.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Land