Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
krank
westgermanisch, wohl zurückzuführen auf erschlossenes indogermanisches ger-›drehen, winden‹ (W.L244 Wolfgang Pfeifer), ahd. krancschwach‹ (Handschrift des 13. Jahrhunderts), mhd. crancmit weitem Bedeutungsspektrum ›schwach, schlecht, schmaldas kränker geslechtdas weibliche Geschlecht‹ (L190 Lexer), erst spätmittelhochdeutsch ›gebrechlich, leidend‹ (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), ausgehend wohl von ›durch Schwäche gebeugt‹ (W.L244 Wolfgang Pfeifer), im 15. und 16. Jahrhundert als Gegensatzwort zu ↑ "gesund" geläufig und ↑ "siech" in dieser Funktion verdrängend1.1 bruder Lazarus war kranck (Johannes 11,2), kranke und blöde glider (L200 Josua Maaler), auch kranck von forht (ebenda), insgesamt krank an leib und seele (L059 DWb), krank sein (L200 Josua Maaler), krank werden (L327 Voc.Teut.-Lat. 1482), krank darnieder liegen (L004 Johann Christoph Adelung), sich krank stellen (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch), auch von Tieren und Pflanzen und »Sonstigem«, z. B. im 30jährigen Krieg das kranke vaterland (L059 DWb), kranker weltplan (Schiller; ebenda) v. a. literarisch; eher umgangssprachlich einen kranken Beutel haben »Mangel an barem Gelde haben« (L004 Johann Christoph Adelung), veraltet (aber immer aktuell); auch für
1.2krankhaftseine kranke empfindlichkeit(Schiller; L059 DWb), krankes toben (Jean Paul; ebenda), im Sinne von ›aus krankem Zustand resultierend‹;
1.3 in der Wendung krank nach etwas seinetwas heftig begehrenich bin krank nach dir [Christus] (Fleming; L059 DWb), ich bin, schatz, krank nach dir (1838 zeitung für die elegante welt; ebenda);
1.4
sich krank lachen »von überwältigendem lachen« (L059 DWb) (2.Hälfte des 16. Jahrhunderts; L059 DWb) von der Bedeutung ›schwach‹ herrührend (s. oben) als Mittel der »übertreibung« (L059 DWb), L004 Johann Christoph Adelung: »im gemeinen Leben«, auch sich krank wundern (L059 DWb).
2"S100" Jägersprachlich ›bezogen auf Wild, das durch einen Schuß verwundet ist‹ (L327 Voc.Teut.-Lat. 1482); redensartlich Der kranke Mann am Bosporus(früher) für die Türkei (im Gespräch zwischen Metternich und Zar Nikolaus I. mit Bezug auf den Sultan). Zusammensetzungen fieberkrank (L308 Kaspar Stieler), "geisteskrank" (L033 Joachim Heinrich Campe), herzkrank (L264 Daniel Sanders), liebeskrank, scheinkrank (beide L308 Kaspar Stieler), "seekrank" (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch: See-Krankheit), sterbenskrank (L004 Johann Christoph Adelung, L308 Kaspar Stieler: sterbekrank), totkrank (L004 Johann Christoph Adelung). Dazu die ⇓ "S237" sinnverwandten Wörter: ↑ "bettlägerig", krankhaft (s. unten), kränklich (s. unten), ⇑ "siech", "unpaß" ("unpäßlich"), "ungesund", "unwohl"; ⇑ "gesund", "wohl"; H.Henne, Semantik und Lexikographie, 1972, 51f.,109f.,181ff.; E.Koller, Historische Verschiebung im Wortfeld krank.In: Akten des VIII. Internationalen Germanisten-Kongresses 4, 1990,226ff.
Krankenbett (Fischart; L059 DWb), auch übertragen ›Zustand der Krankheitich habe schon manches krankenbette erlebt, sagte eine mutter (L059 DWb1873);
Krankenhaus (Rädlein 1711, zuerst 1477 L317 Teuthonista krankstuben oder hus) ›Hospital‹, schweiz. und österr. ↑ "Spital" (dafür früher Krankenspital [L308 Kaspar Stieler, L004 Johann Christoph Adelung]), das schlosz war zum krankenhause umgebildet (Goethe; L059 DWb).
Krankenkasse jedem arbeiter eine subsistenz gegen alle wechselfälle der gesundheit garantiren durch bildung gemeinsamer krankenkassen (1846 Göttingische gelehrte Anzeigen; L059 DWb), diese Versicherung gegen die durch Krankheit entstehenden Kosten im Laufe der Zeit für alle »Stände«.
Krankenlager bei Luther Kranklager, wie Krankenbett (s. oben), nacht umschweigt mein krankenlager(Lenau; L109 Moriz Heyne);
Krankenschwester »ausgebildete Krankenpflegerin« (L201 Lutz Mackensen 1952) Eine Krankenschwester zeigte sich irgendwo, in weißer Haube und einen Zwicker auf der Nase (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 19).
Krankenwärter (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734), älter die ⇓ "S140" movierte Form Krankenwarterin (1575 Fischart; L059 DWb).
kranken zunächst wie mittelhochdeutsch
1schwach werden oder sein‹ (wie krank[1]) bis Ende des 15. Jahrhunderts, Anfang des 16. Jahrhunderts (L059 DWb),
2krank sein bzw. werdenwie einer hat gelebt / so krankt, so stirbt er auch (Fleming; L059 DWb), gehoben; heute v. a. kranken an
3leiden an‹, v. a. übertragen an diesem Fehler kranket unser adel (Goethe; L059 DWb); dazu ↑ "erkranken".
kränken mhd. krenken; ursprünglich und bis Frühneuhochdeutsche ›krank, schwach machen‹, auch mit sächlichem Objekt bzw. abstrakt; daneben bis ins 18. Jahrhundert auch ›verletzen‹, zumeist übertragen: die Manufaktur und den Handel zu kränken und zu hemmen (Wieland; L059 DWb); ⇓ "S075" seit dem Mittelhochdeutschen in der heutigen übertragenen Bedeutung ›jmds. Selbstgefühl treffen‹, mit dem Begriff einer seelisch tief empfundenen Mißachtung, daher nicht objektivierbar und so wie ↑ "verletzen" und im Gegensatz zu ↑ "beleidigen" nicht justitiabel; im Gegensatz zu beleidigen und wie verletzen nur vom Menschen und selbst erfahrenem Unrecht; der ursprünglichem Bedeutung folgend zunächst auf Herzbezogen: meiden krenket herz und mut (Hätzlerin; L059 DWb), reflexiv im Sinn einer Selbstaussage Das kranket mich sehr (L308 Kaspar Stieler), als synonym zu ↑ "schmerzen": die Verweigerung des geringsten Dienstes, zumal von Personen, auf deren Achtung und Liebe wir ein Recht zu haben glauben, oder eine Beschuldigung, die wir nicht verdient haben, krankt uns (L063 Johann August Eberhard 4,313); im Partizip Prät. in typischen Konstruktionen und Verbindungen, präpositional mit an (heute in) Ich bin Tellheim, der verabschiedete, der an seiner Ehre gekränkte (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Minna 2,9), attributiv mit den leiden des gekränkten hochmuts (Lichtenberg; L059 DWb), prädikativ ich bin tief gekränkt (Herder; L059 DWb); wie ↑ "beleidigen" auch mit dem Merkmal ›ungewollt‹, so wohl bei A215 Rainer Maria Rilke: Man muß zurückdenken können… an die Eltern, die man kränken mußte, wenn sie einem eine Freude brachten und man begriff sie nicht (Aufzeichnungen; 6,724); reflexiv im Sinne von ›sich grämen‹ heute veraltend: Niemand wird vmb deinen schaden trawren / noch sich vmb deine plage krencken (A180 Martin Luther, Nahum 3,19); dazu
Kränkung (15. Jahrhundert; W.L244 Wolfgang Pfeifer), kränken folgend, in heutiger Bedeutung ›Beleidigung‹ im Sinn einer seelischen Verletzung: die tödtlichsten kränkungen ihrer eigenliebe (Schiller; L059 DWb).
kränkeln (1639; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) ›über längere Zeit hinweg kränklich(1.1) seinder Alte… kränkelt (A222 Friedrich Schiller, Räuber 2,1), auch übertragen der classische unterricht auf den gymnasien begann zu kränkeln (Treitschke; L109 Moriz Heyne). ↑ "angekränkelt".
krankhaft (1664 kranckhafftig; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), L308 Kaspar Stieler 1691:
1 »kränklich« Krankhafte Leute dienen nicht wol in Ämter, fehlt in den Wörterbüchern bis einschließlich L004 Johann Christoph Adelung; L033 Joachim Heinrich Campe notiert diese nicht mehr übliche Bedeutung L308 Kaspar Stielers und fügt hinzu
2 »Folge der Krankheit«: krankhaftes Aussehen. Die »Zuspitzung«
3 im Sinne einer kritischen Beurteilung einer geistig und/ oder seelisch übersteigerten Verfassung u. a. bei Goethe er[der Kritiker] begleitet ihn [E.T.A.Hoffmann] durch alle krankhaften verirrungen (L059 DWb); ich bin selbst in Zeiten schwerer Krankheit nicht krankhaft geworden (1888 A200 Friedrich Nietzsche, Ecce homo 296); den armen krankhaften Tasso (Tieck; L264 Daniel Sanders), krankhafter ehrgeiz (Treitschke; L109 Moriz Heyne). Heute Bedeutung (2): krankhafte Veränderung eines Organs (L337 WdG) und (3), auch substantiviert: das grenzt ans Krankhafte (ebenda).
Krankheit mhd. krancheitSchwäche, Not‹, dann »schon im 14. Jahrhundert« (L059 DWb) v. a. wie krank(1.1) »das kranksein« (L109 Moriz Heyne) vnd durch jn gesund würden von jren kranckheiten (A180 Martin Luther, Lukas 5,15), eine krankheit zum tode (Goethe; L059 DWb), krankheit der zeit (Grillparzer; L109 Moriz Heyne).  
kränklich mhd. kranc-, krenclichschwach, armselig‹, (1508: »dauernd leicht krank«; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt),
1.1 in dieser Bedeutung verbreitet unserem kränklichen vater die last seines alters erleichtern (Hauff; L109 Moriz Heyne), Daß man im Volk, wenn man nicht krank ist, gesund ist und nicht wie in den sogenannten höhern Ständen, so oft kränklich, weder gesund noch krank, ins Unbestimmte hinein verstimmt (Auerbach; L264 Daniel Sanders), entsprechend dann kränkliches Aussehen usw.; dazu
1.2 »zu Krankheiten geringerer Art geneigt« (L004 Johann Christoph Adelung) Ein kränkliches Kind (ebenda), Ich bin nicht krank, aber doch kränklich reizbar (Forster); dazu Kränkling (gebildet wie ↑ "Schwächling") (17. Jahrhundert; L059 DWb) »kränkelnder mensch« (ebenda).
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