Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
kommen
ahd. queman, mhd. komen, indogermanisches Wort (lat. venioaus guenio, griech. baíno). Es gehört in dieselbe Ablautreihe wie ↑ "nehmen": ahd. quemanneman. Der ursprünglich in dem Stamm enthaltene w-Laut ist im Präsens und Partizip mit dem folgenden Vokal verschmolzen und danach auch im Präteritum geschwunden (mhd. quamquamen); er liegt noch vor in ↑ "bequem". Die 2. und 3. Person Singular lauten bei Schriftstellern des 18. Jahrhunderts meist noch wie jetzt landschaftlich mit Umlaut kömmst, kömmt; durch die Autorität Adelungs sind kommst, kommt schriftsprachlich durchgedrungen. Das Partizip lautet ursprünglich kommen ohne ge-, eine Form, die noch bei Goethe häufig ist; jetzt nur noch in altertümelndem Stil. Es bezeichnet das Resultat einer Bewegung, welcher Art diese auch sein mag. Soll die Art näher bezeichnet werden, so geschieht dies seit alter Zeit durch Beifügung eines Partizips: gegangen, gefahren, geritten, geflogen kommen usw.; vgl. kommt… mit einem Sack angeschleppt (J.A006 Jurek Becker, Lügner 128), weiter ↑ "ankommen". Die Bewegung kann auch durch eine außerhalb des Subjekts liegende Ursache hervorgebracht sein: ein Brief, eine Nachricht kommenusw. Als Bewirkungswort zu kommen fungiert ↑ "bringen", so daß vielfach ein genauer Parallelismus zwischen beiden Verben besteht. Gewöhnlich ist das Resultat der Bewegung das Erreichen eines Gegenstandes, welcher dann durch eine Präposition angeknüpft wird: ich kam nach Rom, in die Stadt, auf die Straße, an das Haus, zu ihr. Der erreichte Gegenstand kann auch aus dem Zusammenhang verstanden werden: ich saß vor der Tür meines Hauses, da kam Max. Häufig ist das Ziel der Bewegung als der Standpunkt des Redenden oder Angeredeten bestimmt. Für sich stehendes kommentritt in Gegensatz zu ↑ "gehen". In der älteren Sprache kann der erreichte Gegenstand auch durch einen Dativ ausgedrückt werden: wo aber nicht, werde ich dir kommen bald (Luther). In der neueren Sprache steht der Dativ bei kommennur neben einer Adverbialbestimmung, so daß er dann von dieser oder von der Verbindung derselben mit kommen abhängt: er kam mir nahe, recht, gelegen; zu Gesicht, in den Weg usw. Jedoch auch die Entfernung von einem Gegenstand kann als das Resultat einer Bewegung durch kommenausgedrückt werden, selbst wenn diese Entfernung der Anfang der Bewegung ist, indem sie nämlich dann gewissermaßen als Resultat eines vorangegangenen Strebens gefaßt wird, vgl. er kommt selten aus dem Haus; sie ist nie aus Berlin herausgekommen; der Kuchen kam aus dem Ofen; er ist mir aus den Augen gekommen; das Buch kommt nicht aus meinen Händen; er kam nicht von seiner Seite, von der Stelle; abhanden kommen, fortkommen, wegkommen, loskommen, davonkommen, entkommen, hervorkommen; ⇑ "abkommen", "herauskommen". Es ist irrig, wenn man hier Beziehung auf ein nicht ausgedrücktes Ziel annimmt, es ist vielmehr der Moment der Trennung, der durch kommenausgedrückt wird. Es können endlich neben kommen auch unbestimmtere adverbiale Bestimmungen stehen: ↑ "herunterkommen", vorbeikommen, vorwärtskommen, weiterkommen, zurückkommen. Wesentlich für den ursprünglichen Begriff von kommen ist es, daß das dadurch bezeichnete Resultat nicht bloß von dem Willen des Subjekts abhängt, auch wenn die Bewegung von diesem ausgeführt wird. Selbst wenn das Resultat der Absicht des Subjekts entspricht, so bleibt das Erreichen durch die Umstände bedingt. Sehr häufig aber bezieht sich kommen auf etwas gar nicht Beabsichtigtes, sondern durch die Umstände oder einen fremden Willen Bedingtes; vgl. z. B. ich ging durch eine Stadt, da kam ich an einen Brunnen. Daher besteht in manchen Fällen ein charakteristischer Unterschied zwischen kommenund ↑ "gehen" (auch ↑ "fahren" usw.), welches letztere, weil es sich auf den ganzen Verlauf der Bewegung und insbesondere auch auf den Anfang bezieht, dazu geeignet ist, ein freiwilliges, absichtliches Tun zu bezeichnen. Man sagt ich komme nicht oft in das Theater, wenn die Umstände es verhindern oder wenigstens keinen Anstoß dazu geben, ich gehe nicht oft ins Theater, wenn es absichtlich nicht geschieht. Man sagt von einem Beamten er kommt nach Halle, wenn es sich um eine Verfügung handelt, der er sich fügen muß, dagegen er geht nach Halle, wenn er eine Berufung annimmt, die er auch hätte ausschlagen können. Ferner ich komme über Berlin, wenn dies einer schon feststehenden Reiseroute entspricht, ich gehe über Berlin, wenn man auch einen anderen Weg nehmen könnte. Anders ist der Unterschied zwischen er kommt in die Schule (von der einmaligen ersten Aufnahme) und er geht in die Schule (von einer sich regelmäßig wiederholenden Tätigkeit). Indessen kann sich doch an kommen die Vorstellung einer absichtlichen Handlung anknüpfen; nämlich bei Aufforderungen: komm; indirekt er wünschte, daß ich käme; entsprechend bei Fragen, die sich auf die Zukunft beziehen: wirst du kommen?; endlich auch bei Versprechungen: ich komme gleich. Hierbei handelt es sich um Bewegung auf die redende oder angeredete Person zu, und das ist hier das Hauptmoment in der Bedeutung von kommengeworden, während ↑ "gehen" nicht angewendet werden kann, weil es die entgegengesetzte Richtung bezeichnen würde. Noch etwas anders verhält es sich bei komm mit, ich komme mit; dabei handelt es sich nicht um eine Bewegung nach dem Ort, an dem sich der Redende oder Angeredete im Augenblick befindet, sondern um Teilnahme an einer Bewegung nach dem gleichen Ziel. Wenn kommeneine absichtliche Tätigkeit bezeichnet, so ist damit notwendig verbunden, daß es sich nicht bloß auf das Resultat der Bewegung bezieht, sondern auf den ganzen Verlauf derselben von Anfang an. Die Beschränkung auf das Resultat hört auch sonst auf dadurch, daß kommenauf etwas erst Bevorstehendes bezogen wird. Man sagt der Vater kommt, wenn man ihn herannahen sieht, und indem man nicht mehr das Gefühl hat, daß man von etwas in die Zukunft Fallendem spricht, ist eine Verschiebung der Bedeutung vollzogen. In anderer Weise entfernt sich kommen von seiner ursprünglichen Bedeutung in Wendungen wie sie kommt aus Frankreich, von Berlin. Diese sind durchaus verschieden von den oben besprochenen wie sie ist nie aus Berlin herausgekommen. Hier ist allerdings ein anderes Ziel, an das man gelangt ist, vorausgesetzt, und kommen bezieht sich nicht auf den Moment, in dem die Entfernung eingetreten ist. Indem aber die Vorstellung des Zieles in den Hintergrund getreten ist, hat sich eine ähnliche Verschiebung herausgebildet wie bei daher, woher usw. (↑ "her"). Hierbei ist noch zu beachten, daß das Präsens gebraucht wird, auch wenn das Anlangen in die Vergangenheit fällt und nur in seinen Wirkungen fortdauert. Wie ↑ "gehen" bezieht sich kommen zuweilen auf eine Erstreckung statt auf eine Bewegung: ein Weg kommt vom Berg herab, von der rechten Seite. Üblich ist auch eine Umkehrung der Anschauungen, indem man von ruhenden Gegenständen, denen man sich nähert, sagt, daß sie kommen; jetzt kommt die Station N., sagt jemand, der in der Eisenbahn fährt. Wie andere ursprünglich auf Raumverhältnisse bezogene Wörter ist kommenauf die mannigfachsten sonstigen Beziehungen übertragen, die hier nicht alle einzeln aufgezählt werden können und überhaupt schwer zu erschöpfen sind. Man kommt an (auf) einen Gegenstand beim Lesen, im Vortrag, im Gespräch; auch mit Umkehrung: jetzt kommt die schöne Stelle. In bezug auf Reihenfolge, Rang und Wert sagt man: Karl kommt nach (hinter) ihm, wobei eigentlich die Vorstellung einer vorüberziehenden Schar zugrunde liegt: desgleichen er kommt ihm gleich, nahe. Bei Aufzählungen: dazu kommen noch 2000 Mann. Von Zeitpunkten: die Stunde, der Tag kam; auch mit dem Gegensatz: Jahre kamen, Jahre gingen. Analog: jetzt kam der Umschwung, die Entscheidung. Auf jede Art von Tätigkeit bezogen: vorwärtskommen, von der Stelle, weit, zu Ende kommen (mit etwas); unpersönlich von einem Geschehen: es kam zum Krieg, zu Schlägen; es kam dazu, daß er abgesetzt wurde; so (wie) kam es, daß. Auf das Erlangen, Erwerben eines Gegenstandes: zu Geld, Brot, großem Vermögen, etwas, nichts kommen (vgl. es zu etwas, nichts bringen). Auf das Verfallen in Gedanken: ich kann nicht auf seinen Namen kommen; sie kam auf den Einfall; umgekehrt: es kommt mir nicht aus dem Sinn, aus den Gedanken. Bei Versteigerungen: das Buch kam auf 300 Mark, kam sehr hoch, teuer; auch sonst bei Preisangaben; der Preis steht auch im bloßen Akkusativ und daneben ein Dativ oder Akkusativ der Person: und wenn mich der Monat funfzig Taler käme (Gellert). ⇓ "S073" Sehr häufig drückt kommen(z. T. in fester Verbindung mit dem Substantiv) das Geraten in einen Zustand aus: in Not, Verlegenheit, bessere Umstände, Eifer, Verzweiflung, Gang, Ordnung, Betracht, Rechnung, zu einem Entschluß, zu Schaden, Ehren kommen, zurechtkommen, zustande kommen; mit Infinitiv: zu stehen, sitzen, liegen, auf etwas zu sprechen kommen; in der älteren Sprache noch freier: wenn ein Weiser mit einem Narren zu handeln kommt (Luther); wie er mit seiner Gebieterin zu sprechen kommen soll (Lessing); als er kam zu sterben (Goethe). Umgekehrt das Herauskommen aus einem Zustand: aus der Not, der Verlegenheit, der Fassung, von Sinnen, Kräften, außer Atem kommen; loskommen, von etwasfrei kommen. Vgl. auch zu sich kommen, außer sich kommen. Andererseits können auch Zustände als kommend vorgestellt werden: Schrecken kam über sie; Argwohn kam in seine Seele. Verbindung mit dem Dativ ist bei der allgemeineren Verwendungsweise häufig: ihm kam ein Gedanke; dies kommt mir gelegen, recht; vgl. auch es dient zu meinen Freuden und kommt mir herzlich wohl (P.Gerhardt); mir kommt wohl… , daß ich nicht so stark gläubig bin (Wieland); Gift, das mir noch wohl kommen (später geändert in wohl bekommen) sollte(Schiller); er (es) kam mir in die Quere; einem zustatten kommen, zugute kommen, zupasse kommen, häufiger: zupaß kommen; vgl. auch das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden (Goethe); daß keiner der Unglücksfälle mir zu Schulden kommen solle(Lessing); allgemein sich etwas zuschulden kommen lassen; eine absichtliche Handlung bezeichnet kommen in Wendungen wie einem grob kommen; kommst du mir so?; komm mir nicht damit. Eigentümlich um etwas kommen, ursprünglich von gerichtlicher Buße (parallel um etwas bringen). Auch kommen von abstrakt ›herrühren von‹: das kommt von der Unaufmerksamkeit; das kommt davon, wenn man nicht achtgibt; woher kommt es, daß usw.; Kunst kommt von können; vgl. noch hinter etwas kommenetwas herausfinden‹ (↑ "hinter" [2.3], ↑ "hinterbringen"). – ⇑ "abkommen", "ankommen", "aufkommen", "auskommen", "bekommen", "beikommen", "herauskommen", "herunterkommen", "hinwegkommen", "nachkommen", "überkommen", "umkommen", "unterkommen", "verkommen", "vorkommen", "zukommen", "zuvorkommen"; "Einkommen", "Herkommen"; "vollkommen", "willkommen"; -{{link}}kunft{{/link}}; "Abkunft", "Zukunft" usw.
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