Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
klug
"S063" Das etymologisch nicht geklärte Adjektiv mittelniederdt. klokbehende, geschickt‹, mittelniederländ. cloec ›tapfer, schlau‹ gelangte im 12. Jahrhundert vom Niederrhein ins Mitteldeutsche und Oberdeutsche, wo in den flektierten Formen g (kluoger) eintrat.1 Häufiger ist es erst in Wolframs von Eschenbach Parzival (11mal im Reim): »In der Mehrzahl der Fälle mag fein, zierlich, höfisch, wohlerzogen als Übersetzung die Bedeutung am besten treffen«; klug »geht hauptsächlich auf die ästhetische Seite« höfischer Bildung, »auf Haltung und Gebärde« (J.L319 Jost Trier, Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes, 21973,264,324).
2.1 Seit dem 13. Jahrhundert wird klug allmählich stärker auf intellektuelle Fähigkeiten bezogen (wohl über Verbindungen wie kluoger sin; vgl. L059 DWb), besonders auf ostmitteldeutschem Gebiet (vgl. Scheidweiler, in: L355 ZDA78,184ff.); es überschneidet sich dann z. T. mit "weise" und wird mit diesem gern synonym verbunden, so bei A180 Martin Luther Das du solchs den Weisen vnd Klugen verborgen hast (Matthäus 11,25); vgl. noch in Lortzings ›Zar und ZimmermannO, ich bin klug und weise, / Und mich betrügt man nicht; entsprechend neben weise Frau auch kluge FrauWahrsagerin‹ (A222 Friedrich Schiller, Turandot 3,2). Damit wird klug"S012" Gegensatz zu ⇑ "dumm", "töricht" usw.
2.2.1 Gemäß der Vorstellung von Geschicklichkeit und gesellschaftlicher Gewandtheit (vgl.[1]) wird klug– anders als ↑ "weise" – schon frühneuhochdeutsch mehr auf diesseitige, praktische und individuelle Lebenstüchtigkeit bezogen, besonders deutlich dann bei A177 Gotthold Ephraim Lessing, Nathan 3,5 klug nur der, / Der sich auf seinen Vortheil gut versteht?; A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust II,10236 Krieg oder Frieden. Klug ist das Bemühen, / Zu seinem Vortheil etwas auszuziehen; dazu Bildungen wie staatsklug, "weltklug" (L004 Johann Christoph Adelung), lebensklug.
2.2.2 Damit berührt sich ›umsichtig, vorausschauendWer im Sommer samlet / der ist klug(A180 Martin Luther, Sprüche Salomos 10,5); ⇓ "S074" geflügeltes Wort Der kluge Mann baut vor (A222 Friedrich Schiller, Tell 1,2); heute z. B. im Sport seine Kräfte taktisch klug einteilen.
2.3.1 Im Anschluß an (2.1) bezeichnet klugnicht nur eine durch allgemeine Lebenserfahrung, sondern
2.3.2 auch eine durch Unterricht und Übung erworbene Eigenschaft: Wo sind die Klugen? Wo sind die Schrifftgelerten? Wo sind die Welt weisen? (A180 Martin Luther, 1.Korinther 1,20); Die Schule ist was wunderschönes. Da gehen lauter dumme Kinder rein, und lauter kluge Kinder kommen wieder raus (J.A006 Jurek Becker, Lügner 113), vgl. "intelligent" (↑ "Intelligenz") und L066 Jürgen Eichhoff, Karte 3–35; hieran kann negative Bewertung anschließen, indem klug als ›eingebildet, dünkelhaft klug‹ verstanden wird (vgl. Haltet euch nicht selbs fur Klug A180 Martin Luther, Matthäus 12,16), verdeutlicht in Bildungen wie dünkelklug (Luther), aberklug, superklug (↑ "super-"), neunmalklug, auch ↑ "altklug".
2.4 In Synonymenwörterbüchern seit dem 18. Jahrhundert besonders eng mit "weise", "verständig" (L063 Johann August Eberhard 1799) bzw. auch mit ↑ "gescheit" (L338 Friedrich Karl Ludwig Weigand 1842) zusammengestellt, insgesamt mit sehr weitem Verwendungsradius, auch auf gelehrige Tiere beziehbar. Auf Einsicht, Verständigkeit im Einzelfall zielen Redensarten wie aus etwas/ jmdm. nicht klug werden (können) (umgangssprachlich schlau) (L004 Johann Christoph Adelung); klug daran tun mit Infinitiv-Satz; auch Sprichwörter wie Der klügste (heute Klügere) gibt nach (L004 Johann Christoph Adelung). – ⇓ "S237" Bei den Sinnverwandten von klugsind etwa folgende Gruppen zu unterscheiden: (1.) Besonders stark entwickelt erscheint der Bereich um klug (2.2.1) mit ⇑ "schlau", "gerieben", "gerissen", "gewieft", "ausgekocht", "ausgefuchst", "ausgebufft", "ausgepicht", "raffiniert", "pfiffig", neuerdings auch ↑ "clever" und ↑ "smart" (vgl. W.Yang, Anglizismen im Deutschen, 1990,92f.). (2.) Ähnlich, doch mehr oder minder negativ akzentuiert: ⇑ "verschlagen", "durchtrieben", "abgefeimt", "verschmitzt" (früher), "listig". (3.) Erfahrung wie bei klug (2.3.1) ist vorausgesetzt bei ⇑ "gewitzt" (↑ "Witz"), "erfahren", "weise", "kundig". (4.) Unterrichtung wie bei klug(2.3.2) bei ⇑ "gelehrt", "gebildet" (↑ "Bild"), "beschlagen". (5.) Auf besondere Kraft des Verstandes, beruhend auf Anlage oder Übung, verweisen ⇑ "aufgeweckt", "begabt", "genial", "gescheit", "helle", "intelligent", "scharfsinnig". (6.) Mehr auf Tugenden des geselligen Umgangs zielen ⇑ "witzig", "geistvoll", "geistreich". (7.) Neben ↑ "verständig" steht ↑ "vernünftig". – Heute veraltend
klüglich (mhd. ) als Adverb zu klug. Bei Luther in negativem Sinn
klügelnklug tun‹, Klügler, Klügling, literarisch noch im 18. Jahrhundert; ↑ "ausklügeln".
Klugscheißerjmd. , der besserwisserisch redet‹ (L059 DWb1873), ⇓ "S150" niederdt. klokschiter; norddt. synonym
Klugschnacker (1925 A266 Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke 2,177).
Klugheit (mhd. ) ⇓ "S158" ist entsprechend klug entwickelt.
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