Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
hören
gemeingermanisch (got. hausjan, engl. hear; wohl urverwandt griech. akúein, vgl. Akustik), ahd. hor(r)en, mhd. hœren; Weiterbildung ↑ "horchen". hören bezeichnet zunächst den unwillkürlichen Akt der Wahrnehmung durchs Ohr. Es kann auch die Wiederholung der Wahrnehmung und danach die Fähigkeit dazu ausdrücken, wie "sehen", "riechen" usw.: er hört gut, schlecht, kann nicht hören. Es kann ferner eine Absicht, eine bestimmte Richtung der Aufmerksamkeit hinzukommen, so z. B. immer, wenn es imperativisch gebraucht wird; höre, hören Sie dient als Einleitung, um die Aufmerksamkeit zu erregen. In anderer Art liegt eine solche Absichtlichkeit in eine Predigt, eine Vorlesung hören u.dgl., indem man sich dazu an einen bestimmten Ort begibt und dort verharrt. Als Objekt steht das wahrgenommene Geräusch (den Donner, ein Geschrei hören), das auch durch einen Infinitiv ausgedrückt werden kann (ich höre schreien); ferner der Gegenstand, von dem das Geräusch ausgeht: ich höre die Nachtigall; beides kann nebeneinander als Objekt stehen, wenn das Geräusch durch einen Infinitiv ausgedrückt wird: ich höre den Vater schnarchen, den Sturm heulen; unpersönlich ich höre es donnern. Als Objekt kann aber auch eine Kenntnis stehen, mitgeteilt durch Gehörseindrücke, durch Worte, dann in der Regel in der Form eines abhängigen Satzes: ich höre, daß er morgen kommt; ich hörte, er wäre gestorben; auch Pronomina und Adjektive stehen im Akkusativ das habe ich schon lange gehört, ich habe etwas Neues (nur Gutes) gehört; poetisch (nach lateinischem Muster) ist eine Konstruktion wie ich höre Orleans bedroht (Schiller); ich freue mich, sie mir verwandt zu hören (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Natürliche Tochter 131). Es kann endlich auch eine Kenntnis stehen, die man aus den Worten eines andern nur indirekt entnimmt, erschließt: ich höre an (aus) seinen Reden wohl, daß er keine Lust hat. Wo hören bewußtes Zuhören (und Beherzigen) bezeichnet, ist Konstruktion mit auf üblich: höre auf mich, meine Worte; etwas anders: der Hund hört auf den Namen Bems. Veraltet ist hörengehorchenwo jeglicher befiehlt und keiner hört (Goethe; L059 DWb), außer im Sprichwort Wer nicht hören will, muß fühlen und gegenüber Kindern: Ihr hört einfach nicht! (↑ "gehorchen") Wie ein einfaches Verb gebraucht ist sich hören lassenseine Stimme ertönen lassen, einen Vortrag halten‹, auch Gesang läßt sich hörenertönt‹. Verschieden davon das läßt sich hörendas ist anhörbar‹, d. h. ›ist wahrscheinlich, plausibel‹. Der Infinitiv steht statt des Partizips neben einem anderen Infinitiv: ich habe sagen hören (schon mhd. ... hören sagen; die Umstellung seit dem 13./ 14. Jahrhundert, vgl. L360 ZDW12,160f.). Beispiele dafür, daß das Partizip beibehalten wird, sind nicht so ganz selten: ich habe Degen um mich blinken gesehen und Kugeln um mich surren gehört (Schiller) ⇑ "abhören", "aufhören", "erhören", "gehören", "verhören", "zugehören"; "Behörde", "Zubehör", "gehorsam", "hellhörig".Hört! Hört!"S096" Interjektion, Ausruf in der Versammlung, mit dem die Aufmerksamkeit aller auf einen wichtigen Punkt im Redebeitrag des gegenwärtigen Redners gelenkt werden soll, besonders charakteristisch für parlamentarische Debatten, dort fast ausschließlich an Redner der eigenen Fraktion gerichtet; kann der Hervorhebung eigener Inhalte ebenso dienen wie etwa der Ablehnung von Zitaten und referierten Inhalten des politischen Gegners: Advocat Düchesne … Hört, hört und nehmet euch in Acht, daß ich euch nicht mit meiner Nachricht die Ohren zersprenge! (1831 A082 Christian Dietrich Grabbe, Napoleon 1,1); bereits in den Stenographischen Berichten der Deutschen Constituirenden Nationalversammlung von 1848 belegt.
Hörensagen (15. Jahrhundert), verschmolzen aus der Wendung ich habe es hören sagen, heute nur in vom Hörensagen (kennen, bekannt u.dgl.); im Rechtswesen Beurteilungskriterium z. B. von Zeugenaussagen, dazu Hörensagenwissen.
hörig (mhd. ) bezeichnet seit dem 18. Jahrhundert ein Abhängigkeitsverhältnis, insbesondere eine Zwischenstufe zwischen Leibeigenen und Freien. Die alte Rechtssprache verwendet das Wort nicht so. Nur in Zusammensetzungen ist es schon früher ähnlich gebraucht: hofhörigzu einem Gute gehörig, davon abhängig‹. Heute v. a. ›sexuell abhängig‹ (mit Dativ), entsprechend Hörigkeit.
Hörer (mhd. )
1Zuhörer‹, dazu "Schwarzhörer" »hört Rundfunk und drückt sich vor den Gebühren« (L320 Trübner 1939),
2 Teil des Telefons (A243 Carl Sternheim, 1913 1,4), entsprechend die Abschiedsformel Auf Wiederhören!; vgl. noch Kopfhörer.
Hörsaal (der Universität) 1728 Gottsched (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), älter ↑ "Auditorium".
Hörspiel schaw- und hörspiel Pl. 1610 (L081 FWbs. v. Komödiant), modern von ⇓ "S032" H. S.v.Heisler 1924 geprägt (L257 3RL) ›Rundfunkdrama‹, inzwischen eigene Kunstform (Hörspielpreis): Die Welt ist im Hörspiel auf das Hören amputiert, im Film auf das Bild hin (A043 Friedrich Dürrenmatt, Theater-Schriften 61).
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