Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
hängen
Es besteht ursprünglich (schon gemeingermanisch) ein transitives Verb, mhd. hahen, hienc, hiengen, gehangen (vgl. "fangen") mit der Bedeutung ›aufhängen‹; daraus sind drei schwache Verben entwickelt: mhd. hangen (ahd. hangen) intransitiv ›hängen‹, ↑ "henken" transitiv ›aufhängen‹ und hengen›(die Zügel, das Leitseil u.dgl.) hängen lassen, nicht straff anziehen‹ ("verhängen"(1), "nachhängen"). Durch Vermischung zwischen diesen vier Verben sind die heutigen Verhältnisse zustande gekommen: hengen(hängen) hat die Bedeutung von henken angenommen, das mehr und mehr außer Gebrauch gekommen ist; das Präteritum und Partizip von hangen sind schon im Mittelhochdeutschen verlorengegangen (nur in einigen mitteldeutschen Quellen erscheinen sie noch), statt ihrer wurden hienc, gehangen gebraucht, die also nun transitive und intransitive Bedeutung vereinigten, während das Präsens hahenbis auf wenige Ausnahmen transitiv blieb; weiterhin wurde hahendurch ein neu zum Präteritum und Partizip gebildetes hangen (du hängst, er hängt) ersetzt (wie fahendurch fangen), das zunächst auch transitive und intransitive Bedeutung vereinigte; die 2. und 3. Person Singular Indikativ fielen lautlich zusammen mit denen des transitiven hängen, die übrigen Präsensformen mit denen des intransitiven hangen; dieses ging dann ganz unter, indem hangst, hangt aus der Schriftsprache schwanden; das starke Präsens wurde auf die intransitive Verwendung beschränkt, während die transitive dem schwachen hängen vorbehalten blieb; auch das Partizip gehangen wurde in der Schriftsprache ausschließlich intransitiv, doch noch nicht im 18. Jahrhundert: jetzt wird ihm ein armes Mädchen angehangen (Lessing); auch hat er sich mit einer Frau behangen (G.A.Bürger); hätte ich mich nur bei Zeiten gehangen(Goethe); ein Engländer hat sich aufgehangen (Goethe); des Reimes wegen geblieben mitgefangen, mitgehangen; in der oberdeutschen Umgangssprache ist auch jetzt noch transitiv gehangen gebräuchlich. Endlich nahm hängen neben der transitiven auch intransitive Bedeutung an, wozu der Anstoß von der 2. und 3.Person Singular gegeben wurde, die ja mit der von hangen gleichlautete. Demnach haben wir jetzt: Präsens hangen stark intransitiv (nur süddeutsch mundartlich und in ⇓ "S243"
mit Hangen und Bangen) – hängen transitiv und intransitiv; Präteritum hingintransitiv (transitiv unüblich) – hängte transitiv; Partizip gehangen intransitiv – gehängt transitiv. Zu den Bedeutungen:
1 Intransitiv hängen (mhd. hangen) wird gebraucht,
1.1.1 wenn ein Körper an einem Punkte befestigt ist, die Hauptmasse aber durch die Schwerkraft nach unten gezogen wird; so hängt ein Rock an einem Haken, der Dieb am Galgen usw.;
1.1.2 die Vorstellung des Befestigtseins kann besonders hervortreten, so daß hängen auch angewendet wird, wo die sonstigen Merkmale von (1.1.1) fehlen: eine Klette, Staub hängt an den Kleidern, man hängt an dem Halse eines Freundes, bleibt mit dem Rock an einem Dornstrauch hängen, aneinander hängen, "zusammenhängen"; uneigentlicher: mein Auge hing an deinem Angesichte, an deines Himmels Harmonie mein Ohr (Schiller); sein Herz hing an ihr (Luther); er hing leidenschaftlich an der alten Amme (Goethe); hängenbleibenim Gedächtnis haften‹; umgangssprachlich alles was drum und dran hängt (damit verknüpft ist); veraltet bei jmdm. hängenSchulden haben‹; des Kaisers Acht hängt über ihm (Schiller) (droht auf ihn zu fallen); ein Prozeß hängt (ist noch in der Schwebe, noch nicht erledigt, nach lat. pendere, vgl. "anhängig").
1.2.1 Intransitiv hängen ferner (vgl. 1.1.1), wenn ein Gegenstand derartig gestützt ist, daß er zum Teil nach oben gerichtet ist, aber doch teilweise wieder durch die Schwerkraft eine Neigung nach unten bekommt; so hängen die Zweige eines Baumes, der Kopf eines Menschen, die Flügel eines Vogels.
1.2.2(nach unten oder zur Seite) geneigt seinhänget… / Das Land in den See (A131 Friedrich Hölderlin, Hälfte des Lebens); Der hängende (›schiefe‹) Thurm (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise 30,163,1), s. unten Hang; früher auch übertragen: sollte man sein Urteil nicht eben darum für so viel unparteiischer halten, weil er innerlich nach keiner Seite hing (Lessing); ihre Seele hängt sehr nach diesen Ideen (Goethe); unsere Natur hängt sehr dahin(Goethe) (s. unten Hang).
2 Beim transitiven hängen kann man analog (1) wieder zwei Hauptbereiche der Bedeutung unterscheiden. Nur zum Teil trifft damit zusammen eine Unterscheidung nach einem anderen Gesichtspunkt.
2.1.1 Zum einen (vgl. 2.2) liegt in hängen das Befestigen eines Gegenstandes an einen anderen, der dann auch immer ausgedrückt wird (an einen Haken, die Wand, auf eine Leine), außer wenn es ›an den Galgen hängen‹ ist (hierher auch
mit Hängen und Würgen, dessen ursprünglicher Sinn verdunkelt ist, in dieser Form seit dem 19. Jahrhundert, ›mit Mühe soeben noch‹).
2.1.2 Wieder kann die Vorstellung des Festhaltens zur Hauptsache werden: sein Herz an etwas hängen; an etwas muß der Mensch seine Gedanken hängen (Immermann); v. a. bei reflexivem Gebrauch: sich jmdm. an den Hals hängen; sich an ein Mädchen hängen; die Philister hingen sich an Saul(›verfolgten ihn auf den Fersen‹) (Luther); da hängt er sich an jeden Mutwillen, der vorbei ist (›klammert sich an, macht viel Wesen daraus‹) (Goethe).
2.2 Zum anderen kann die erforderliche Befestigung schon vorhanden sein, und der Gegenstand wird dadurch in hängende Lage gebracht, daß die außerdem vorhandene Stütze, die ihn bisher in der Richtung nach oben hielt, beseitigt wird, früher den Kopf, die Ohren, die Arme, den Schwanz hängen, wofür jetzt hängenlassen (vgl. Kopfhänger). ⇑ "anhängen", "aufhängen", "nachhängen", "verhängen", "zusammenhängen"; ferner aushängen, "Abhang", "Vorhang"; "Hängematte" ↑ 1"Matte".
Hang erscheint erst im 15. Jahrhundert (Oswald von Wolkenstein), zu hangen gebildet, während Zusammensetzungen wie "Anhang", Umhang älter sind. Es bezeichnet zunächst das Geneigtsein nach einer bestimmten Richtung: dieser senkrechte Hang der Arme(Lessing); uneigentlich wohin der Hang der Moden, des Geschmacks und der Staatsbedürfnisse winket (Möser). Konkret ›abschüssige Stelle‹, synonym mit "Halde" (ähnlich ↑ "Abhang"). Seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ›seelische Neigung‹. Vereinzelt ist bei Wieland vom treuen Hang an eure Pflicht(wie das Hängen an).
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