Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
groß
ahd. / mhd. groz(verwandt mit ⇑ "Grieß", 1"Grütze"), westgermanisch (engl. great) ursprünglich ›grobkörnig‹, dann ›viel Raum einnehmend‹, mittelhochdeutsch noch häufig ›dick‹, während ›groß‹ durch michel bezeichnet wird;1 im Unterschied zu "lang", "breit", "dick", "hoch", "tief" allgemeiner Quantitätsbegriff,
1.1 auf alle Dimensionen beziehbar: Gros und weit (L105 Georg Henisch), wie groß ist die Entfernung?(L033 Joachim Heinrich Campe), Das Kleid ist ihm viel zu groß(L105 Georg Henisch), Große Augen machen übertragen »sich verwundern, erstaunen« (L033 Joachim Heinrich Campe); Gros werden »wachsen« (L105 Georg Henisch) übertragen im Sinn eines temporalen Begriffs, daher substantivisch die Großen »die Erwachsenen« (L003 Johann Christoph Adelung 1775), häufig in der ⇓ "S243" Paarformel ›jedermann‹: zufrieden jauchzet groß und klein (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,939); wie andere räumliche und zeitliche Adjektive auch relativ gebraucht ›einen bestimmten Raum einnehmend‹: wie groß?, zwei Morgen groß; früher mit Genitiv: einer Elle groß (Luther) (geändert), noch bei Chamisso einem kleinen etwa eines Talers großen Stückchen; so mit Maßbestimmungen verbunden: daß kaum noch einer Linse groß davon zu sehen war (Wieland), zu einer Zusammensetzung verschmolzen: handgroß; relativer Gebrauch beschränkt auf die Fälle, in denen groß sich im eigentlichen Sinn auf Raumerstreckung bezieht; neben Kollektiva
1.2 zur Bezeichnung einer bedeutenden Zahl von Einzelwesen: große Herde, Gesellschaft, Ein großes, zahlreiches Gefolge haben (L003 Johann Christoph Adelung 1775); dazu groß als ⇓ "S048" Bestimmungswort in neueren Zusammensetzungen: Großabnehmer, Großaktionär, Großalarm, Großauftrag, Großeinkauf, Großfahndung, Großhandel, Großklima, Großkundgebung, Großproduktion, "Großraum" (s. unten), Großveranstaltung, Großverbraucher, Großverdiener; als qualitativer Begriff
2 neben Eigenschafts-, Zustands- und Tätigkeitsbezeichnungen,
2.1 zur Bezeichnung eines hohen Grades: Ich verkündige euch grosse Freude (A180 Martin Luther, Lukas 2,10), Grosse und eerliche fründtschafft(L200 Josua Maaler), grosse Liebe (L169 Matthias Kramer), Ein großes Geschrey erheben (L003 Johann Christoph Adelung 1775); im Sinn eines Wertbegriffs
2.2 moralisch ›edel, rechtschaffenGros / herzlich furtrefflich (L105 Georg Henisch), ein großer Charakter, große Seelen dulden still (A222 Friedrich Schiller, Karlos 1,4);
2.3einflußreich, bedeutendDie grossen laßt man lauffen(L105 Georg Henisch), Karl der Grosse, Grosser Herr (L105 Georg Henisch), Etwas Grosses thun (L200 Josua Maaler), solte es eine so grosse Sache seyn (L169 Matthias Kramer), Du sprichst ein großes Wort gelassen aus (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Iphigenie 307), Sehn wir doch das Große aller Zeiten / Auf den Brettern, die die Welt bedeuten (A222 Friedrich Schiller, An die Freunde), großtun (L308 Kaspar Stieler), großsprecherisch; adverbial abgeblaßt etwas ganz groß finden, elliptisch in direkter Rede Menschganz groß! »der heute so beliebte Ausruf« (L320 Trübner);
im großen und ganzenim wesentlichen‹ (L092 GoeWb);
3 adverbial in negiertem Satz ›sonderlich, viel‹: Nicht gros auf etwas geben / nicht vil darnach fragen (L105 Georg Henisch), ich bekummere mich nicht groß drum (L169 Matthias Kramer), Ich habe nicht groß darauf gehöret (L003 Johann Christoph Adelung 1775); ohne groß nachzudenken;
großartig (1762; L320 Trübner) lobend ›ausgezeichnet, eindrucksvoll‹, auf Landschaftseindrücke bezogen wie grandios; wie dieses auch ironisch in einem groszartigen irrthum (Holtei; L059 DWb); zur Gegenwart hin auch abwertend ›übertriebengroszartiger pomp (Gervinus; L059 DWb), schleuderte das glas großartig auf die steine(Freytag; L059 DWb), im Sinne von ›prahlerischgroßartig die dame spielen (Fontane; L059 DWb);
großdeutsch (1848; L201 Lutz Mackensen); ursprünglich auf die Schaffung eines deutschen Bundesstaats bezogen, im ⇓ "S145" Nationalsozialismus imperialistisch erweitert; 1938 verboten, um den Eindruck zu verhindern, daß mit der deutsch-österreichischen Einheit weitere Ansprüche nicht erhoben würden (vgl. L015 Cornelia Berning); im 2. Weltkrieg dann in der Verbindung Großdeutsches Reichnationalsozialistisches deutsches Reich‹ propagandistisch wiedergebraucht (vgl. L362 Christian Zentner/ L362 Friedemann Bedürftig); dazu entsprechend Großdeutschland;
Großherzog (1569; L059 DWb) ⇓ "S124" Lehnübersetzung von ital. gran duca (lat. magnus dux), bis 1806 v. a. ›Herrscher von Florenz‹, dann Titel deutscher Herrscher;
großjährig um 1530 ⇓ "S124" Lehnübersetzung von lat. maiorennis; veraltend für heute "volljährig";
großkotzig (1893; L164 Friedrich Kluge) umgangssprachlich abwertend ›prahlerisch‹, wohl zusammenhängend mit jidd. kozenreicher Mann‹;
Großmacht (L308 Kaspar Stieler), ⇓ "S158" ursprünglich im Sinn einer allgemeinen Eigenschaft (wie älteres großmächtig); seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ›politisch bedeutender Staat‹;
Großmannssucht zuerst bei ⇓ "S238" A222 Friedrich Schiller, Räuber 5,2: Es ist die Großmannsucht. Er will sein Leben an eitle Bewunderung setzen; politisch bei Gutzkow (L059 DWb);
großmütig grozmüetec, -muotec (14. Jahrhundert), ursprünglich ›unverzagt, kühn‹ entsprechend lat. magnanimus, so noch bis ins 19. Jahrhundert; seit dem 15. Jahrhundert ›hochherzig, edelgesinnt‹: ein groszmütiger mensch der veracht alle… kleine ding (Geiler von Kaisersberg; L059 DWb); Großmut 16. Jahrhundert (Fischart);
GroßmutterMutter von Mutter oder Vater‹, statt mhd. ane (↑ "Ahne") erscheint um 1350 grozmuoter (s. unten "Großvater"), das sich hauptsächlich von Norddeutschland her (mittelniederdt. grot(e)moder, niederländ. grootmoeder) verbreitet, wohl unter Einfluß von franz. grand-mère (13. Jahrhundert); in der Überlieferung der Teufel und seine Großmutter (1480; L059 DWb) zur Bezeichnung besonderer Verwerflichkeit: alle dinge,… die sich vom teufel und seiner großmutter herschreiben (1705; L059 DWb), anders im Märchen Der Teufel und seine Großmutter(Brüder A087 Jacob und Wilhelm Grimm); jung
GroßraumEinzugsbereich einer Großstadtim Großraum Hamburg; Großraumflugzeug (L056 Duden 121941);
Großstadt 1575 Fischart, dann neu bei Jean Paul und L033 Joachim Heinrich Campe: »eine große Stadt, besonders in Hinsicht auf Sitten, Gebräuche etc. ihrer Bewohner« (L033 Joachim Heinrich Campe), heute amtlich ›Stadt mit mehr als Einwohnern‹; großstädtisch 1766 Gerstenberg; Großstädter schon Anfang des 17. Jahrhunderts
Großvater statt des älteren ↑ "Ahn" erscheint nach den ältesten Belegen zuerst am Oberrhein (grosvatter 1387 Straßburg), breitet sich auch rasch in Nord- und Mitteldeutschland aus (vgl. Karte bei E.E.Müller, Großvater, Enkel und Schwiegersohn, 1979, S. 20), mittelniederdt. grot(e)vader, niederländ. grootvader; s. oben "Großmutter";
großzügig (um 1900; W.L244 Wolfgang Pfeifer) ›tolerant‹, heute fest großzügig über etwas hinwegsehen, auf Materielles gewendet ›freigebig‹.
Größe ahd. grozi, mhd. grœze; der Bedeutungsentwicklung des Adjektivs folgend; speziell in ⇓ "S130" Mathematik, Physik ›ein durch eine Zahl ausdrückbarer und teilbarer Begriff‹ (1565; L276 Alfred Schirmer, Mathematik), danach verallgemeinert abgeblaßt ›Umfang‹: gröszen und eigenschaften (Möser; L059 DWb); in der Bekleidungsindustrie heute im Sinn einer Norm; übertragen im Sinne von ›Bedeutung‹ frühneuhochdeutsch, metonymisch von einer Person: der erde gröszen (Klopstock; L059 DWb); ethisch gedeutet seit späterem 18. Jahrhundert Größe des Charakters; ⇓ "S032" bei A280 Johann Joachim Winckelmann (1755) als kunsttheoretischer Begriff auf Werke der griechisch-antiken Klassik bezogen, besonders in der Formel edle Einfalt und stille Größe;
Größenwahnübersteigerter Dünkel‹, im 19. Jahrhundert bei G.Freytag, Rosegger, dann politisch; älter "Großmannssucht" (s.oben).
Großheit (L308 Kaspar Stieler), zuvor mittelniederdeutsch (vgl. L059 DWb); ursprünglich wie Größe quantifizierend; bei A280 Johann Joachim Winckelmann als ästhetischer Begriff (vgl. auch A279 Christoph Martin Wieland, Anmerkung zu ›Oberon‹ 3,40), zur Bezeichnung von Bedeutendem: Stehst du [Helena] nun in deiner Großheit, deiner Schöne vor uns da (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust II,8917).
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