Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
greifen
ahd. grifan, mhd. grifen, gemeingermanisch (engl. gripe, verwandt litauisch griebti ›anfassen, ergreifen‹);1 meist intransitiv: an etwas greifen, übertragen das greift mir an die Ehre, ans Herz; in etwas: in die Tasche, in den Beutel greifen, übertragen in seinen Busen greifen, er greift in meine Seele (A222 Friedrich Schiller), Greift nur hinein in's volle Menschenleben! (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,167), der in ein fremd Amt greift(Luther) (vgl. "eingreifen", Eingriff), ineinandergreifen (von Rädern u.dgl.), oft übertragen ineinandergreifende Schlüsse/ Systeme (18. Jahrhundert); jmdm. unter die Arme greifenunterstützen‹; zu etwas greifen sagt man, wenn der Gegenstand zu einem Zweck benutzt werden soll: zu den Waffen, übertragen zu unerlaubten Mitteln greifen, veraltet und wollen nun zu der Historie greifendamit anfangen‹ (Luther); nach etwas greifen, nach seinem Degen, seinem Hut, dem Schatten greifen; um sich greifen, als sie erwachte, griff sie suchend um sich, gewöhnlich übertragen ›sich ausbreiteneine Krankheit, ein Übel greift um sich; mit Adverbien fehl, tief, (zu) weit greifen, das ist zu hoch gegriffengeschätzt‹; im Sinne von ›fassendie Räder greifen schlecht; seit Goethe ›Wurzel fassen, Wirkung haben‹: die glücklichsten, heitersten Ereignisse konnten nicht greifen, keins von diesen Argumenten wollte bei ihm greifen;
2 transitiv: sie griff mit ihrer Hand den Nagel und mit ihrer Rechten den Schmiedehammer (Luther), Roland ihn bei den Haaren griff(Uhland), dafür "ergreifen"; noch üblich jmdn. greifengefangen nehmen‹, so im Ostniederdeutschen noch für das Kinderspiel: ›fangen‹ (↑ "fangen"), dafür norddt. ↑ "kriegen"(2), westmitteldt. nachlaufen, ostmitteldt. ↑ 1"haschen", schlesw.-holst. ↑ "ticken" (L066 Jürgen Eichhoff, Karte 49) ; mit sächlichem Akkusativ veraltet auf geistiges Verstehen bezogen, "begreifen": ob sie schon greyffen die warheyt(Luther; L059 DWb); mit Akkusativ des Ergebnisses einen Ton, einen Akkord auf einem Instrument greifen, das ist mit Händen zu greifen (vgl. handgreiflich), ähnlich daß es so finster werde in Egyptenland, daß man es greifen mag (Luther), ein Nebel dick zum Greifen(Wieland), etwas aus der Luft greifen übertragen zumeist im Partizip Prät. ›willkürlich‹, ›unrealistisch‹ (18. Jahrhundert), Platz greifen wie Boden gewinnen (18. Jahrhundert); seit dem 19. Jahrhundert zum Greifen nah (vgl. L059 DWb). Dazu ↑ "Griff"; die Zusammensetzungen ⇑ "angreifen", "ausgreifen", "begreifen", "durchgreifen", "eingreifen", "übergreifen", "vergreifen".
Greifvogel früher auch angelehnt an den Vogel ↑ "Greif", sonst ›Raubvogel‹ (1590; L059 DWb).
greifbar (L169 Matthias Kramer 1700), dafür zuvor greiflich (erhalten in "begreiflich"); im Sinne von ›deutlich, offensichtlich‹ übertragen auf Abstrakta bezogen seit späterem 19. Jahrhundert.
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