Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Gott
ahd. / mhd. got, gemeingermanisch, vorchristlich Neutr. ; Etymologie unklar; allgemein »der vollständigste Inbegriff aller natürlichen Religion« (A177 Gotthold Ephraim Lessing, 14,312), speziell1.1übermenschliche, mit sittlichen Begriffen und als schöpferische Kraft gefaßte Macht‹, als polytheistischer Begriff im Plural, den der christlich-biblische Begriff ausschließt; in der klassischen Literatur auf die antike Klassik bezogen: Ich kenne nichts Ärmer's / Unter der Sonn' als euch Götter. / Ihr nähret kümmerlich / Von Opfersteuern / … / Eure Majestät (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Prometheus), dem Christentum idealisierend gegenübergestellt: Da die Götter menschlicher noch waren, / Waren Menschen göttlicher (A222 Friedrich Schiller, Die Götter Griechenlands, 1,195), Götter wandelten einst bei Menschen (Hölderlin, Götter wandelten einst); übertragen auf einen verehrten Menschen bezogen Trauernd schmiegt sich moosig umwirrt / Nackter gott vorm schilfigen fächer (S.A067 Stefan George, Wilder Park); ⇓ "S024" in christlicher Deutung
1.2 einen Gott haben nichts anderes… , denn ihm von Herzen trauen und glauben (Luther; L138 HWbPh 3,751), so in der bangen Gretchenfrage Glaubst du an Gott? (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,3426); mit typischen Begriffsmerkmalen in der alttestamentlichen Überlieferung als Weltschöpfer Am Anfang schuff Gott Himel vnd Erden (A180 Martin Luther, 1.Mose 1,1), so literarisiert mit der naturbezogenen Schöpfungsidee Gottwenn der Adler Wolken theilet, / … / Gottwenn der West ein Blatt beweget (A222 Friedrich Schiller, Der Abend), auf den Menschen bezogen Da Gott den Menschen schuff / machet er jn nach dem gleichnis Gottes (A180 Martin Luther, 1.Mose 5,1), satirisch gedeutet der Ursprung: Hans Adam war ein Erdenklos, / Den Gott zum Menschen machte (Goethe; Ch.L042 Christa Dill); mit dem Begriff der Allmacht: Der allmechtige Gott… sprach zu mir / Sihe / Jch will dich wachsen lassen (A180 Martin Luther, 1.Mose 48,3f.), diese Vorstellung ausgedrückt im Sprichwort Der Mensch denkt, Gott lenkt, bei Brecht verfremdet: Der Mensch denkt: Gott lenktKeine Red davon (B.A025 Bertolt Brecht, Mutter Courage; 4,1395); im Sinn einer strafenden Instanz Da lies jn Gott der Herr aus dem garten Eden / … / Vnd treib Adam aus (A180 Martin Luther, 1.Mose 3,23f.), daher mit dem Begriff der Sünde verbunden: Als durch Sünde der Mensch zu Gottes Feinde sich umschuf (A161 Friedrich Gottlieb Klopstock, Messias 1,210); mit dem Ausschließlichkeitsanspruch Jch bin der Herr / Dein Gott / … Dv solt kein andere Götter neben mir haben (A180 Martin Luther, 2.Mose 20,2f.), im Gegensatz dazu in Vergleichen Wenn hat, und wo die fromme Raserei, / Den bessern Gott zu haben… / … / In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr / gezeigt als hier… ? (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Nathan 2,5), mit Possesivpronomen: Von deinem Gott war die Rede, ich sprach / gegen ihn (A035 Paul Celan, Zürich, Zum Storchen); neutestamentlich gedeutet mit dem Begriff der Liebe: Vnd wir haben erkand vnd gegleubet die Liebe / die Gott zu vns hat (A180 Martin Luther, 1.Johannes 4,16), fest in der Verbindung der liebe Gott (mhd. , nicht biblisch) v. a. umgangssprachlich, in Märchen und Volkslied: endlich machte sich die Frau Hoffnung, der liebe Gott werde ihren Wunsch erfüllen (Brüder A087 Jacob und Wilhelm Grimm, Rapunzel), ebenso Der gute Gott von Manhattan. Manche sagen auch: der gute Gott der Eichhörnchen (A004 Ingeborg Bachmann, Gott 273), mit dem Begriff der Barmherzigkeit: So ligt es… nicht an jemands wollen oder lauffen / sondern an Gottes erbarmen (A180 Martin Luther, Römer 9,16), in blasphemischer Ausdeutung: Die Bestechlichkeit ist bei die Menschen dasselbe wie beim lieben Gott die Barmherzigkeit (B.A025 Bertolt Brecht, Mutter Courage; 4,1388); als Erlöser durch Jesus Christus: Also hat Gott die Welt geliebet / das er seinen eingeboren Son gab / Auff das alle die an jn gleuben / nicht verloren werden (A180 Martin Luther, Johannes 3,16); auf Jesus Christus selbst bezogen (A180 Martin Luther, Johannes 20,28);
1.3 in der ⇓ "S168" Metaphysik als erster und letzter Erklärungsgrund: Also ist die oberste Ursache der Natur… Gott(I.A152 Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft; hg. E.Cassirer 5,136); mit Blick auf die Unzulänglichkeit der Welt dann verworfen: Wenn Gott diese Welt gemacht hat, so möchte ich nicht dieser Gott sein(Schopenhauer, Nachlaß, hg. J.Frauenstädt 1864,441), bei Nietzsche funktionalisiert Gott ist die Eitelkeit, das Machtgelüst, die Ungeduld, der Schrecken, der entzückte und entsetzte Wahn des Menschen (A200 Friedrich Nietzsche, Morgenröthe 79), Wir verstehen, daß der Primitive einen Gott braucht als Weltschöpfer, Stammesoberhaupt, persönlichen Fürsorger (S.A063 Sigmund Freud IX,573); im Anschluß an (1.2) mit Verblassen der religiösen Bedeutung
1.4 in Formeln und Wendungen Gott grüße dich, grüß (dich) Gott (13. Jahrhundert; L059 DWb) heute v. a. süddeutsch, Gott behüte/ bewahre (mhd. ), gebe Gott (1618; L059 DWb), da sei Gott vor (L169 Matthias Kramer), gelobt sei Gott (ahd. ), bereits mittelhochdeutsch zusammengesetzt gottlob, Gott befohlen (mhd. ), weiß Gott (mhd. ); in der Funktion der Interjektion zum Ausdruck von Erstaunen, Entsetzen, auch Freude ach Gott!, ebenso o Gott!, mein Gott, lieber, guter, allmächtiger Gott, ohne Zusatz Gott!: Gott! wie kann der Mensch sich irren!(A082 Christian Dietrich Grabbe, Scherz 2,2), verständnisheischend gottwie man eben jemand kennen lernt! (Schnitzler; L059 DWb), in Gottes Namen frühneuhochdeutsch abgeblaßt ›von mir aus‹, leider Gottes (Mitte des 17. Jahrhunderts; L059 DWb); der Genitiv ⇓ "S228" verstärkend in gottsjämmerlich, in Flüchen entstellt zu Kotz, {{link}}Potz{{/link}}.
Götterdämmerung"S125" altnord. ragna rök ›Götterschicksal‹ hat Denis 1772 (in Vermengung mit ragna rökkr ›Götterverfinsterung‹) mit Götterdämmrung übersetzt (A279 Christoph Martin Wieland 1755 Abend der Götter), im Sinne von ›jüngster Tag‹ auch bei Jean Paul, Heine u. a.; ⇓ "S032" durch R.Wagner (Schlußstück seines ›Ring‹, 1853) populär geworden;
GottesackerGott geweihter Acker‹, ursprünglich (14. Jahrhundert) ›nicht bei der Kirche, sondern im freien Feld gelegener Friedhof‹ (L171 Paul Kretschmer 277 u. 609);
Gottesdienst, mhd. gotsdienst;
Gottesfurcht (1493; L059 DWb), ⇓ "S124" Lehnübersetzung von lat. timor dei, dazu gottesfürchtig (17. Jahrhundert);
Gottesurteil mittelniederdt. godis ordil (Sachsenspiegel), hochdeutsch 1770 Möser; vgl. L140 HWDA.
Gottseibeiuns"S188" (1778 Hermes; L164 Friedrich Kluge) Mask. , ›derjenige, bei dessen Anblick man diesen Ruf ausstößt, Teufel‹. ⇓ "S219"
Gottheit (ahd. ) ›göttliches Wesen‹.
Göttin ahd. gutin, gutinna, mhd. gotin(ne), gotin, seit dem 14. Jahrhundert umgelautet, nicht im christlich-biblischen Sinn: Thetis… die Göttin des Meers (A131 Friedrich Hölderlin, Achill); häufiger als Göttin übertragen idealisierend auf Abstrakta bezogen: Weisheit mit dem Sonnenblik / Große Göttin (A222 Friedrich Schiller, Der Triumpf der Liebe; 1,80), Und diese Göttin nenn ich also: Kunst (A130 Hugo von Hofmannsthal, Zu lebenden Bildern).
göttlich ahd. got(a)lih, mhd. got(e)lich, göttelich; religiös die stet [Stätte] vnsers Heiligthums / … / der Thron göttlicher ehre (A180 Martin Luther, Jeremia 17,12), ⇓ "S187" auf den Menschen bezogen seit dem Frühneuhochdeutschen, reich entwickelt seit der deutschen Klassik: An das Göttliche glauben / Die allein, die es selber sind (A131 Friedrich Hölderlin, Menschenbeifall); als ⇓ "S060" Entzückungswort abgeblaßt, vereinzelt im 16. Jahrhundert, seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts weit verbreitet ›wunderbar, großartig‹: Onobulus fand den einfall göttlich(Wieland; L059 DWb).
gottlos mhd. gotlos(Seuse).
gottvoll 19. Jahrhundert, gottes voll 16. Jahrhundert, wohl nach Stellen wie Apostelgeschichte 2,4; ironisch schon Anfang des 19. Jahrhunderts (Baggesen). ↑ "vergöttern".
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