Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
gewöhnen
ahd. giwennen, mhd. gewenen, vgl. unpräfigiert ahd. wennen, mhd. wen(n)en (⇑ "entwöhnen", "verwöhnen"); giwennen, gewenen steht im Ablautverhältnis zu ahd. giwon, mhd. gewon (s. unten Gewohnheit); wenn sich im Neuhochdeutschen gewöhnen festgesetzt hat, so liegt dies daran, daß das Verb sich an das Adjektiv (das die Form eines Partizips erhält: gewohnt (s. unten), hergeleitet von ahd. giwonen, mhd. gewonen) angeschlossen hat (bei Weiterentwicklung zu ö). Es wird transitiv (im Sinne von ›vertraut machendie Kinder an Ordnung gewöhnen) und reflexiv (im Sinne von ›vertraut werdendas Kind wird sich an die Ordnung gewöhnen) gebraucht; gewöhnlich wird es mit an verbunden, seltener und heute veraltet mit zu: Gewehne deinen Mund nicht zum schweren [Schwören] (A180 Martin Luther, Sirach 23,9), zur Sklaverei gewöhnt der Mensch sich gut (Goethe), gewöhnen Sie sich zur Geduld (Schiller); allgemein üblich ist es mit zu und Infinitiv; vereinzelt mit auf: Da… gewenete er also bald seine Leute auff der Heiden sitten (A180 Martin Luther, 2.Makkabäer 4,10); selten steht ein einfacher daß-Satz ohne vorhergehendes daran: ein Kalb, gewöhnt, daß es gern drischet (Luther); zuweilen mit Richtungsadverb: es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher (Goethe); endlich kann es mit Bestimmungen der Art und Weise verbunden werden: wie man gewöhnt ist, bei Schiller den zärtlich gewöhnten Fuß. Zuweilen wurde gewöhnen ohne sich, wie gewohnen (s. unten Gewohnheit) gebraucht, dann ebenfalls mit Akkusativ: dort lernst du Gottes Licht gewöhnen (Haller), die Strapazen einer solchen Reise zu gewöhnen (Mörike). Ebenso wird das Partizip gewöhnt mit gewohnt vermengt und daher entweder mit dem Genitiv verbunden: ich bin besserer [Gesellschaft] gewöhnt (Wieland); oder mit dem Akkusativ: wir sind's gewöhnt (Goethe), bald war man mich gewöhnt(Anzengruber), du wirst sie bald gewöhnt werden (Freytag). ⇑ "abgewöhnen", "angewöhnen", "eingewöhnen"; weitere Zusammensetzung: umgewöhnen. DazuGewöhnung (1. Hälfte des 15. Jahrhunderts; vgl. L059 DWb); ferner neuerdings gewöhnungsbedürftig: Er schreibt in einem gewöhnungsbedürftigen Stil. –
Gewohnheit ahd. giwonaheit, mhd. gewonheit, abgeleitet aus dem Adjektiv ahd. giwon(mhd. gewon, nhd. gewohn bis ins 18. Jahrhundert; wurzelverwandt mit "wohnen"), das im Neuhochdeutschen durch gewohnt verdrängt ist (s.oben), aber in Gewohnheit, gewöhnlich (s. unten) fortlebt, sowie bis ins 19. Jahrhundert (vgl. L033 Joachim Heinrich Campe) in gewohnen, ahd. giwonen, mhd. gewonen, gleichbedeutend gewöhnen. Zusammensetzungen "Angewohnheit", Kaufgewohnheit, Lebensgewohnheit u. a.
gewöhnlich mhd. gewonlich, zu mhd. gewon (s. oben Gewohnheit); vgl. ahd. giwonalihho Adverb.
1.1 Zunächst ›gebräuchlich‹, ›üblich‹; Man… hielt weder Sabbath noch andere gewöhnliche Feier (A180 Martin Luther, 2.Makkabäer 6,5f.), Die gewöhnliche Bedeutung eines Wortes (L004 Johann Christoph Adelung), (für) gewöhnlich ißt das Team beim Italiener; früher auch mit Dativ: daß es den alten Ärzten gewöhnlich gewesen, sich einer gläsernen Kugel zu bedienen (Lessing), es ist dem Morgenländer gewöhnlich, so die Erscheinung des Mädchens zu malen (Herder).
1.2 Im Neuhochdeutschen (Mitte des 17. Jahrhunderts; vgl. L059 DWb) und seit dem 18. Jahrhundert deutlicher hervortretend auch ›durchschnittlich‹, stärker abwertend ›ordinär‹; die gestalt des jungen menschen schien gewöhnlich und unbedeutend(Novalis; L059 DWb), die theorie ist aber in der diplomatischen thätigkeit… noch grauer als im gewöhnlichen leben(Bismarck; L059 DWb), bei den gewöhnlichen 08/ 15 Zweibeinern (A.A227 Arno Schmidt, Wundertüte 209). Zusammensetzungen außergewöhnlich, ungewöhnlich; Ableitung Gewöhnlichkeit.
gewohnt mhd. gewon(e)t, ursprünglich Partizip zu mhd. gewonen (s. oben Gewohnheit), dann aber (seit dem 14. Jahrhundert; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) an die Stelle des mittelhochdeutschen Adjektivs gewontretend. Weiter ist wohl auch Einfluß des Partizips gewöhnt anzunehmen für den Übergang zu ich bin gewohnt an die Stelle des früheren ich habe gewohnt. Zunächst wurde gewohnt mit dem Genitiv verbunden, vgl. sie ist der Ehebrecherei gewohnt (Luther), Leute, die dieser Arbeit besser gewohnt sind (Wieland), dieses Ausdrucks bin ich so gewohnt(Lessing), des Schwerts gewohnt (Schiller), mit es, das zum Akkusativ umgedeutet werden konnte: ich bin's nicht gewohnt (Luther); gewohnt sein mit wirklichem Akkusativ schon im 16. Jahrhundert vorkommend, seit dem 18. Jahrhundert häufig und jetzt schriftsprachlich ausschließlich; daneben mit zuund Infinitiv. Wie gewöhnt zuweilen die Konstruktion von gewohnt annimmt, so umgekehrt dieses zuweilen die von gewöhnt: an solches Abenteuer gewohnt (Herder), ich bin an diese Ausflucht so gewohnt (Goethe; und ähnlich bei ihm nicht selten), ans rauhe Jagdwerk nur gewohnt (Schiller), sie ist gewohnt an Rat und Krieg(Grillparzer; auch bei ihm nicht selten), wenn ich nicht so lange an unsere Berge und an den Apfelbaum gewohnt wäre (A.Stifter). In flektierter Form ist gewohnt im ursprünglichen Sinn nicht gebräuchlich; ungewöhnlich ohne Bestimmung: noch klingt in den gewohnten Ohren ein jedes Wort(Goethe); selten auch mit Genitiv diese des Überflusses gewohnte Stadt (L. v.Ranke); sonst hilft man sich im literarischen Sprachgebrauch mit Zusammensetzungen, vgl. des jagdgewohnten Hofes (Hagedorn), den sieggewohnten Gott (Uz), mordgewohnte Hände (Schiller), den jochgewohnten Nacken (Chamisso) usw. Dagegen ist attributives gewohnt wie mhd. gewon üblich (ursprünglich infolge einer ungenauen Verknüpfung) im Sinne von ›vertraut‹, ›bekannt‹: die gewohnte Beschäftigung, Lebensweise, in gewohnter Weise, mit gewohnter Herzlichkeit, an der gewohnten Stelle, in gewohnter Umgebung u.dgl.; A075 Johann Wolfgang von Goethe sagt auch bei gewohnten Pflanzen(Italienische Reise 27.9.86).
ungewohnt ahd. ungiwonet, mhd. ungewont, früher auch mit Genitiv: dieses Klimas ungewohnt (Lessing). Mit zu und Infinitiv: ungewohnt, den Grund mit festem Huf zu schlagen (Schiller); ohne Bestimmung: ich schärfte mein ungewohntes Auge (Goethe). Ferner im Sinne von ›unvertraut‹: wie es ein ungewohnt Ding ist einem jüdischen Manne (Luther), ungewohnte Arbeit usw., es kommt ihr ungewohnt vor.
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