Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
gewinnen
ahd. giwinnan, mhd. gewinnen, Präteritum gewann, Konjunktiv gewönne, woneben aber auch häufig die jüngere Form gewänne vorkommt. Das untergegangene einfache Wort ahd. winnan, mhd. winnen (gemeingermanisch, vgl. engl. win, schwed. vinna) bedeutete ›sich mühen, anstrengen‹ und wurde vorzugsweise auf Kampf bezogen (vgl. auch "überwinden"), ge- drückt den Erfolg aus; gewinnen ist daher ursprünglich ›durch Anstrengung zustande bringen und erlangen‹. Schon lange aber wird es auch gebraucht, wo etwas ohne Anstrengung und sogar ohne Absicht jmdm. zuteil wird; Gegensatz "verlieren". Jetzt lassen sich zwei Hauptschattierungen unterscheiden.1 Es wird an einen oder mehrere Gegner gedacht, mit denen man zu kämpfen hat, oder die das gleiche Ziel erstreben. In diesem Fall ist eine doppelte Art von Objekt möglich. Die eine bezeichnet das Gebiet, in bezug auf das man den Sieg erringt, läßt sich also als ein Akkusativ des Inhalts fassen, vgl. eine Schlacht, einen Prozeß, ein Spiel, eine Partie, eine Wette gewinnen. Die andere bezeichnet den Gegenstand, der dem Gewinner zuteil wird, vgl. den Sieg, die Oberhand, das Übergewicht, einen Vorteil, einen Vorsprung, etwas im Spiel, in der Lotterie gewinnen, veraltet: eine Stadt, ein Land gewinneneinnehmen‹, ebenso jmdn. gewinnengefangen nehmen‹, vgl. Josua gewann alle diese Könige mit ihrem Lande (Luther). Die Bezeichnung des Gegners konnte mit über angeknüpft werden: allgemein den Sieg u.dgl. über jmdn. gewinnen; unser Feind gewinnt zuviel über uns (Rabener), dieser Haß gewann es sogar einmal über seine angeborene Verstellungskunst (Schiller) (es ohne bestimmte Beziehung, vgl. franz. l'emporter); allgemein ist wieder es über sich gewinnen, z. B. er konnte es nicht über sich gewinnen, den Fehler einzugestehen (L337 WdG); mit anderer Anschauung sagt A075 Johann Wolfgang von Goethe wenn ihrs könntet auf euch gewinnen und ich konnte es nicht von mir gewinnen, mich derselben [nordischen Götternamen] zu bedienen (Dichtung und Wahrheit 28,143,4). Ohne Objekt sagt man er gewinnt, hat gewonnen in bezug auf einen Kampf, ein Spiel usw. Ungewöhnlich mit über: überall sucht man über den andern zu gewinnen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise, Römischer Carneval, Moccoli), veraltet jmdm. gewonnen gebenanerkennen, daß jmd. gewonnen hat‹ (noch bei Schiller). Indem das Werkzeug, durch das man gewinnt, zum Subjekt gemacht wird, kann letzteres auch eine Sache sein: die Karte, das Los gewinnt. ↑ "abgewinnen".
2 Die Vorstellung eines Gegners, der verliert, indem man selbst gewinnt, ist hier nicht vorhanden. Solche Verwendung war im Mittelhochdeutschen und noch im Frühneuhochdeutschen viel ausgedehnter als jetzt. Sie entsprach der noch jetzt üblichen, früher ausgedehnteren Verwendung von "haben", für die nun "bekommen" z. T. den gewöhnlichen Ersatz bildet. Man konnte im Mittelhochdeutschen sogar sagen schaden, leit gewinnen. Dagegen kann man jetzt nur solche Objekte mit gewinnen verbinden, die als etwas Vorteilhaftes betrachtet werden. Doch liegen in manchen Wendungen noch Reste des älteren allgemeineren Gebrauchs vor: Geld bei einem Geschäft, durch seine Arbeit gewinnen, Reichtümer, großen Besitz gewinnen; Erz gewinnen, Zucker aus Rüben gewinnen; Raum, Zeit, an Höhe, die Möglichkeit zu etwas, Ehre, Ansehen, Einfluß, die Herrschaft über etwas, jmds. Gunst, Liebe, Zuneigung usw., jmds. Herz, jmdn. für sich, für seine Absicht, für seine Partei, jmdn. zum Freund gewinnen, auch bloß jmdn. gewinnengünstig für sich stimmen‹; früher ganz allgemein mit Zuständen des eigenen Leibes oder der eigenen Seele als Objekt: Da die Paulus sahe / dancket er Gott / vnd gewan eine zuuersicht (A180 Martin Luther, Apostelgeschichte 28,15), das fuhr mir in die Glieder, daß ich den Frost gewann (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 3,192,12); noch üblich sind Wendungen wie seine Gesundheit, seine Heiterkeit wiedergewinnen; ferner einen Eindruck, die Überzeugung, die Gewißheit, einen Einblick in etwas, Abstand gewinnen. Mit prädikativem Adjektiv jmdn. lieb gewinnen. Gehoben (L337 WdG) ist speziell ›(einen Ort) erreichen‹, besonders von Seefahrern und Schiffen: die hohe See, den Hafen, das Ufer gewinnen; aber auch das freie Feld, das Weite gewinnen; vgl. ferner ich wollte deswegen wieder die schöne Stadt Rom gewinnen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 43,231,22). Nahe verwandt ist der Gebrauch von gewinnenin den Gesichtskreis bekommen‹, vgl. daß ich halb ihr Gesicht, völlig den Nacken gewann (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Römische Elegien 15,12). Das Subjekt kann auch ein Zustand, ein Vorgang sein; so wieder, wenn das Mittel zum Subjekt gemacht wird, vgl. seine Bescheidenheit gewann ihm die Zuneigung aller; aber auch sonst, vgl. der Aufstand der Niederlande gewann meine Aufmerksamkeit (Goethe); etwas gewinnt Boden, Bestand, Gestalt, Farbe, Bedeutung; die Sprache gewinnt immer mehr Biegsamkeit(Goethe); veraltet: daß die Versuchung ein Ende gewinne(Luther); das Haus gewann einen großen Riß(Luther); es gewinnt den Anschein (das Ansehn), daß oder als ob usw. Ohne Akkusativobjekt sagt man er gewinnt bei dem Handel, er hat an Geschicklichkeit, an Kenntnissen gewonnen, die Abhandlung gewinnt an Klarheit u.dgl., weniger gewöhnlich wenn sein Buch nicht dadurch um ein paar Oktavseiten gewönne (Schiller); in speziellem Sinn das Gedicht hat durch diese Änderung sehr gewonnen. Das Partizip Präsens gewinnend adjektivisch: gewinnendes Benehmen, Lächeln usw. Dazu
Gewinn ahd. giwin, mhd. gewin, den verschiedenen Schattierungen von gewinnen entsprechend, nur daß noch entschiedener die Vorstellung von einem Vorteil damit verknüpft ist. Selten als Vorgangsbezeichnung, vgl. weil sein Verlust notwendig mit des andern Gewinne verbunden ist (Lessing), den Augenblick entschiedenen Gewinns(Goethe), der Gewinn des großen Looses (L004 Johann Christoph Adelung). Gewöhnlich ⇓ "S106"das GewonneneUnd Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt / Wohlzufrieden zu Haus (A131 Friedrich Hölderlin, Brod und Wein). Veraltete Nebenform
Gewinst von ⇓ "S159" Norddeutschland ausgegangen (1438; L059 DWb); häufig bei Luther, Lessing, Goethe (überwiegend mit -nn-): Das Edle zu erkennen ist Gewinnst (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Tasso 1838); gleichfalls selten als Vorgangsbezeichnung, vgl. die Schätze, deren Gewinnst ihm bevorsteht (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 26.5.1799). Den Versuchen mancher Sprachmeister, Gewinn und Gewinst gegeneinander abzugrenzen, entspricht der wirkliche Sprachgebrauch nicht.
Gewinner (mhd. ), gewöhnlich in bezug auf Spiel, Wette u.dgl.; pejorative Bildung "Kriegsgewinnler".
Gewinnung mhd. gewinnunge, Verbalabstraktum zu gewinnen, ›das GewinnenIn der Alaunhütte erkundigten wir uns genau nach der Gewinnung und Reinigung dieses so nöthigen Materials (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit 27,331,12).
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