Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
gewahr
ahd. giwar, mhd. gewar, zu wahr- in "wahrnehmen", jetzt nur noch in der schon westgermanischen Wendung gewahr werden (vgl. engl. to become aware). Ursprünglich mit Genitiv, vgl. vnd wirst nicht gewar des Balcken in deinem auge(A180 Martin Luther, Matthäus 7,3), und so oft in der Bibel; auch noch in neuerer Zeit: kaum wird die ritterliche Schar der beiden Reisigen gewahr (Wieland), gewahr werdend der beschränkten Gegenwart (Goethe), eines Irrtums gewahr werden (L337 WdG). Mit ursprünglich genitivischem es: ehe ich es gewahr werde (Luther). In der neueren Sprache ist der Akkusativ zur Regel geworden. Literarisch ist attributive Verwendung von gewahr, vgl. der Vogt, noch eines Pfeils gewahr(Lavater), nie gewahr des Geistes (ursprünglich des Armes) (A222 Friedrich Schiller, Die Götter Griechenlands 2.1,366). Auf einer Vermischung von gewahr werden und wahrnehmen beruht gewahrnehmen, vgl. das nehm' ich nun auch gewahr(Schiller), nehmt des Vorteils gewahr (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Reineke Fuchs 11,396).gewahren ist wohl eher Inchoativum zu gewahrals Kompositum zu "wahren", obwohl es althochdeutsch noch nicht belegt ist. Im Mittelhochdeutschen erscheint gewarn in dem heutigen Sinn, doch selten. Es ist erst im 18. Jahrhundert recht allgemein üblich geworden, mit direkter Anlehnung an gewahr, doch nur gehoben. Es wird mit dem Genitiv (vgl. des nahen Hafens nicht gewahrend A075 Johann Wolfgang von Goethe, 49I,146,22, wie ich eines Felsenriffs gewahre A222 Friedrich Schiller, Tell 4,1) oder gewöhnlicher mit dem Akkusativ verbunden. Vereinzelt gebraucht es A075 Johann Wolfgang von Goethe wie einfaches wahren: Gewahrt euch nur! Die Allerbesten / Hat solch ein Singsang schon besiegt (Faust II,7154), ebenso mit Genitiv im Sinne von ›achten auf‹: Das Schwert gewahret seiner Pflicht sogleich (Faust II,10483). – gewahrsam Adjektiv, mhd. gewarsam, frühneuhochdeutsch (vereinzelt noch im 18. Jahrhundert, Bodmer) ›achtsam, vorsichtig‹; ungewahrsam noch bei Wieland und Lenz. Daraus abgeleitet
Gewahrsam Mask.
1.1 ›Verwahrung, Obhut‹,
1.2 ›Haft‹, vgl. heute einen Gegenstand in Gewahrsam nehmen›verwahren‹, eine Person in Gewahrsam nehmen/ setzen›verhaften‹; der strengen Gewahrsam Eures Oheims anvertraut (A222 Friedrich Schiller, Stuart 2,8): mhd. gewarsame Fem. ›Aufsicht‹, ›sicherer Ort‹, auch ›Rechtsförmlichkeit, Rechtsformbewahrung‹ (L046 DRWb4,668); in unverkürzter Form Gewahrsame noch bei L004 Johann Christoph Adelung; Wechsel vom Maskulinum zum Femininum im 18. Jahrhundert, Neutrum in der Bedeutung ›Gefängnis‹ (1499; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), heute veraltet. Dazu bildet J.M.R.A174 Jakob Michael Reinhold Lenz ein vereinzeltes gewahrsamen ›in acht nehmen‹: du brauchst dich nicht zu gewahrsamen (Die Freunde machen den Philosophen 1,2).
Gewahrsam Mask.
1.1 ›Verwahrung, Obhut‹,
1.2 ›Haft‹, vgl. heute einen Gegenstand in Gewahrsam nehmen›verwahren‹, eine Person in Gewahrsam nehmen/ setzen›verhaften‹; der strengen Gewahrsam Eures Oheims anvertraut (A222 Friedrich Schiller, Stuart 2,8): mhd. gewarsame Fem. ›Aufsicht‹, ›sicherer Ort‹, auch ›Rechtsförmlichkeit, Rechtsformbewahrung‹ (L046 DRWb4,668); in unverkürzter Form Gewahrsame noch bei L004 Johann Christoph Adelung; Wechsel vom Maskulinum zum Femininum im 18. Jahrhundert, Neutrum in der Bedeutung ›Gefängnis‹ (1499; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), heute veraltet. Dazu bildet J.M.R.A174 Jakob Michael Reinhold Lenz ein vereinzeltes gewahrsamen ›in acht nehmen‹: du brauchst dich nicht zu gewahrsamen (Die Freunde machen den Philosophen 1,2).