Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Gesetz
mhd. gesetze, zu ↑ "setzen";1von einer übergeordneten Instanz erteilte Verhaltensmaßregel‹,
1.1 in religiösem Sinn durch das gesetze kompt erkenntnis der sünde (A180 Martin Luther, Römer 3,20), wol denen die on wandel leben / Die im Gesetze des Herrn wandeln (A180 Martin Luther, Psalm 119,1); speziell auf das Alte Testament bzw. die fünf Bücher Mose bezogen: es mus alles erfüllet werden / was von mir geschrieben ist im Gesetz Mosi / in den Propheten / vnd in Psalmen(A180 Martin Luther, Lukas 24,44); seit dem Mittelhochdeutschen
1.2 als ⇓ "S181" juristischer Begriff geklärt: nach laut deß Gesatzes (L200 Josua Maaler), Das Leben ist nach den Gesetzen zurichten (L105 Georg Henisch), ein Gesetz verkundigen, vom Gesetze befreyn (L169 Matthias Kramer); als kollektiver Singular: laß Er mich mit dem Gesetz in Frieden! (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,2634), das Auge des Gesetzes wacht (A222 Friedrich Schiller, Glocke) heute auch »scherzhaft auf den Schutzmann gedeutet« (L320 Trübner), Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich (Art. 3 Grundgesetz); in typischen Verbverbindungen Gesetz ubertretten (L105 Georg Henisch), beugen (L308 Kaspar Stieler), brechen (L169 Matthias Kramer), was das Gesetz… befiehlt (Gellert; L033 Joachim Heinrich Campe); dazu materielles GesetzRechtsnorm‹, Gegensatz formelles Gesetz (vgl. Gesetz[1.3]); ursprünglich der Vorstellung des Naturrechts folgend, seit der Aufklärung kritisch reflektiert: Es erben sich Gesetz' und Rechte / Wie eine ew'ge Krankheit fort (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,1972); dann auch
1.3 staatstheoretisch gedeutet: Reichs Ordnung und Gesetzen… , durch uns… aufgericht (1519 Karl V.; L086 GG2,876), Gesetz geben, auffheben (L105 Georg Henisch), noch bei L003 Johann Christoph Adelung 1775 absolutistisch »eine mit Strafe verbundene allgemeine Vorschrift eines Obern«; mit der Aufklärung zunehmend liberalisiert: Da… die Handlungen der Unterthanen… durch die bürgerlichen Gesetze determiniert werden… hat sie [die Obrigkeit] … hinlängliche Gesetze zu geben (1721 Wolff; L138 HWbPh 3,485); dann mit beginnender Gewaltenteilung und Errichtung der konstitutionellen Staatsform Ausdeutung des heutigen Begriffs: Ohne Beistimmung der Stände kann kein Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erläutert werden (1819; L086 GG2,904), staatsrechtlicher Gegensatz (zustimmungsfreie) Verordnung (L086 GG2,907): Gesetz ist Staatswille mit, Verordnung solcher ohne Volksvertretung (1865; L138 HWbPh 3,489); ⇓ "S144" auf die Ausfertiger des Grundgesetzes von 1949 bezogen Väter des Gesetzes, dazu formelles Gesetzvon der Legislative verfassungsmäßig aufgestellte Normen‹; seit dem 17. Jahrhundert auch
2Regel‹, in naturwissenschaftlichem Sinn
2.1regelmäßig wiederkehrende Abläufe in der Natur‹: Gesetz der Natur (L105 Georg Henisch), Gesetze der Bewegung (L003 Johann Christoph Adelung 1775), der Schwere (L033 Joachim Heinrich Campe); systematisiert und kritisch reflektiert von I.Kant: Der Verstand schöpft seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor (zit. nach L138 HWbPh 3,504), so auch literarisch Trümmern möchte der Natur Geseze / Menschenfreiheit (A131 Friedrich Hölderlin, Hymne an die Unsterblichkeit); in andere Wissenschaften übernommen: nach mathematischen gesetzen (Jean Paul; L059 DWb), Über die Anwendung des Begriffs von Gesetzen auf die Sprache (Tobler; Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie III,32ff.), ↑ "Lautgesetz"; verallgemeinert
2.2Norm‹, ungeschriebenes Gesetz, bei L308 Kaspar Stieler unbeschrieben Gesetznicht schriftlich fixierte, weil selbstverständlich befolgte Verhaltensregeliemanden durch gewisse regeln vnd gesetze zu einem Poeten machen (1624 A203 Martin Opitz; Poeterey 7), 's ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,1410), Die Geseze aber, die unter Liebenden gelten / … sind dann allgeltend (A131 Friedrich Hölderlin, Versöhnender der du nimmer geglaubt, 2,137).
Gesetzbuch 14. Jahrhundert (vgl. L046 DRWb4,528);
Gesetzgeber 14. Jahrhundert, heute häufig als kollektiver Singular: das Parlament als Gesetzgeber, dazu
Gesetzgebung (L308 Kaspar Stieler) zu Gesetz(1.3) ›Legislative‹;
gesetzlich 15. Jahrhundert; ›rechtlich‹;
gesetzmäßig 16. Jahrhundert (gesatzmäßig 1581 Fischart); ›dem geltenden Recht entsprechend‹; zu Gesetz(2) auch ›regelmäßig‹;
gesetzwidrig 1716 L046 DRWb4,538; Wieland.
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