Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Geschichte
ahd. giskiht, mhd. geschicht, zu ↑ "geschehen", zunächst endungslos Geschicht, Femininum wie auch Neutrum.1 Die ursprüngliche Bedeutung demnach
1.1 ›Begebenheit‹: Lasst vns nu gen Bethlehem / vnd die Geschicht sehen / die da geschehen ist (A180 Martin Luther, Lukas 2,15); Vielleicht / Erwarten Sie, wie diese unnatürliche Geschichte / Sich enden wird (A222 Friedrich Schiller, Karlos 4,5), die Lautform mit -ehier schon in Anlehnung an (2), zur Gegenwart hin zunehmend trivialisiert: Das ist eine dumme Geschichte! im Sinne von ›Sache‹ (vgl. Bettgeschichte) und redensartlich Macht keine Geschichten ›stellt nichts Törichtes, Unsinniges an!‹;
1.2 seit Anfang des 16. Jahrhunderts, gebucht bei L200 Josua Maaler 1541 ›mündliche oder schriftliche Erzählung von Wirklichem oder Erdachtem‹ es ist aber ditz ganz evangelium ein schlecht leicht historien odder geschicht (1521 Luther; L059 DWb); später die Lautform dann wieder in Analogie zu (2) die geschichte von dem hute (Gellert;ebenda).
2 Aus dem Plural Geschichten als einer Reihe zusammenhängender und -gehöriger Begebenheiten Solch eine Flucht und Felonie, Herr Fürst / ist ohne Beispiel in der Welt Geschichten (A222 Friedrich Schiller, Wallenstein Teil 1,5) entwickelt sich dann
2.1 wesentlich im späteren 18. Jahrhundert der feminine Kollektivsingular Geschichte ›Gesamtheit entwicklungsmäßig zusammenhängender Ereignisse und entsprechendes Wissen davon‹ die teutsche geschichte und sprache (1644; L059 DWb); fruchtbar und weit umfassend ist das gebiet der geschichte(Schiller; L059 DWb); Deutschland! Das ist Geschichte, sag ich, hier und heute, sage ich, Valmy, sage ich, Goethe!… der Osten ist frei!(B.A255 Botho Strauß, Schlußchor 86); zugleich im Sinne von
2.2 ›zusammenhängender Bericht‹, auch ›Geschichtswerk‹ und ›Wissenschaft von Geschehenem‹: Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande (Schiller), Ideen zur Geschichte der Menschheit(1784 Herder); Alte, Mittlere, Neue Geschichte (L264 Daniel Sanders), Geschichte studieren (L264 Daniel Sanders). »Zahllose Zusammensetzungen« (L264 Daniel Sanders), die unterschiedlichen Alters sind, zu (1) u. a. Ammengeschichte, Kalendergeschichte (↑ "Kalender"), Kindergeschichte, Kurzgeschichte, Lebensgeschichte, Leidensgeschichte, Liebesgeschichte, Lügengeschichte, Schauergeschichte (↑ 1"Schauer"), Weihnachtsgeschichte; nach (2) Bildungsgeschichte, Frühgeschichte, "Geistesgeschichte", Handelsgeschichte, Kirchengeschichte, "Kulturgeschichte", "Kunstgeschichte", "Literaturgeschichte", Rechtsgeschichte (↑ "recht"), "Sprachgeschichte", Staatsgeschichte, Universalgeschichte (↑ "universal"), Urgeschichte, "Vorgeschichte", "Weltgeschichte"; nur bedingt in diesen Zusammenhang gehört Naturgeschichte (↑ "Natur") nach historia naturalis im Sinne von ›Naturkunde‹. Umfassend zur Begriffsgeschichte L086 GG2,593ff.; P.E.Geiger, Das Wort »Geschichte« und seine Zusammensetzungen 1908; J.Hennig, in: L058 DVjS16, 511; L138 HWbPh.
Geschichtsklitterung verächtlich für ›Geschichtsschreibung‹ (nach "klittern" ›schmieren, klecksen‹, wohl lautmalend), ohne Fugen-s bei Fischart 1582 im Titel: Affentheurlich naupengeheurliche Geschichtklitterung… , in der ersten Auflage 1575 dafür Geschichtschrift;
Geschichtschreiber (1414; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), so noch bei Schiller, später mit Fugen-s;
Geschichtswissenschaft »die Geschichtkunde, so fern sie wissenschaftlich behandelt… wird« (L004 Johann Christoph Adelung);
geschichtlich im Sinne von ›historisch‹ (L308 Kaspar Stieler 1691), geschichtliche Thatsachen (L264 Daniel Sanders), ungeschichtlich, vorgeschichtlich (Schelling; L264 Daniel Sanders);
Geschichtlichkeit (1. Hälfte des 19. Jahrhunderts; L138 HWbPh);
1 ›historische Tatsache‹ alles, was Marcus wuszte, wuszte er nicht lebendig organisch, sondern als todte geschichtlichkeit (Heine; L059 DWb);
2 »Entwicklungscharakter sowohl des menschlichen Geistes in seinen objektiven Gestaltungen wie auch des Menschen als Existenz« (L138 HWbPh), ⇓ "S139" Modewort der Existenzphilosophie.
1.1 ›Begebenheit‹: Lasst vns nu gen Bethlehem / vnd die Geschicht sehen / die da geschehen ist (A180 Martin Luther, Lukas 2,15); Vielleicht / Erwarten Sie, wie diese unnatürliche Geschichte / Sich enden wird (A222 Friedrich Schiller, Karlos 4,5), die Lautform mit -ehier schon in Anlehnung an (2), zur Gegenwart hin zunehmend trivialisiert: Das ist eine dumme Geschichte! im Sinne von ›Sache‹ (vgl. Bettgeschichte) und redensartlich Macht keine Geschichten ›stellt nichts Törichtes, Unsinniges an!‹;
1.2 seit Anfang des 16. Jahrhunderts, gebucht bei L200 Josua Maaler 1541 ›mündliche oder schriftliche Erzählung von Wirklichem oder Erdachtem‹ es ist aber ditz ganz evangelium ein schlecht leicht historien odder geschicht (1521 Luther; L059 DWb); später die Lautform dann wieder in Analogie zu (2) die geschichte von dem hute (Gellert;ebenda).
2 Aus dem Plural Geschichten als einer Reihe zusammenhängender und -gehöriger Begebenheiten Solch eine Flucht und Felonie, Herr Fürst / ist ohne Beispiel in der Welt Geschichten (A222 Friedrich Schiller, Wallenstein Teil 1,5) entwickelt sich dann
2.1 wesentlich im späteren 18. Jahrhundert der feminine Kollektivsingular Geschichte ›Gesamtheit entwicklungsmäßig zusammenhängender Ereignisse und entsprechendes Wissen davon‹ die teutsche geschichte und sprache (1644; L059 DWb); fruchtbar und weit umfassend ist das gebiet der geschichte(Schiller; L059 DWb); Deutschland! Das ist Geschichte, sag ich, hier und heute, sage ich, Valmy, sage ich, Goethe!… der Osten ist frei!(B.A255 Botho Strauß, Schlußchor 86); zugleich im Sinne von
2.2 ›zusammenhängender Bericht‹, auch ›Geschichtswerk‹ und ›Wissenschaft von Geschehenem‹: Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande (Schiller), Ideen zur Geschichte der Menschheit(1784 Herder); Alte, Mittlere, Neue Geschichte (L264 Daniel Sanders), Geschichte studieren (L264 Daniel Sanders). »Zahllose Zusammensetzungen« (L264 Daniel Sanders), die unterschiedlichen Alters sind, zu (1) u. a. Ammengeschichte, Kalendergeschichte (↑ "Kalender"), Kindergeschichte, Kurzgeschichte, Lebensgeschichte, Leidensgeschichte, Liebesgeschichte, Lügengeschichte, Schauergeschichte (↑ 1"Schauer"), Weihnachtsgeschichte; nach (2) Bildungsgeschichte, Frühgeschichte, "Geistesgeschichte", Handelsgeschichte, Kirchengeschichte, "Kulturgeschichte", "Kunstgeschichte", "Literaturgeschichte", Rechtsgeschichte (↑ "recht"), "Sprachgeschichte", Staatsgeschichte, Universalgeschichte (↑ "universal"), Urgeschichte, "Vorgeschichte", "Weltgeschichte"; nur bedingt in diesen Zusammenhang gehört Naturgeschichte (↑ "Natur") nach historia naturalis im Sinne von ›Naturkunde‹. Umfassend zur Begriffsgeschichte L086 GG2,593ff.; P.E.Geiger, Das Wort »Geschichte« und seine Zusammensetzungen 1908; J.Hennig, in: L058 DVjS16, 511; L138 HWbPh.
Geschichtsklitterung verächtlich für ›Geschichtsschreibung‹ (nach "klittern" ›schmieren, klecksen‹, wohl lautmalend), ohne Fugen-s bei Fischart 1582 im Titel: Affentheurlich naupengeheurliche Geschichtklitterung… , in der ersten Auflage 1575 dafür Geschichtschrift;
Geschichtschreiber (1414; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), so noch bei Schiller, später mit Fugen-s;
Geschichtswissenschaft »die Geschichtkunde, so fern sie wissenschaftlich behandelt… wird« (L004 Johann Christoph Adelung);
geschichtlich im Sinne von ›historisch‹ (L308 Kaspar Stieler 1691), geschichtliche Thatsachen (L264 Daniel Sanders), ungeschichtlich, vorgeschichtlich (Schelling; L264 Daniel Sanders);
Geschichtlichkeit (1. Hälfte des 19. Jahrhunderts; L138 HWbPh);
1 ›historische Tatsache‹ alles, was Marcus wuszte, wuszte er nicht lebendig organisch, sondern als todte geschichtlichkeit (Heine; L059 DWb);
2 »Entwicklungscharakter sowohl des menschlichen Geistes in seinen objektiven Gestaltungen wie auch des Menschen als Existenz« (L138 HWbPh), ⇓ "S139" Modewort der Existenzphilosophie.