Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
gerade
1 auch grade, ahd. (h)rad, (h)rado, mhd. (ge)rat, gerade (got. raþs); ursprüngliche Bedeutung ›hurtig, geschwind‹, danach mittelhochdeutsch auch ›schlank gewachsen‹, seit dem 14. Jahrhundert1 adjektivisch die heutige Bedeutung, Gegensatz zu "krumm": Eine gerade Lini (L105 Georg Henisch), dazu in gerader Linie von jemanden abstammen (L003 Johann Christoph Adelung 1775), eine Säule stehet nicht gerade(ebenda), Den Rucken gerade halten (L033 Joachim Heinrich Campe), adverbial gerade(s)wegs, geradenwegs; im Sinne von
1.1direktgerade gegenüber, gerad entgegen seyn (L169 Matthias Kramer), gerade das gegentheil (I.Kant; L059 DWb), in geradem Widerspruch (Goethe); übertragen im Sinne von
1.2ehrlichmit einer deutlichen und geraden antwort (Luther; L059 DWb), etwas geradeheraus sagen, adjektivisch ein gerader Charakter, gerader Sinn, Geradsinn, ein gerader Verstand (der von künstlichen Verkehrtheiten frei ist); im Sinne von
1.3ohne Umschweife‹: mich so gerad' beiseit zu werfen (Schiller); adverbial
2 wie "eben", um die Genauigkeit einer Angabe zu bezeichnen es wagt gerad drey Centner (L169 Matthias Kramer), gerad zu rechter zeit (1727; L059 DWb), gerade um 4 Uhr, gerade so groß, gut usw., gerade als werestu der Hans (Luther; L059 DWb), das ist mir gerade recht, das ist es gerade, redensartlich für unsere kinder ist das beste gerade gut genug (L059 DWb); ausgegangen ist diese Verwendung von Fällen, wo es sich um eine Bewegung handelt, wobei dann gerade ausdrückt, daß diese Bewegung direkt in einer bestimmten Richtung geht, er traf gerad das Hertz (L169 Matthias Kramer), er hat ihn gerade auf die Nase getroffen; negiert im Sinn einer Verstärkung, insofern der Sprecher damit eine enttäuschte Erwartung bezeichnet ›eben‹: das ist nicht gerade viel, das klingt nicht gerade vertrauenerweckend; hierher auch nun tue ich es geradeerst recht‹, nun gerade (nicht)! »wenn man aus Opposition jemanden nicht den Willen thun will« (L084 Arnold Genthe 1892), insbesondere von trotzigen Kindern (vgl. L059 DWb); mit Bezug auf die Zeit: ich war gerad nicht zu Hause (L169 Matthias Kramer), ich stand gerade am Fenster.
geradezu (seit L033 Joachim Heinrich Campe in fester Verbindung); ursprünglich wie geradeaus als Richtungsbezeichnung ›direkt nach vorn‹, sprichwörtlich geradezu ist der nächste Weg; ›ohne Umschweifedas kann man nur geradezu auf die Straße werfen; wie gerade übertragen gerade zu mit jemanden umgehen »ohne Complimente« (L003 Johann Christoph Adelung 1775), daher auch umgangssprachlich prädikativ ›offen, ehrlich‹, auch leicht pejorativ ›direkt, derbGutmüthig, aber täppisch, nicht roh, aber doch geradezu (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit 26,254,19); abgeblaßt wie "nachgerade" ›schiergeradezu unmöglich.
Gerade seit Ende des 18. Jahrhunderts (W.L244 Wolfgang Pfeifer) fachsprachlich
1gerade Linie‹, wohl 1837 von J.Steiner in die geometrische Fachsprache eingeführt (wie schon bei Galilei ital. rettafür linea retta); seit Anfang des 20. Jahrhunderts (W.L244 Wolfgang Pfeifer)
2 im ⇓ "S205" Rennsport Gegensatz zu "Kurve", beim Boxen Gegensatz zu Schwinger, "Haken".
2 ahd. girad, mhd. gerat, ›durch zwei teilbar‹, Gegensatz "ungerade"; verwandt mit got. ga-raþjan ›zählen‹, mit 1gerade ⇓ "S230" volksetymologisch verbunden; Nicht fünff sondern vier ist gerad(L105 Georg Henisch).
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