Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
gegenüber
ist erst allmählich zusammengewachsen (L200 Josua Maaler 1561 zuerst, dagegen L004 Johann Christoph Adelung 1796 s. v. gegennoch für Getrenntschreibung). Ein abhängiger Kasus steht ursprünglich zwischen beiden Bestandteilen, da er von gegenals Präposition regiert wird, während über daneben adverbial funktioniert; so noch häufig im 18. Jahrhundert. Dieser Kasus ist zunächst immer der Dativ (↑ "gegen"), der sich hier besonders lange gehalten hat: das gegen dem hohen Golgatha über lag (Klopstock), ich sehe Friederiken gegen ihr über stehn (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit 28,23,1). Daneben stellt sich dann bei Verben der Bewegung der Akkusativ ein: sie setzten sich nebeneinander, gegen sie über der göttliche Fremdling (Klopstock). Oft ist der Kasus nicht zu erkennen: gegeneinander über, gegen Golgatha über. Die Verschmelzung geht aus von solchen Fällen, in denen kein abhängiger Kasus daneben steht, weil sich die Beziehung aus dem Zusammenhang ergänzen läßt vnd satzte (setzte) sich gegen vber (A180 Martin Luther, 1.Mose 21,16) (in neueren Ausgaben zusammengeschrieben). Weiterhin (seit der 1.Hälfte des 18. Jahrhunderts) erscheint es mit vorangestelltem Dativ: der schönen Nymphe gegenüber (Wieland), diese Konstruktion ist die gewöhnliche geblieben. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts dringt Nachstellung des Dativs vor: gegenüber diesen unerquicklichen Tatsachen (Freytag); sie wird um 1900 als »feiner« empfunden (L059 DWb). Endlich erscheint (unter Einfluß von franz. vis-à-vis de) Anknüpfung mit von, die bei Ortsnamen jetzt sprachüblich geworden ist: gegenüber von Mannheim neben Mannheim gegenüber. Übertragen als Bezeichnung einer persönlichen Beziehung zu einer Person oder Sache: Loyalität einer Regierung gegenüber, Loyalität gegenüber der Menschheit (A159 Heinar Kipphardt, Oppenheimer 242). Zusammensetzungen mit Verben: gegenüberliegen, gegenübersehen, gegenübersetzen, gegenübersitzen, gegenüberstehen, gegenüberstellen, gegenübertreten. Ferner wird gegenüber bei Vergleichen angewendet: seinem Bruder gegenüber ist er klein. SubstantivischGegenüber (wie franz. vis-à-vis) L033 Joachim Heinrich Campe 1808, Nämlich Liebe ist viel weniger als ihr denkt: / das ehrgeizige Gegenüber mit scheulosem Anblick (B.A248 Botho Strauß, Erinnerung 42).
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