Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
gegen
ahd. gagan, gegin, mhd. gegen, altgermanisch (altnord. gagn, engl. [a]gain). Als Präposition wird es ursprünglich mit dem Dativ verbunden, woneben der Akkusativ seit dem 11. Jahrhundert erscheint. Bei Luther steht beides nebeneinander (L012 Otto Behaghel, Syntax 2,38). Der allmählich zurückweichende Dativ zuweilen noch bei unseren klassischen Schriftstellern: Medea ist gegen ihr tugendhaft (Lessing), Ottilie auf einem Sessel gegen ihr über (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften 20,90,22), daß kein Mann gegen ihm im Felde stand (H. v.Kleist); vgl. "gegenüber". In dem ursprünglich räumlichen Sinn ist gegen jetzt beinahe außer Gebrauch gekommen. Bis ca. 1800 (L320 Trübner) häufig, heute selten (vgl. L337 WdG) neben Verben der Bewegung mit der Bedeutung ›in der Richtung auf etwas zu‹: er wird ans Wasser gehen, so tritt gegen ihm (neue Ausgaben ihn) an das Ufer des Wassers (ihm entgegen) (Luther), der König reckte den goldenen Szepter in seiner Hand gegen Esther (Luther), nun ritt ich auf dem Fußpfade gegen Drusenheim (Goethe), sobald sie aber gegen das bezeichnete Haus kamen (in die Stellung gegenüber dem Hause) (Goethe); auch gegen etwas zu, wofür jetzt auf oder nachzu vorgezogen wird; noch allgemein erhalten in (sich) gegen jmdn. (etwas) wenden, kehren; desgleichen gegen etwas stoßen, rennen, fahren, als Bezeichnung entgegengesetzter Bewegungsrichtung: gegen den Strom schwimmen, gegen den Strich kämmen; heute veraltet ist in übertragenem Sinn ich wendete mich wieder gegen die geliebten Alten (Goethe), auch diese jungen Männer wandten sich nun gegen die Romantik (der Romantik zu) (Goethe). Auch bloß die Richtung auf einen Gegenstand, ohne daß eine Bewegung auf denselben zu stattfindet, wurde durch gegen bezeichnet, vgl. und lagerten sich gegen der Sonnen Aufgang (Luther), die setzten sich gegen das Grab(dem Grabe gegenüber), gegen sie saß die Mutter im Saal(Voß), mit offenen Armen stand ich gegen den Abgrund (Goethe); übertragen gegen Jena und die dortigen Lehrbühnen die Aufmerksamkeit lenkend (Goethe), daß die Schauspieler sich mehr gegen die erste Ausgabe neigten (sich ihr zuneigten) (Goethe); auch jetzt sagt man noch die Fenster gehen gegen Norden neben nach Norden; ferner etwas gegen das Licht halten; vgl. auch "gegenüber". Von dieser räumlichen Bedeutung aus ist die Entwicklung nach verschiedenen Richtungen hin gegangen.1 Gegen wird angewendet, wo es sich um irgendeine Art des Verhaltens in Hinsicht auf eine Person oder auf einen Gegenstand handelt: freundlich, dankbar, aufmerksam gegen jmdn. sein, empfindlich gegen Kälte, hart gegen sich selbst sein, etwas gegen jmdn. haben (›jmdn. nicht leiden mögen‹), entsprechend Achtung, Großzügigkeit, Treue gegen jmdn. zeigen; sich so oder so gegen jmdn. benehmen, betragenusw. Auch diese Art der Verwendung ist heute gegenüber früher bedeutend eingeschränkt: gegen Lessings Arbeiten hatte Schiller ein ganz besonderes Verhältnis (Goethe), Liebe der unglücklichen Familie gegen einander (Herder), jede Liebe gegen eine andre als gegen Klotilden (Jean Paul), ich habe viele gute Gedanken, und kann sie nirgends brauchen als gegen dich (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 3.11.67), ich habe zu viel Achtung gegen das Publikum (Herder), von gleicher Verehrung gegen den fürtrefflichen Fürsten (Goethe), mich gegen Sie (Ihnen gegenüber) zu erklären (Goethe).
2 Hieran kann sich die Vorstellung eines absichtlichen Entgegenwirkens, einer Feindseligkeit anschließen und zur Hauptsache werden: gegen jmdn. oder etwas arbeiten, kämpfen, protestieren, schreiben, sein, sprechen, stimmen, vorgehen; sich gegen etwas (oder jmdn. ) auflehnen, sperren, sträuben; gegen den Weltmeister gewinnen, ein Mittel gegen den Husten nehmen; gegen ein Gebot, meine Absicht, meinen Willen handeln, Widerstand gegen die Staatsgewalt leisten usw. Dieser Gebrauch hat sich in der neueren Sprache immer mehr ausgedehnt, je mehr "wider" in diesem Sinn zurückgetreten ist.
3 Gegen gilt bei Austausch: er vertauschte seine Waren gegen Gold, etwas gegen Barzahlung, Quittung, Bürgschaft geben; Geheimnis gegen Geheimnis, Überraschung gegen Überraschung (Goethe); daran schließt sich auch zehn gegen eins wetten, ferner es finden sich (es gibt) gegen einen treuen zehn wankelmütige Freunde u.dgl.
4 Man kann zwei Dinge gegeneinanderhalten zum Zweck des Vergleichs. Dies gegeneinanderhalten kann dann auch übertragen im Sinne von ›vergleichen‹ gebraucht werden, und weiterhin dient gegenüberhaupt zur Anknüpfung eines verglichenen Gegenstands: gegen seinen Bruder ist er ein Riese, sie sollen klein sein gegen anderen Königreichen (neue Ausgaben andere Königreiche) (Luther), betrachten wir nun die Gestalt der Raupe gegen die Gestalt des Schmetterlings (A075 Johann Wolfgang von Goethe, II.8,83,23). Die räumliche Anschauung tritt noch deutlich hervor in Fällen wie die Umrisse der Berge hoben sich deutlich gegen den Himmel ab.
5 Vom Raum wird gegen auf die Zeit übertragen: er ging zwar erst gegen die fünfzig (Pestalozzi); allgemein gegen (das) Ende der Reisekurz vor dem Ende‹. Ein weiterer Schritt ist, daß auch das ›kurz nach‹ mit einbegriffen wird: Gegen Abend kam er auf die Höhe des Gebirgs (A030 Georg Büchner, Lenz 80), auch gegen ein Uhr.
6 Zu Quantitätsbestimmungen tritt gegenauch sonst, um anzudeuten, daß die Angabe nur eine annähernde ist, daß sich die wirkliche Quantität derselben gewissermaßen zuneigt. In dieser Funktion ist gegen anstelle des älteren "bei" getreten: die Höhe des Hauses beträgt gegen 30 Fuß, es waren gegen 100 Menschen anwesend, heute sagt man zumeist "ungefähr". – Schon im Mittelhochdeutschen erscheint neben gegendie kontrahierte Form gein, woraus sich frühneuhochdeutsch ↑ "gen" entwickelt hat. – Als Adverb vertritt gegendie Präposition in "dagegen", hiergegen (↑ "hier"), wogegen (↑ "wo"); ferner in ⇑ "hingegen", "entgegen", "zugegen". – Häufig ist gegen in nominalen Zusammensetzungen, am gewöhnlichsten um auszudrücken, daß etwas als Erwiderung auf etwas von der nämlichen Art erfolgt: Gegendruck (als Erwiderung eines Druckes), Gegenbesuch, Gegenbeweis, Gegengift, Gegengruß, Gegenleistung, Gegenliebe, Gegenprobe, Gegenrede, Gegensprechanlage usw., literarisch Gegenglück: dienst du dem Gegenglück, dem Geist(A010 Gottfried Benn, Einsamer nie –). Konkurrenz, feindliche Gegenüberstellung drückt es aus in Gegenanzeige (medizinisch), Gegenkandidat, Gegenpartei, Gegenspieler, Gegenspionage, Gegenstimme, Gegenwehr u. a.; etwas einander Entsprechendes in Gegengerade, Gegenstück. Verbale Zusammensetzungen werden mit gegenrelativ selten gebildet (gegenlenken, gegenlesen, gegenrufen, gegensprechen, gegensteuern), zu unfesten wird oft auch "entgegen"-verwendet. Doch erlaubt man sich namentlich in literarischer Sprache zuweilen einfaches gegen statt des korrekten entgegen, vgl. daß ich nur duldend gegenlächeln sollte (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Tasso 2299); Eduard schalt ihn… ; als aber der Kerl sich murrend, ja gegenscheltend… entfernte (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften 20,73,6); entsprechend bei substantivischem Infinitiv: ein ruhiges, folgerechtes Gegenwirken(Goethe). – ⇑ "begegnen", "Gegend", "Gegner"; "entgegnen" (↑ "entgegen").
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