Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Gedicht
mhd. getiht(e), Nebenformen nhd. Getichte bis ins 17. Jahrhundert (L059 DWb), Gedichte bis zur 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts (L059 DWb, vgl. L109 Moriz Heyne), Verbalabstraktum zu 2"dichten".1 Noch frühneuhochdeutsch auch allgemein ›schriftliche Aufzeichnung, Schriftwerk‹, z. B. auf Gesetzeswerke bezogen (L059 DWb);
2"S127" schon mittelhochdeutsch auch ›sprachliches Kunstwerk, Erfindung eines Dichters‹, bis ins 20. Jahrhundert (vgl. L109 Moriz Heyne, L320 Trübner) auf alle drei Gattungen bezogen, heute jedoch speziell auf »Werke der lyr[ischen] Dichtung« (L289 Günther und Irmgard Schweikle), die (a) in der Form zumeist durch Notation in Versen, durch sprachlichen Rhythmus, durch Bildhaftigkeit und (zumeist) Kürze gekennzeichnet sind sowie durch einen freieren Umgang mit den sprachlichen Mitteln als eine Form der »Verdichtung« von Sprache Als ob die Erneuerung der Sprache von einem Entschluß ausgehen würde und nicht von einem Gedicht! (K.A168 Karl Kraus, Die Sprache 15), und (b) inhaltlich gekennzeichnet sind durch einen besonderen Grad der Empfindung und Subjektivität: »Die lyrische Poesie… ist ein punktuelles Zünden der Welt im Subjekte« (A315 Friedrich Theodor Vischer, Aesthetik 21923, §886), Das Gedicht ist die Antiware schlechthin (A050 Hans Magnus Enzensberger, Einzelheiten II,23), Und daß mir / in den Gedichten das große Nicht-Wissen / niemals aufhöre zu klingen (B.A248 Botho Strauß, Erinnerung 60); seit dem 18. Jahrhundert (L059 DWb) auch übertragen auf andere Gegenstände, die bestimmten Kriterien genügen (z. B. Der Wein war ein Gedicht!so gut, wie man ihn sich wünschen möchte‹, umgangssprachlich auch es war ein Gedicht von Wein);
3 bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts (L109 Moriz Heyne) auch ›Erdichtung, lügenhafte Erfindungder Wein… daß er vor den Engeln geschaffen sey / Ist vielleicht auch kein Gedicht (Goethe; Ch.L042 Christa Dill).
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